Geschrieben am 17. August 2011 von für Bücher, Litmag

Charles Bukowski: Der Mann mit der Ledertasche (Hörbuch)

Chronik des Versagens, das Hörbuch ist aber gut

– Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ich hatte mir Großes für diesen Text vorgenommen. Ein bahnbrechendes Crossover. Weil ich das Hörbuch auf seine Einsatztauglichkeit prüfen wollte und ich davon ausging, dass man ein 297-minütiges Hörbuch nur beim Autofahren hört, wollte ich, da ich keinen Führerschein habe, die Situation innerhalb eines Sandbox-Videospiels nachstellen; also rumfahren und Bukowski hören.

Alles erdenkliche hatte ich arrangiert: Just Cause 2® lag im Laufwerk, meine ausgedruckte Route und einen Spiralblock für Geistesblitze lagen auf dem Kaffeetisch, ausreichend Batterien für die Pads, ein Lockstedter® lag auf der Couch, eine Pizza war im Ofen, die Wohnung leer und ich überlegte sogar Fahrtwind mit Ventilatoren zu simulieren. Selbst einen Verhaltenskodex hatte ich mir überlegt; z.B. mich möglichst an die StVO. zu halten, nur in Notwehr jemanden zu erschießen &C.

Dem ging ich nach so gut ich konnte, notierte hier und da absurde Gegebenheiten im Spiel und glich sie ab mit dem, was gerade bei Bukowski so los war. Nur damit Sie mir glauben:

„Lange höre ich nicht richtig zu, nur dass Henry Chinaski bei der Post angestellt ist. Als er von „Betty’s dicken Titten“ schwärmt fahre ich einem Van hinten auf.“

„Milizen erschießen Bürger und andere Milizen, Chinaski besorgt es der drallen Betty und als so ziemlich alle tot sind, macht Chinaski den Reisverschluss seiner Hose zu.“

„Ohne den Pappdeckel war ich wie ein Mann, der sich in der Wüste verirrt hatte.“  Worte des Chinaski. Insofern ging es mir doch besser als ihm, der den Pappdeckel auf dem der Routenplan und die Stationen eingetragen waren verloren hatte. Ich hatte: Karten, allerlei Waffe, einen Enterhaken und einen Fallschirm, ich folge der Straße zu Fuß, werde angefahren. Okidoki.“

„Mit uns beiden geht es aufwärts. Noch 4,5km bis Pulau. Ich stelle den Kombi ab. „Hilfe, Hilfe, ich werde vergewaltigt! Sie hatte recht.“ Dann besorgt er es der verrückten Hausfrau. Was für ein Mann! Zur Kompensation kaufe ich mir ein gelbes Cabrio.“

&C. &C.

(Juan Gosze: Skizzen zu einem bahnbrechenden Crossover, Suhrkamp, Berlin 2011 )

Hin und wieder kam mein Mitbewohner aus seinem Zimmer gekrochen und meinte, dass könne doch nicht mein Ernst sein, es sei ihm höchsten Grade dreist so etwas Arbeit zu nennen.

Bukowski: ledertasche (Hörprobe: Der Mann mit der Ledertasche)

So brachte ich eine ganze CD herum. Man muss dazu sagen, dass es äußerst unterhaltsam ist, die aneinandergereihten Anekdoten von einem pferderenn- und alkoholsüchtigen Arschfetischisten zu hören. Warme Ärsche, hier mal die langen Beine, dort ein schlaffes Teil, mit dem er in Mösen rumstochert, pralle wie hängende Titten. Alles in allem ein großer Spaß.

Doch 297 Minuten Arschfetischismus am Stück grenzen an Folter. Nicht, dass CD 2, 3 und 4 schlecht waren,  sie waren so fantastisch wie die erste, auch deswegen, weil sie sich genau gleich anhörten. Die Erlebnisse des Chinaski, des Protagonisten, den man genauso gut Bukowski nennen kann, beginnen sich stark zu ähneln. Gelegentlich wird ein Frauenname ausgetauscht und ein anderer Vorgesetzter beleidigt. Es ist als wäre ich an die Couch gebunden gewesen und von der Seite erzählte ein spiel- und arschsüchtiger Alkoholiker mir in derben Worten die längste Anekdote der Welt. Hin und wieder kam mein Mitbewohner noch mal aus seinem Zimmer und fing zunehmend an, mich zu bemitleiden. Ich beschimpfe ihn als elenden Hundesohn, er solle wieder in sein Zimmer gehen.

Wahrscheinlich bin ich der falsche Proband. Ideal wäre ein Pendler. Er wäre 26 und würde jeden Tag zu seiner Arbeit 15 Minuten hin und 15 Minuten zurückfahren. Das wäre die Dosierung, die ich guten Gewissens verschreiben könnte.  Wenn er dann in seinem Büro ankommt, sagen wir, er arbeitet bei einer Bank, hat er schon 15 Minuten lang von Titten, Pferden und wüsten Beschimpfungen gehört und ist bereit zur täglichen Investitionskreditberatung.

Im Videospiel gab ich derweilen meinen Plan mich an die StVO. zu halten auf und begann willkürlich Autos zu sprengen, mit Kampfhubschraubern ein Inferno anzurichten und paramilitärische Söldner an einen Sportwagen zu binden und sie durch die Wüste zu schleifen.

Zwei alternative letzte Absätze:

1. Ich will ehrlich sein: Das bahnbrechende Crossover fäll aus, das Experiment ist gescheitert.

2. Die Nachwelt kann die Skizzen für dieses bahnbrechende Crossover zum bedeutenden Fragment des Versagens erklären; ihr dürft’ das. Gegenwärtig bleibt aber erstmal: eine herbe Enttäuschung.

(Falls Sie nur den letzten Abschnitt lesen, um das abschließend Urteil des Rezensenten zu bekommen (ich mach das selbst oft): mit „herbe Enttäuschung“ war nicht das Hörbuch gemeint. Das war nämlich gut.)

J.S.  Gosze

Charles Bukowski: Der Mann mit der Ledertasche (Post Office, 1969). Übersetzt von Hans Hermann. Hörbuch. Gelesen von Matthias Brandt. Verlag Antje Kunstmann 2011.  4. CDs. 297 Minuten. 19,90 Euro. Mehr Informationen zum Buch und eine Hörprobe finden Sie hier.

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