Geschrieben am 30. Oktober 2013 von für Bücher, Litmag

Carl Weissner: Eine andere Liga

Carl Weissner_Eine andere LigaRadikalität und Revolte

– Er ist durch die Kellerlokale und Clubs der Lower Eastside gezogen, vom Bebop-Synkopen getrieben. Er war auf einem Trip von Frisco nach L.A., und unten am Strand „hausten die Typen von Canned Heat“ – On the road again. Er hat auf Platz und auch auf Sieg gesetzt und nie alles verloren. Nicht seinen klaren Blick auf die Dinge, wie sie sind. Nicht seine Haltung, erst zu (er-)leben und dann zu schreiben. Von Frank Göhre

Carl Weissner ist mit 27 Jahren auf der M.S. Bremen rüber in die Staaten. Er hat die Maler, Musiker und Poeten der Beat Generation kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Er hat ihre Texte und Songs übersetzt, von William S. Burroughs bis Frank Zappa, von Allen Ginsberg bis zu Andy Warhols Amphetamin-Roman A. Zurück in Deutschland ist er Mitherausgeber der Szene Magazine UFO und Gasolin 23, schreibt Texte gemeinsam mit amerikanischen und französischen Cutup Autoren und mit Jürgen Ploog und Jörg Fauser (Marlowe City).

Doch die eigene Schreibe wird mehr und mehr überlagert von den weit über 120 Übersetzungen: „Ein Schuss Artismus gehört dazu und eine ordentliche Portion Sitzfleisch ist Voraussetzung.“ Es bleibt nicht dabei. Carl Weissner tritt gleichzeitig als Agent der von ihm übersetzten Autoren auf, macht sie hierzulande, wie Charles „Hank“ Bukowski, überhaupt erst bekannt. Und begleitet auch Jörg Fauser bei seinen ersten eigenständigen Publikationen: „Für mich ist interessant, dass er überhaupt schreibt, nachdem er jahrelang nichts als Heroin gepumpt und auf seinen großen Zeh gestarrt hat … Aber abgesehen davon schreibt er so, dass ich es ihm unbesehen abnehme. Und ich schätze, dass ich nicht der einzige sein werde.“

Ein Zitat aus einem Vorwort, das neben knapp zwanzig weiteren Texten den 1. Teil eines Carl Weissner Readers ausmacht: Eine andere Liga oder Stories, bei denen man auf die Knie geht und vor Glück in die Fussmatte beisst. Es sind in der Tat Glanzstücke, sozusagen das Beste aus den 70er und 80er Jahren, angereichert mit Briefen und Interviews und einem großartigen Essay des zu Unrecht weitgehend vergessenen Weggefährten Jürgen Ploog (parallel oder auch ergänzend kann man die im Rohstoff Verlag erschienenen Texte von & zu Jürgen Ploog lesen: Tanker) – all das rasant geschnitten/arrangiert und sorgfältig ediert von Vanessa Wieser und Matthias Penzel, der sich nach seiner Fauser Biografie Rebell im Cola-Hinterland erneut als profunder Kenner der damaligen Szene profiliert.

Teil 2 – als quasi gegenläufiger Text – ist der erstmals gedruckt vorliegende Roman Tod in Paris, mit dem nach Muffdiver (2010) und  Trashmann (2011), dem New Yorker Nachtjournal, Weissners literarische Trilogie komplett ist, ein „Gegenentwurf zur eingefahrenen Sülze kulturellen Wohlverhaltens, verpackt als Hohngelächter aus einer fernen Welt.“ (Jürgen Ploog).

Es ist Weissners Vermächtnis, alles andere als die von Fauser ironisch angeführten „Einser-Aufsätze“ mit grammatikalisch korrekten Sätzen, hinter denen nichts steht – kein Erfahrenes und Gelebtes. Keine Radikalität und erst recht keine Revolte. Das aber verkörperte der Autor, Übersetzer und Literaturagent Carl Weisser. Er starb im Januar 2012 im Alter von 71 Jahren in seiner Heimatstadt Mannheim.

Frank Göhre

Carl Weissner: Eine andere Liga. Herausgegeben von Vanessa Wieser und Matthias Penzel. Milena Verlag, Wien, 2013. 374 Seiten. 24,90 Euro.

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