Ein deutscher Meisterspion in der mexikanischen Revolution
Von Jürgen Neubauer
Seit jeher ist Mexiko ein lockendes Ziel für Abenteurer, natürlich auch aus Deutschland. Einer davon war Felix Sommerfeld, der vor dem Ersten Weltkrieg vom Goldsucher zum wichtigsten deutschen Geheimagenten in Nordamerika wurde und an der Seite von Francisco I. Madero und Pancho Villa in der mexikanischen Revolution mitmischte. Agenten sind von Berufs wegen schwer zu fassen; in seinem Buch Im Schatten der Öffentlichkeit unternimmt Heribert von Feilitzsch den Versuch, das filmreife Leben des Meisterspions zu rekonstruieren.
Felix Sommerfeld kommt 1879 in Posen zur Welt. Seine beiden älteren Brüder wandern in die Vereinigten Staaten aus, und dort besucht er sie im Alter von neunzehn Jahren. Felix ist ein abenteuerlustiger Bursche: Weil die Vereinigten Staaten gerade Spanien den Krieg erklärt haben, meldet er sich als Freiwilliger. Kurz darauf desertiert er allerdings schon wieder, nur um nach Deutschland zurückzukehren, sich dort zur Armee zu melden und gleich als Freiwilliger zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China aufzubrechen. Wieder in Deutschland, versucht er es buchstäblich mit etwas Bodenständigem und studiert Bergbau. Doch das ist nichts für ihn: Schon bald bricht er das Studium wieder ab und macht sich erneut auf den Weg nach Nordamerika. Dort arbeitet er in verschiedenen Bergwerken, bis die Abenteuerlust ein weiteres Mal siegt und er in den Norden von Mexiko aufbricht, um Gold zu suchen.
Es ist das Jahr 1908 und Mexiko brodelt. Unter Präsident Porfirio Díaz, der seit über dreißig Jahren regiert, hat die reiche Oberschicht das Land unter sich aufgeteilt, und Unternehmer aus den Vereinigten Staaten und Europa haben sich große Stücke aus dem Kuchen geschnitten. Arbeiter und Bauer leben dagegen in Armut, und ihre Proteste werden blutig niedergeschlagen. Doch es formiert sich Widerstand.
Eines der bekannteren Gesichter dieses Widerstands ist der Großgrundbesitzer Francisco I. Madero, der bei den Wahlen in zwei Jahren gegen Porfirio Díaz antreten will. Sommerfeld lernt Madero kennen, und als ehemaliger Meldereiter der kaiserlichen Armee gibt er ihm Reitunterricht. So wird er zu einem der engsten Vertrauten Maderos und schließlich zu dessen Stabschef.
Irgendwann in dieser Zeit muss der deutsche Marinegeheimdienst Kontakt zu Sommerfeld aufgenommen haben. Über das Wann und Wie stellt sein Biograf Heribert von Feilitzsch ausführliche Spekulationen an, doch Genaues ist nicht bekannt, denn die deutschen Akten gingen im Zweiten Weltkrieg in Flammen auf, und in späteren Verhören durch die US-Amerikaner hält sich der Deutsche bedeckt. Für den Kaiser wird die Verpflichtung Sommerfelds zum unerwarteten Glücksgriff, denn Madero verliert zwar die Wahl, doch er entscheidet die anschließende Revolution für sich, wird zum neuen Präsidenten gewählt und ernennt den deutschen Geheimagenten zum Chef des mexikanischen Geheimdienstes. In dieser Position bekämpft Sommerfeld die Feinde Maderos im Norden Mexikos und arbeitet dabei eng mit den Behörden der Vereinigten Staaten zusammen, die natürlich großes Interesse daran haben, die Ereignisse in ihrem Sinne zu beeinflussen und unentwegt über offenen oder verdeckte Interventionen debattieren. Alles natürlich hochinteressant für die deutschen Geheimdienste.
Aus dieser Zeit stammt auch das Foto auf dem Einband des Buchs — eines der ganz wenigen, die von dem kamerascheuen Agenten erhalten sind. In der Mitte steht Präsident Madero, zu seiner Rechten zwei Gringos, und im Dreiviertelprofil am linken Bildrand ein leicht zerzaust wirkender Felix Sommerfeld im hellen Anzug und Krawatte, der mit finsterem Habichtsblick den Horizont nach Gefahren abzusuchen scheint. Er wirkt ganz so, als sei er wider Willen auf das Foto geraten und könnte im nächsten Moment einen entschlossenen Schritt nach rückwärts tun, um wieder im Schatten zu verschwinden. Er gehört nicht zu der Gruppe der anderen drei Herren, die offenbar etwas zu bereden haben, sondern scheint neben und über der Situation zu stehen und für sie die Lage im Blick zu behalten. Eine faszinierende Gestalt.
Leider gelingt es Heribert von Feilitzsch nur bedingt, diese Faszination zu vermitteln. Unfreiwillig gerät das Coverfoto zum Kommentar auf den Inhalt: Sommerfeld bleibt in seiner eigenen Biografie eine rätselhafte Randfigur. Wer ist dieser Mann? Was treibt ihn an? Wie schafft er es, so schnell das Vertrauen von Madero und anderen zu gewinnen? Viel zu selten gelingt es seinem Biografen, den Agenten aus dem Schatten zu holen und ihn in den Mittelpunkt zu stellen. So erfahren wir zwar, dass er sich elegant kleidet und oft in Gesellschaft der Reichen und Einflussreichen gesehen wird. Doch viel näher kommen wir dem Menschen Sommerfeld nicht.
Als wolle er diesen Mangel wettmachen, arbeitet sich von Feilitzsch an den diversen historischen Hintergründen ab. Er breitet eine Fülle spannender Einzelheiten über die mexikanische Revolution und die Interessen ausländischer Mächte in Mexiko aus, und wo er schon dabei ist, geht er auch ausführlich auf fernere Nebenschauplätze wie den Boxeraufstand oder den amerikanischen Vorwahlkampf des Jahres 1912 ein. Von Feilitzsch hat ausführlich vor allem in US-amerikanischen Archiven recherchiert und zeichnet ein breites Panorama der Diplomatie der Zeit. Leider ufern dabei die Darstellungen des Hintergrunds derart aus, dass sie sich in den Vordergrund schieben und die Hauptfigur an den Rand drängen. So kommt es, dass auf geschätzt weniger als der Hälfte der 680 Seiten nicht einmal der Name des Protagonisten auftaucht.
Für den beginnt ein neues Abenteuer, als Präsident Madero von Putschisten ermordet wird. Sommerfeld muss in die Vereinigten Staaten fliehen, vorsorgt von dort aus den legendären Rebellen Pancho Villa mit Waffen und steckt möglicherweise hinter dem Überfall Villas auf Columbus in New Mexico. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wird Sommerfeld von den US-Amerikanern interniert und verhört, nach seiner Freilassung treibt er sich noch ein wenig im Grenzland herum, dann verliert sich seine Spur.
Es gehört wohl zum Berufsethos von Geheimagenten, möglichst nicht in den Archiven des Feindes aufzutauchen. Deshalb mag man es von Feilitzsch nachsehen, dass er entgegen der Ankündigung im Titel und den vollmundigen Verheißungen des Verlags doch keine Biografie von Felix Sommerfeld geschrieben hat. Trotzdem bleibt das Gefühl zurück, dass irgendwo unter diesen Bergen von Material eine filmreife Geschichte versteckt ist, und es dem Autor nur noch nicht gelungen ist, sie zu erzählen.
Heribert von Feilitzsch. Im Schatten der Öffentlichkeit. Felix A. Sommerfeld, Meisterspion in Mexiko, 1908-1914. Henselstone Verlag, Amissville, Virginia. Internetseite.
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