Bloody Chops – voll auf den Punkt treffen heute Alf Mayer (AM) Michael Robothams „Bis du stirbst“, Stefan Linster (SL) Andrea Camilleris „Die Tage des Zweifels“ und Joachim Feldmann (JF) L.R. Carinnos „Der Verstoß“.
Ein nicht alltägliches Versprechen
(AM) „Books Alive“ war 2008 eine Kampagne der australischen Regierung, bei der im ganzen Land für etwa zwei Millionen australische Dollar kostenlos „50 Books You Can’t Put Down“ verteilt wurden. Heute ist daraus „Get Reading“ geworden, eine Kleinversion der Stiftung Lesen. Exklusiv für diese Kampagne schrieb damals Michael Robotham den kleinen, schnellen, schmutzigen Triller „Bombproof“, jetzt als „Bis du stirbst“ bei Goldmann erschienen.
Zufällig, nein, nicht so ganz zufällig traf ich damals Robotham – und es war ein Erlebnis, wie wörtlich er das Versprechen nahm, dass sein Buch eines von 50 sei, das man einfach nicht weglegen könne. Er meinte es wirklich ernst damit und fand die Idee klasse, mit guter Spannungsliteratur Leute wieder ans Lesen zu gewöhnen.
„Some days are diamonds. Some days are stones. John Denver hatte das gesungen, bevor sein Flugzeug in die Monterey Bay stürzte. Es war kein Diamonds-Tag für ihn gewesen.“ Das sind die ersten Zeilen von „Bis du stirbst“, sie sind auch auf die Hauptfigur gemünzt. Der Roman beginnt im dritten Gang und schaltet sofort hoch, erzählt im Präsens. Sami Macbeth, nicht gerade ein Meister des Verbrechens, kein Juwelendieb, Safeknacker oder Sprengstoffexperte, nur ein Gitarrenspieler, der gern ein Rockstar wäre und immer in die falschen Sachen gerät, ist gerade 54 Stunden aus dem Gefängnis entlassen, hat vor 36 Stunden mit seiner Traumfrau im Savoy gevögelt, vor einer Stunde explodierte in seiner U-Bahn im Londoner West End eine Bombe, jetzt läuft er mit einem Rucksack auf den Schultern durch die Straßen und ist zum meistgesuchten Terroristen des Landes geworden. Da hilft nur noch Inspektor Ruiz … Ja, und auch Joe O’Loughlin taucht ein wenig auf, vor allem aber ist es der krumplige Ruiz, von dem wir wieder mehr erfahren.
„Bis zu stirbst“ ist feine Lektüre. Mustergültig. Humorvoll, bei allem haarsträubenden Ernst. Ein nettes, völlig aus jedem Zusammenhang gerissenes Zitat mag dafür stehen: „Der Sex war so gut, dass sogar die Nachbarn danach eine Zigarette brauchten.“ Michael Robotham ist einer der handwerklich saubersten Kriminalautoren der Welt. Einer, der wirklich allen Ernstes versprechen kann, dass man seine Bücher nicht aus der Hand legt. Am 1. August erscheint in England „Watching You“, auf Deutsch dann im Oktober 2014, denn erst ist hier sein vorletztes noch dran: „Say You’re Sorry“ kommt als „Sag, es tut dir leid“ am 16. September heraus.
Lesen ist für den ehemaligen Journalisten Robotham elementar: „Saying you don’t like books is like saying you don’t like sex“, sagte er mir damals. Als Zugabe noch ein Witz aus „Adrenalin“, den dort der Psychotherapeut Joe O’Loughlin erzählt: Auf einer Straße wird ein Mann niedergeschlagen, blutend und weinend liegt er da. Zwei Psychologen kommen vorbei, und einer sagt zum anderen: „Los, laß uns den finden, der das getan hat. – Er braucht Hilfe.“
Michael Robotham: Bis du stirbst (Bombproof, 2008). Roman. Deutsch von Sigrun Zühlke. München: Goldmann Taschenbuch 2013. 347 Seiten. 9,99 Euro. Mehr von Alf Mayer zu Robotham finden Sie hier.
Urlaubsfreuden
(SL) Es ist wieder mal so weit! Commissario Montalbano fällt wie gehabt ein Fall vor die Füße – itzo in Gestalt einer rätselhaften jungen Frau, die sich als arglose Nichte einer steinreichen, ständig auf den Weltmeeren umhergondelnden Yachtbesitzerin ausgibt, und eines von besagter Yacht aufgelesenen Toten in einem Schlauchboot, dessen Gesicht post mortem bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden ist. Selbstverständlich entpuppt sich das Ganze als eine große Sache, eine Schmuggelaffäre kapitalen Ausmaßes, und tatsächlich ist die Geschichte eher spannender als frühere und nimmt dazu noch ein überraschendes, ja tragisches Ende.
Nun kann gegen Camilleri und seine Sizilienkrimis manches von dem eingewendet werden, was auch auf andere Serientäter (wie Donna Leon, Walker (siehe CrimeMag vom 4.4.2012) und Konsorten) zutrifft. Und außerdem darf man der Ansicht sein, Montalbano habe allmählich genug Meerbarben und sonstiges Seegetier, Alkoholika sowie Zigaretten verputzt, Verbrechen durch Traumverarbeitung, bzw. -deutung und Selbstgespräche aufgeklärt usw.
Doch ich muss zugeben, von Zeit zu Zeit les’ ich den Alten gern. Es ist wie viele Jahre hintereinander Urlaub am selben Ort, in einem etwas betagten Hotel oder der vertrauten Ferienwohnung mit den klappernden Fensterläden nahe am Wasser: Die Freunde dessen schätzen, was sie erwartet, eine wohlige Langeweile mit der Gewissheit, fast alles am gewohnten Platz und die lieb gewonnenen Vergnügen wieder vorzufinden! Wer es nicht mag, sollte unbedingt Abstand davon nehmen. Alle anderen genießen das harmlose Vergnügen, es sich mit dem nicht sonderlich prätentiösen Sanguiniker und seinem Alter ego (wer ist hier eigentlich wer?) gut gehen zu lassen. Auch wenn ich für mein Teil den Zeiten Christiane von Bechtolsheims als „Reiseleiterin“, sprich Übersetzerin weiter nachtrauere …
Andrea Camilleri: Die Tage des Zweifels. Commissario Montalbano träumt von der Liebe (L’età del dubbio). Roman. Aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler. Lübbe 2013. 256 Seiten. 19,99 Euro.
Schwul in der Camorra
(JF) Dass er schwul ist, könnte Giovanni eigentlich seit seiner Zeit im Jugendknast wissen. Als er sechzehn wurde, machten ihm seine Zellengenossen ein ganz besonderes Geschenk. Erregt sieht er zu, wie ein Mitgefangener mehrfach vergewaltigt wird. Doch als er an der Reihe ist, verweigert er sich. Stattdessen erwürgt er das Opfer mit einem zusammengedrehten Bettlaken.
Giovanni ist der Sohn von Don Antonio, einem Boss der Camorra. Und er tut, was er für seine Pflicht hält. Also heiratet er Mariasole, deren Vater einem anderen Clan vorsteht. Es ist eine arrangierte Ehe. Ein Sohn wird geboren. Doch sein eigentliches sexuelles Verlangen zu unterdrücken, gelingt ihm nicht. Als er Salvatore, den Buchhalter seines Vaters, kennenlernt, ist es um ihn geschehen. Eine Amour fou beginnt, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht geheim bleibt. Das ist in der homophoben Gangsterwelt Neapels lebensgefährlich.
In einer direkten, vom Fatalismus der Verzweiflung geprägten Sprache lässt der neapolitanische Schriftsteller L. R. Carrino Giovanni selbst von seinen letzten Tagen erzählen. Weil er ahnt, dass sein Vater schon länger Verdacht geschöpft hat, versucht er, mögliche Zeugen zu beseitigen, auch Salvatore ist unter ihnen. Doch die Strafe für seinen Verstoß gegen die archaischen Gesetze des Männerbundes, in den er hineingeboren wurde, kann Giovanni nicht aufhalten.
Carrionos Kurzroman „Der Verstoß“ ist Literatur der Gewalt par excellence. Hier wird nicht nur eine gleichermaßen repressive wie verlogene Sexualmoral vorgeführt, sondern das organisierte Verbrechen jenseits aller Romantisierung dekonstruiert. Don Antonio, der gnadenlose Gangsterboss, lebt in einer Art persönlichem Hochsicherheitstrakt ausgerechnet dort, wo radioaktiver Abfall illegal entsorgt wurde. Kurz nachdem er seinem Sohn einen Mordauftrag erteilt, fordert er, Dantes „Göttliche Komödie“ zitierend, Gottesfurcht und Respekt vor der Familie ein, wohlwissend, dass Giovanni die nächsten Tage nicht überleben wird.
Auf knappe 80 Seiten bringt es „Aqua Storta“, so der Originaltitel, in der deutschen Übersetzung, diesen folgt ein umfänglicher Essay des Literaturwissenschaftlers Christian Gabriele Morettis zum „schwulen Mafioso“, der sich an einer psychologischen Deutung des Werkes versucht. Wer ein Faible für Seminarprosa besitzt, findet hier reichlich Stoff. Der Wirkung des Romans sind diese nachgeschobenen Erklärungen eher abträglich.
L. R. Carrino: Der Verstoß. (Aqua Storta, 2008). Roman. Deutsch von Klaudia Ladurner. Berlin: Pulpmaster 2013. 124 Seiten. 11,80 Euro. Eine Comic-Fassung des Buches gibt es auch, hier in einer Besprechung des CrimeMag.