Geschrieben am 15. April 2016 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops: April 2016

Bloody Chops 3

Bloody Chops im April 2016

– Zerlegt und serviert von: Joachim Feldmann (JF), Alf Mayer (AM), Alexander Roth (AR), Frank Rumpel (rum), Thomas Wörtche (TW) – über Sigismund Krzyżanowski, Pierre Lagrange, Ioan Grillo, Schünemann & Volic, Elliott Chaze, Brian Panowich, Ross Thomas, Chris Holm, Christine Lehmann, Paolo Bacigalupi, Steven A. Westlake.

krzyzanowski_buchstabenmoerderWörter sind böse

(AM) Der Club der Buchstabenmörder ist eine Geheimgesellschaft im Moskau der 1920er Jahre, deren Mitglieder sich jeden Samstag in einem Raum voller leerer Bücherregale treffen, um sich Geschichten zu erzählen, jede noch phantastischer als die andere. Nichts davon darf zu Papier gebracht werden, Buchstaben gelten dem Club als Ideengefängnisse und müssen zerstört, Manuskripte müssen verbrannt werden. 1925 bis 1926 entstanden, ist diese auch mit den Topoi der Kriminalliteratur spielende Metafiktion nun erstmals in einer deutschsprachigen Übersetzung zugänglich. Mit Lesebändchen und rotem Vorsatzpapier, schönem Satzspiegel und einem informativen Nachwort ausgestattet, gestaltet der feine Dörlemann-Verlag aus Zürich so einem bei uns (noch) unbekannten Meister der Moderne ein liebevolles Entree.

Maxim Gorki hatte durch ein Gutachten („zu intellektuell und nutzlos für die gegenwärtigen Aufgaben der Arbeiterklasse“) dazu beigetragen, dass der polnisch-russische Autor Sigismund Krzyżanowski (1887–1950), ein Emigrant aus der Ukraine, der 1922 aus Kiew nach Moskau übergesiedelt war, Zeit seines Lebens nie ein Buch veröffentlichen konnte, wiewohl er in Moskauer Theaterkreisen den Ruf eines außergewöhnlichen Autors genoss. Erst zu Perestroika-Zeiten brachte Wadim Perelmuter eine sechsbändige Werkausgabe heraus, seitdem gilt Krzyżanowski neben Bulgakow, Pilnjak und Leonow als ein herausragender Vertreter der literarischen Moderne. Im französischen Verlag Éditions Verdiers erschien er bereits in frühen 1990er-Jahren. Bei uns ist dieser „Kschischanowski“ ausgesprochene Autor, der William Burroughs „Verschwinden im Schweigen“ vorwegnahm und ein Gegenmodell von Borges‘ Universalbibliothek entwarf, noch zu entdecken.

„Wörter sind böse und zählebig“, heißt es zum Ende der „Buchstabenmörder“ „und jeder, der sich an ihnen vergreift, wird eher von ihnen getötet, als dass er sie tötet.“

Sigismund Krzyżanowski: Der Club der Buchstabenmörder. Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Nachwort von Thomas Grob. Verlag Sabine Dörlemann, Zürich 2015. 224 S., 17,90 Euro.


51HtCy1X0AL._SX319_BO1,204,203,200_Samt Mops einer Lösung zugeführt

(JF) Ein perfekt auf seine Zielgruppe zugeschnittenes Produkt aus dem Hause Scherz ist anzukündigen. Die Annahme, das deutsche Lesepublikum sei vor allem auf heimatnah spielende Kriminalromane erpicht und würde höchstens Venedig oder die skandinavische Provinz als Ort fiktiver Verbrechen akzeptieren, hat sich als kurzsichtig erwiesen. So genannte Urlaubskrimis – gerne in pittoresken Regionen Frankreichs angesiedelt – haben erstaunliche Verkaufszahlen zu verzeichnen. Wichtig ist allerdings, dass sie zuhause angefertigt werden. Denn die Bedürfnisse hiesiger Buchkäufer kennen heimische Autoren am besten. Also legen sie sich ein wohlklingendes französisches Pseudonym zu und basteln wie nach Vorlage einen bestsellerverdächtigen Schmöker nach dem anderen.

„Tod in der Provence“, von einem „bekannten deutschen Autor“ (Klappentext) unter dem Namen Pierre Lagrange verfasst, befriedigt nicht nur die Sehnsucht nach pensionierten französischen Kriminalisten, die in idyllischer Landschaft ihren Ermittlungen nachgehen, sondern stillt auch das Bedürfnis, durchgeknallten Serienmördern bei der Arbeit zuzusehen. In diesem Fall haben wir es mit einem axtschwingenden Wahnsinnigen zu tun, der es auf ausgesuchte Körperteile seiner Opfer abgesehen hat, um sie zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzufügen. Und weil „das Material noch unvollständig“ ist, wie uns dieser verwirrte Erbe Dr. Victor Frankensteins im unvermeidlichen Prolog mitteilen lässt, schwebt eine der weiblichen Figuren des Schauerstücks unter südlicher Sonne in höchster Gefahr. Aber keine Sorge: Kommissar im Ruhestand Albin Leclerc ist samt Mops Tyson rechtzeitig zur Stelle, um das Schlimmste zu verhindern.

„Das Schicksal geht manchmal seltsame Wege“, heißt es an einer Stelle im Buch, bevor ein wenig Rosé nachgeschenkt wird. Wer diese Überzeugung teilt, in seiner Lektüre aber gerne von unangenehmen Überraschungen ästhetischer Natur verschont bleibt, erwirbt mit „Tod in der Provence“ ein verlässliches Produkt.

Pierre Lagrange: Tod in der Provence. Ein Fall für Albin Leclerc. Scherz Verlag, Frankfurt 2016. 446 Seiten, 14,99 Euro.


cover grillo8Gangsterkriege mit neuer Qualität

(AM) Es sind verstörende, postmoderne Netzwerke, die Gangs, Mafiastrukturen, Todesschwadronen, religiöse Kulte und städtische Guerilla unbekümmert vermischen. In vieler Hinsicht operieren sie gleich. Ob in Michoacán, Mexiko, oder in den Favelas von Rio gibt es die Späher, die beobachten, wer sich in ihr Hoheitsgebiet hinein bewegt. Gangs sorgen für Pufferzonen in San Pedro Sula, Honduras; wie in Kingston, Jamaica. Gangster halten ihre eigenen Gerichtstribunale, ob in den Vorstädten Sao Paulos oder in den mexikanischen Bergen. Zwischen 2000 und 2010 sind die Mordraten in Lateinamerika und der Karibik um 11 Prozent gestiegen, während sie meist überall auf der Welt zurückgingen. Acht der zehn Länder mit der höchsten Mordrate liegen hier, ebenso 43 der 50 gefährlichsten Städte der Welt. Es gibt kaum verlässliche Statistiken, aber konservativ gerechnet, kommt man für diese Region im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts auf über eine Million Ermordete.

„Es ist ein vom Kokain befeuerter Völkermord“, sagt der britische Reporter Ioan Grillo, langjähriger Mexiko-Korrespondent und Autor von „El Narco: The Bloody Rise of Mexican Drug Cartels“ (2011). Jetzt hat er sich auf vier „crime families“ konzentriert: das „Red Commando“ in Brasilien, die „Shower Posse“ auf Jamaica, die „Mara Salvatrucha“ in Zentralamerika und die „Kreuzritter“ in Mexiko. Der Vollblutreporter Grillo porträtiert eine neue Art hybrider krimineller Organisationen und ihrer Könige, sie sind halb Vorstandsvorsitzende und halb Terroristen, halb Rockstars, halb Erlöser. Grillo beschreibt den blutigen Krieg, der den Kalten Krieg abgelöst hat, seziert Mechanik und Kultur. Ein hartes, informatives, erschreckendes Buch. Eine Ergänzung auch zu der in dieser CrimeMag-Ausgabe besprochenen Reportage von Óscar Martínez „Eine Geschichte der Gewalt“.

Ioan Grillo: Gangster Warlords. Drug Dollars, Killing Fields and the New Politics of Latin America. Bloomsbury, London 2016. Trade Paperback, 378 Seiten. 12,99 GBP.


41XJcXhoxWL._SX314_BO1,204,203,200_Gehobenes Handwerk

(JF) Eigentlich sollte sich Milena Lukin vor allem theoretisch der Welt des Verbrechens widmen. Damit die Kriminologin aus Belgrad auch als Ermittlerin in Erscheinung treten kann, bedarf es eines kleinen Erzähltricks: Man erfindet einen engen Verwandten, in diesem Fall einen liebenswürdigen alten Onkel, der in einem der beiden Mordopfer seine Jugendliebe wiedererkennt. Das ist Motivation genug und sorgt zudem für jenes familiäre Ambiente, das erfolgreiche Kriminalromane dieser Tage auszeichnet. Tatsächlich ist dem deutsch-serbischen Autorenduo Christian Schünemann und Jelena Volic mit seinem zweiten Gemeinschaftswerk –  auf „Kornblumenblau“ folgt „Pfingstrosenrot“ – ein exemplarisches Stück gehobener Unterhaltungsliteratur gelungen. Im Kosovo wird ein serbisches Ehepaar ermordet. Die alten Leute waren nach langen Jahren im Exil in ihre frühere Heimat zurückgekehrt, wo sie alles andere als freundlich aufgenommen wurden. Auch viele Jahre nach dem Ende der Balkankriege ist der Konflikt zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minorität längst nicht beigelegt. Anlässe zur Gewalt gibt es viele. Aber warum werden zwei betagte Menschen, die den Versprechungen eines von der Europäischen Union finanzierten Rückkehrprogramms vertraut hatten, zum Opfer? Milena Lukin beginnt mit ihren Nachforschungen, die sie auch in den Kosovo führen. Dabei stößt sie auf die übliche Gemengelage von Korruption, Geldgier und Machthunger. Und zwar im heimischen Belgrad. Selbstredend spielt ein hoher Politiker eine üble Rolle. Unrealistisch ist das nicht. Gerne glaubt man, dass der durch sein Amt geschützte, nicht ganz klischeefrei gezeichnete Oberschurke ungestraft davon kommt.

Schünemann und Volic beherrschen ihr Handwerk, das in diesem spezifischen Genre auch darin besteht, gelegentlich den Plot ein wenig aus den Augen zu verlieren. Eine Leiche – ja, es geschieht ein weiterer Mord – darf nicht einfach von anonym bleibenden Spaziergängern oder spielenden Kindern gefunden werden. Stattdessen wird dem alten Herrn, dessen Hund den Toten aufstöbert, ein subtiles, immerhin mehr als drei Buchseiten umfassendes, Porträt gewidmet. Es sind handlungsverzögernde Kunstgriffe dieser Art, die uns Lesern das gute Gefühl vermitteln, dass es sich bei diesem hübschen Diogenes-Leinenbändchen um mehr als einen schlichten Krimi handelt. Was ja auch nicht ganz falsch ist.

Schünemann & Volic: Pfingstrosenrot. Ein Fall für Milena Lukin. Diogenes Verlag, Zürich 2016. 356 Seiten, 22,00 Euro.


BlackWingsHasMyAngelVerschollenes aus dem Noir-Olymp

(AM) „Sie hatte das Gesicht einer Madonna und ein Herz aus Dollarscheinen“ steht auf dem Cover der hoch gehandelten Originalausgabe von 1953. Es ist ein legendäres Buch, das viele Jahre so gut wie niemand kannte oder in den Fingern hatte, ganz weit oben im Noir-Olymp verankert, es gilt als das lupenreinste und edelste aller je veröffentlichten Gold-Medal-Taschenbücher. Der Ich-Erzähler Timothy Sunblade ist aus einem Gefängnis entkommen, lernt eine femme fatale namens Virginia kennen und versucht mit ihr, in ein bürgerliches Leben zu finden. Wir alle wissen, das wird und kann nicht gut enden – aber das Buch ist verdammt gut geschrieben, bewegt sich durch eine erstaunliche Vielzahl von blendend geschilderten Milieus.

Es war der einzige Ausflug ins „pulp noir“, den der längst vergessene Schriftsteller Elliott Chaze je unternahm. Seine Werke erschienen neben John O’Hara, Norman Mailer, James Jones und Ernest Hemingway, der „The Stainless Steel Kimono“, den ersten Roman von Chaze, der von Fallschirmjägern im Zweiten Weltkrieg handelte, zu seinen Lieblingsbüchern zählte. Jetzt ist „Black Wings Has My Angel“ in der feinen Klassikabteilung der New York Review Books (NYBR) wiederaufgelegt worden. Das Vorwort stammt von Barry Gifford, der lange für dieses kleine Meisterwerk kämpfte und einmal David Lynch beinahe so weit hatte, es zu verfilmen.

Timothy Sunblade übrigens hat eine nihilistische Weltsicht, die er „die Räuber-Philosophie“ nennt: „People are no damned good. Get yours, boy, while there’s some left. And get it while you’re young enough to live it up.

Elliott Chaze: Black Wings Has My Angel. NYRB Classics, New York 2016. Introduction by Barry Gifford. Trade Paperback, 224 Seiten, 10,36 USD.


Download (6)Der Schicksalsberg steht in Georgia

(AR) Seit Jahrzehnten lebt der Burroughs-Clan schon auf Bull Mountain. Generation um Generation verdienen sie ihr Geld damit, das Umland mit verbotenen Substanzen zu fluten, bis sich die zwei letzten noch lebenden Familienmitglieder, die Brüder Halford und Clayton, dazu entschließen, getrennte Wege zu gehen. Während der eine (sozusagen als „Heimchen am Herd“) weiterhin zuhause den Meth-Kochlöffel schwingt, zieht es den anderen ins Tal hinab. Er hätte ja nicht gleich Sherriff werden müssen. Denn als ein Bundesagent die empfindliche Ying-Yang-Harmonie stört, weil er die von Halford angeführten Outlaws ein für alle Mal vom Berg scheuchen will, stehen sich die zwei Brüder plötzlich als Feinde gegenüber. Und jeder, der selbst Geschwister hat, weiß: Das muss böse enden.

Ein Familiendrama aus dem „dreckigen Süden“, wie man es lange nicht gelesen hat. Brian Panowich tanzt seine Leserinnen und Leser mit Zeitsprüngen schwindelig, um ihnen das ganze Ausmaß der sich langsam aufbauenden Katastrophe vor Augen zu führen, und funktioniert den titelgebenden Berg dabei zum Totenacker um. Sein Erfolgsrezept: Wenige, dafür umso stärkere Charaktere, sowie jede Menge Wut, Schuld und verdrängte Gefühle. Das Ergebnis: Ein Mafiaepos als Country Noir.

Eine Sache ist allerdings ärgerlich: Da schreibt der Mann einen der spannendsten Romane der letzten Monate und baut dann tatsächlich einen Twist ein, den man bereits hunderte Meilen gegen den Wind riechen kann. Diese Tatsache alleine hätte man noch locker verschmerzen können, wäre es darüber hinaus nicht auch noch so verdammt unnötig. Panowichs Buch funktioniert auch völlig ohne Aha-Effekte einwandfrei, es ist sogar noch um ein Vielfaches spannender, auf einen Abgrund zuzusteuern, von dem man weiß, dass er existiert, dem man aber trotzdem nicht ausweichen kann. Oder anders gesagt: Kein Mensch braucht nach der Hälfte des Aufstiegs eine Wegmarkierung um sich sicher zu sein, dass er von da oben nicht runterfallen will.

Brian Panowich: Bull Mountain. Roman. Aus dem Amerikanischen von Johann Christoph Maas. Taschenbuchausgabe. Suhrkam Verlag, Berlin 2016. 335 Seiten, 9,99 Euro.


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Persönliches schimmert durch

(TW) Beim Alexander Verlag schreitet die Ross Thomas-Werkausgabe voran, zweifelsohne einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, um’s mal bescheiden zu formulieren. Jetzt also die „Porkchoppers“, bisher nur um fast zwei Drittel gekürzt unter dem Titel „Wahlparole: Mord“ auf Deutsch erhältlich gewesen. Wenn man bei einem so kühl distanzierten Autor wie Ross Thomas überhaupt davon sprechen kann – Porkchoppers ist sein „persönlichstes Buch“, also das mit am meisten Ross Thomas himself drin.

Der Roman von 1973 dreht sich um den Wahlkampf von zwei Kandidaten um den Vorsitz einer nicht ganz unbedeutenden Gewerkschaft, ein Milieu das Thomas bis ins Detail kannte, weil er selbst Wahlkampagnen dieser Art lange Jahre beraten hat. Natürlich ist das kein biographischer Roman, aber viele, auf die verschiedenen Figuren verteilte Charakterzüge des Autors finden sich durchaus. Zudem ist das Buch auch ein eindrucksvolles Porträt eines Alkoholikers, so klischeefrei und treffend, so detailreich und subtil, dass viele Züge des Ex-Alkoholikers Ross Thomas durchschimmern.

Auch wenn der Roman im Vergleich zu seinen anderen Büchern sich viel Zeit und Raum für explizite Charakterschilderungen nimmt (ansonsten greift Ross Thomas eher zu einer ausgefuchsten Poetik der Beschreibung), ist er dennoch ein giftiger, bösartiger und was die Mechanismen von Macht, Medien und Gewalt betrifft, immer noch aktueller Roman. Genaugenommen ein wunderbar komprimierter Katalog der menschlichen Gemeinheit und moralischen Indolenz, die das System am Laufen halten.

Ross Thomas: Porkchoppers. (The Porkchoppers, 1972). Thriller. Aus dem Amerikanischen neu übersetzt und mit Nachbemerkungen von Jochen Stremmel. Berlin: Alexander Verlag, 2016 (1. Aufl. – Frankfurt/M.: Ullstein, 1973 unter dem Titel »Wahlparole: Mord«), 308 S., 14.90 Euro


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Thriller mit geringem Thrill

(JF) Im Fernsehen kann man seit vielen Jahren dem Serienmörder Dexter Morgan dabei zusehen, wie er andere Serienmörder umbringt. Also war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Profikiller auftaucht, der andere Profikiller tötet, bevor sie ihren Auftrag erledigen können. Gegen ein exorbitantes Honorar, versteht sich. Michael Hendricks, ehemals Elitesoldat im Dienst der US-Armee, nimmt denjenigen, die er vor einem gewaltsamen Ende bewahrt, das Zehnfache dessen ab, was seine Opfer in Rechnung gestellt hatten. Verwunderlich ist allerdings, dass es einige Zeit dauert, bis sein Treiben einschlägigen Kreisen auffällt. Als es soweit ist, wird, wie könnte es anders sein, jemand angeheuert, der den Spielverderber beseitigt. Engelmann heißt der böse Bube, gebürtiger Schweizer und mit wahrer Begeisterung bei der Sache. Schon bald ist ihm klar, dass er seinen Auftrag am besten erledigen kann während Hendricks seinem Gewerbe nachgeht.

Der amerikanische Autor Chris Holm, dem wir diesen Plot verdanken, braucht ein bisschen mehr als die Hälfte seines Romans für vorbereitende Erklärungen, dann lässt er drei Berufskiller in einer blutigen Slapstick Szene aufeinander los. Von diesem zweifelhaften Höhepunkt bis zum Showdown zwischen Hendricks und Engelmann sind es dann noch ungefähr einhundert Seiten. Und die ziehen sich. Es ist schon erstaunlich, wie es dem Autor gelingt, seinen an erlesenen Grausamkeiten reichen Thriller zu einer langatmigen und sentimentalen Lektüre werden zu lassen.

Chris Holm: So was von tot. Thriller. (The Killing Kind. 2015). Aus dem Amerikanischen von Karin Diemerling. 314 Seiten. München: Knaur 2016. € 9,90.


1211xSteaks vom Koch

(rum) In ihrem zwölften Kriminalroman knöpft sich die Autorin Christine Lehmann, die seit 2014 auch Grünen-Stadträtin in Stuttgart ist, die Veganerszene vor, insbesondere deren Ränder, wo aus Ideen schnell mal Ideologien werden und der Weg zu engstirniger Sektiererei und Radikalisierung häufig nicht weit ist. Freilich ist das bei Lehmann gnadenlos überzeichnet, aber die ganz reale Basis, von der aus sie da konsequent weiter gedacht hat, ist gut zu erkennen.

Die Staatsanwaltschaft wird auf einen Blog aufmerksam, in dem eine Veganerin darüber fantasiert, dass Menschen die Grausamkeit industrieller Fleischproduktion wohl erst dann begreifen, wenn es so etwas wie ein Menschenschlachthaus geben würde. Im Blog wird ein bekannter Fernsehkoch erwähnt. Der ist verschwunden und die Polizei geht davon aus, dass da durchaus ein Zusammenhang bestehen könnte. Tatsächlich wird es dann unappetitlich: Seine übel zugerichtete Leiche wird gefunden und es besteht der Verdacht, dass sein Fleisch fachmännisch verpackt und etikettiert in Supermärkte geschmuggelt wurde. Lehmanns Protagonistin Lisa Nerz mischt sich unter die Hardcore-Veganer, um den Urheber des Blogs zu ermitteln. Doch die Szene ist misstrauisch.

Lehmanns Protagonistin und Ich-Erzählerin geht die Sache gewohnt hemdsärmlig an, ohne dabei die philosophischen Diskussionen über Tierwohl und Ernährung zu umschiffen. Sie ist  scharfzüngig, streitlustig und hat eine Allergie gegen alles, was nach Konvention riecht. Auch diese waghalsige Geschichte hat Lehmann mit handfestem Humor grundiert, sie ist frisch, ruppig, gelegentlich schrill, stets vielschichtig. Unter Veganern wird sie sich damit wohl keine Freunde machen.

Christine Lehmann: Allesfresser. Argument-Verlag, Hamburg 2016. 254 Seiten, 12 Euro.


Water - Der Kampf beginnt von Paolo Bacigalupi

J.G. Ballard Was Here

(AM) „Es gab Geschichten, die der Schweiß erzählte.“ Das ist nicht der schlechteste Anfang für einen Thriller, den man in Abwandlung von Sci Fi wohl der Cli Fi, der Klima-Science-Fiction zurechnen kann. Paolo Bacigalupi, als Fantasy-Autor vielfach preisgekrönt, eine Erzählung gerade für den Edgar nominiert, erzählt in seinem siebten Buch eine gewaltgesättigte Noir-Geschichte für Erwachsene, setzt sie einige Jahrzehnte in die Zukunft, mitten in einen Wasserkrieg. „Chinatown meets Mad Max“, fand das National Public Radio (NPR). Hauptperson ist Angel Velasquez, das „Wassermesser“, ein  Fixer/ Ausputzer/ Killer zwischen Phönix und Las Vegas auf der Jagd nach neuen Ressourcen in einem ausgetrockneten, vor der Katastrophe stehenden amerikanischen Südwesten, wo das Wasser zu einer heiligen Währung geworden ist.
Eine Gewaltvision also für ein Land, das immer noch nicht so recht an den Klimawandel glaubt und bisher alle Warnungen in den Wind geschlagen hat. Frank Herberts „Dune“ klingt an, der Cyberpunk von William Gibson, die Dust Bowl Okies der Großen Depression, „Chinatown“ (1974), der bei uns unbekannte, mit Mike Davis befreundete Crime-Autor John Shannon mit Titeln wie „The Concrete River“ (1996) oder „The Taking of the Waters“ (1994). Der MacGuffin des Romans ist Marc Reisners Sachbuch von 1986, „Cadillac Desert. The American West and its Disappearing Water“, eine frühe Warnung. Noch früher war der hoffentlich bald wiederentdeckte große J.G. Ballard, der das Thema schon 1964 in seinem dritten Roman „The Burning World“ durchdeklinierte (später umbenannt in „The Drought“, dt. „Welt in Flammen“, 1984 dann bei Suhrkamp als „Die Dürre“). Charles Bowden, der große Essayist des Südwestens (sein CM-Nachruf hier), dem das Grenzland so etwas wie der Fokus unserer Zivilisation war, schrieb 1977 in seinem „Killing the Hidden Waters“: „Fegt man den Schleier weg von der Geschichte der westlichen Zivilisation, dann ist, was all die Jahrhunderte verbindet, Ausbeutung und Aufbrauchen der Ressourcen.“

Paolo Bacigalupi: Water. Der Kampf beginnt (The Waterknife, 2015). Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, München 2016. 464 Seiten, 19,99 Euro.


5195IS0xV0L._SX307_BO1,204,203,200_Sherlock in Bari

(rum) „Trügerische Gewissheit“ ist eine überschaubare, aber sehr interessante Geschichte des apulischen Autors und ehemaligen Antimafia-Staatsanwalts Gianrico Carofiglio, der vor allem mit seinen Romanen um den selbstkritischen Anwalt Guido Guerrieri bekannt wurde. Diese Geschichte spielt Ende der 1980er Jahre in Bari, wo ein scheinbar klarer Fall einem skeptischen Maresciallo der Carabinieri keine Ruhe lässt.

Nach einem Mord in einem Mehrfamilienhaus lenkt eine aufmerksame Nachbarin den Fokus der Ermittler auf einen jungen Mann, dem sie kurz nach der Tat begegnet war. Der junge Mann ist rasch identifiziert, wird etlicher belastender Indizien wegen verhaftet, schweigt aber. Als Täter will ihn der Maresciallo nicht so recht akzeptieren, zumal dessen Verlobte bei der Tat eine Rolle zu spielen scheint, das Motiv aber rätselhaft bleibt.

Es ist eine schön geplottete Geschichte, in der Carofiglio den Blick der Leser elegant lenkt und aus dem scheinbar Absehbaren doch noch Überraschendes zutage fördert. Er hat einen sympathischen, zurückhaltenden Protagonisten geschaffen, der nicht bereit ist, das allzu Offensichtliche und damit den schnellen Ermittlungserfolg ohne weiteres zu akzeptieren, der, ganz im Sinne Sherlock Holmes, auf den Carofiglio etwas zu oft verweist, feine Unstimmigkeiten in der Beweisführung ernst nimmt, auf kleinste Hinweise achtet und so dem wirklichen Täter und dem wahren Motiv auf die Spur kommt. Wunderbar unaufgeregt und gekonnt erzählt.

Gianrico Carofiglio: Trügerische Gewissheit (Una mutevole veritá, 2014). Aus dem Italienischen von Monika Lustig. Folio-Verlag, Wien 2016. 143 Seiten, 14,90 Euro.


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Hitler sells

(AM) Die Amis haben zu Hitler ein anderes Verhältnis, gehen lockerer damit um. (Zum Verhältnis der Deutschen siehe die aktuelle LitMag-Besprechung von „Mensch, Adolf“.) Otto Penzler quietschte vor Vergnügen, als er mir auf der letzten Buchmesse von einem Buchprojekt erzählte, „das ihr Deutschen sicher nie machen könntet“. Der Gründer des Mysterious Bookshop und der Mysterious Press hatte mir gegenüber schon mehrfach darauf rekurriert, dass Elmore Leonard ihn ja in „Comfort for the Enemy“ (2009) zum „Obersturmbannführer Otto Penzler“ befördert hatte, und sich jedes Mal einen Ast gelacht. Nun erzählte er, dass sein auch im eBook-Publishing aktiver Verlag Mysterious Press die Rechte an derNational Police Gazette“ erworben habe, Amerikas erstem Boulevardblatt seit 1845, manchmal auch als „das verrückteste Magazin aller Zeiten“ bezeichnet. Also eine Fundgrube.

Als Redakteur zuständig für die Aufarbeitung und Aufbereitung der alten Skandalgeschichten – und man kann sich hier wirklich jede, der BILD als zu sehr durchgeknallte geltende Überschrift und Story ausmalen – sei der Sohn eines alten, leider toten Freundes: Steven A. Westlake. Der tritt meist als William A. Mays auf, servierte Otto als erstes „Police Gazette“-Projekt den nun erschienenen Band: „Hitler Is Alive! Guaranteed True Stories …“. Also Hitler-Sichtungen auf der ganzen Welt.

Wohlwollend betrachtet, eine Subgeschichte von Ängsten, Phantasien und Verschwörungsorgiastik. Im Oktober 1946 fragte das Blatt zum ersten Mal „Is Hitler Dead?“, richtig los ging es damit aber erst fünf Jahre später. Zwischen 1951 und 1968 erschienen 76 Hitler-bezogene Artikel, war er 37 Mal auf dem Cover. „Hitler sells“, schien die Devise, er war der „longest running gag“ der „Police Gazette“, heißt es im Vorwort. Digitalisierten Einblick in das Skandalblatt gibt es auf: www.policegazette.us

Steven A. Westlake (ed.): Hitler Is Alive! Guaranteed True Stories by the National Police Gazette. A Mysteriouspress.com Original, New York 2016. Als eBook oder Trade Paperback, 426 Seiten, 16,99 USD.

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