Bloody Chops – schnell, roh und blutig … Heute am Beil Karsten Hermann (KaHe) und Joachim Feldmann (JF), auf dem Block Walter Kirns „Blut will reden“, Peter James’ „Mörderische Obsession“ und Flore Vasseurs „Kriminelle Bande“.
Oberflächliches Spiel mit der Identität
(KaHe) In ein Spiegelkabinett aus falschen Tatsachen und bösen Absichten führt der Amerikaner Walter Kirn den Leser in seinem neuen Roman „Blut will reden“, der im Untertitel die Zeile „Eine wahre Geschichte von Mord und Maskerade“ trägt.
Der Wahrheitsgehalt des Buches wird dadurch untermauert, dass der Hauptprotagonist des Buches ein Schriftsteller namens Walter Kirn ist, der im abgeschiedenen Montana lebt. Zwischen zwei Büchern übernimmt er den reichlich merkwürdigen Job, einen behinderten Gordon Setter zu einem reichen Exzentriker namens Clarke Rockefeller in New York zu bringen – mit der „Vorahnung, dass ich auf eine ganz besondere Persönlichkeit treffen würde.“ Diese Vorahnung wird bestätigt und Clarke erweist sich als „ein putziger kleiner Hobbit, der sich selbst für so amüsant hielt, dass er etwas Wahnhaftes hatte.“
Es beginnt eine langjährige Beziehung zwischen den beiden, die so lange währt, bis Clarke Rockefeller des Mordes angeklagt wird und sich der Verdacht mehrt, dass er nichts mehr als ein gewiefter Hochstapler und Verbrecher ist. Walter Kirn wohnt dem Prozess bei und versucht das Leben eines Mannes zu rekonstruieren, dem er bedingungslos auf dem Leim ging. Clarke Rockefeller erweist sich als „ein Kannibale der Seele“ und „eine Mischung aus Tinte und Zelluloid“, der sein Leben aus realen und fiktionalen Menschen zusammen gesetzt hat – eine besondere Rolle spielen dabei Film Noir-Stoffe von Alfred Hitchcock und Orson Welles sowie der talentierte Mr. Ripley von Patricia Highsmith. Der reale Schriftsteller Walter Kirn spielt in diesem Roman auf durchaus unterhaltsame Weise mit dem Motiv des literarisch gebildeten Hochstaplers und Verbrechers, der Mord für eine Kunst hält und ihn wie Raskolnikow in „Schuld und Sühne“ bzw. „Verbrechen und Strafe“ einfach begeht, weil er die Freiheit dazu hat und der Überzeugung ist, das perfekte Verbrechen zu begehen. Allerdings ist der Charakter des Clark Rockefellers reichlich fadenscheinig ausgearbeitet und vermag keine psychologisch-ästhetische Sogkraft zu entwickeln. Der Roman bleibt so an der spiegelnden und von Name Dropping geprägten Oberfläche des Spiels mit der Identität stehen.
Walter Kirn: Blut will reden. Roman. München: C.H. Beck 2014,. 283 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und die Website des Autors.
Bloß nicht überfordern
(JF) Gaia Lafayette, von ihrem Erfinder als eine Mischung aus Madonna und Lady Gaga konzipiert, trug früher einen anderen Namen. Da war sie noch das kleine Mädchen aus einfachen Verhältnissen. Nun kehrt sie als internationaler Popstar in ihre Heimatstadt Brighton zurück, um die Hauptrolle in einem Historienfilm zu übernehmen. Dummerweise hat sie nicht nur Fans, sondern wird auch von üblen Stalkern verfolgt. Einer hätte sie beinahe umgebracht. Deshalb muss Detective Superintendent Roy Grace für ihren Schutz sorgen. Keine leichte Aufgabe für den sympathischen Kriminalisten, der sich eigentlich um den grausigen Fund eines menschlichen Rumpfes unter dem Mist einer Hähnchenmastanstalt kümmern sollte. Außerdem wird er selbst verfolgt. Ein auf Bewährung entlassener Gewaltverbrecher, den er einst hinter Gitter brachte, ist offenbar auf Rache aus. Und dann ist da noch eine weitere Bedrohung, von deren Existenz er selbst nichts ahnt, wir als Leser aber schon.
Denn wir befinden uns in den Händen des englischen Erfolgsautors Peter James, der sein Figurenensemble fest im Griff hat. Souverän geleitet er uns durch die verzwickte Handlung seines neuen Thrillers „Mörderische Obsession“, immer darauf bedacht, dass wir den Faden nicht verlieren. Die Auflösung ist dann auch keine wirkliche Überraschung, zumal sich der Autor eines beliebten Genre-Tricks bedient. Heraus kommt ein akzeptabler, wenn auch ein wenig synthetisch wirkender Spannungsroman, der Leser unterm Sonnenschirm, denen es bekanntermaßen schwerfällt, sich zu konzentrieren, nicht überfordert.
Peter James: Mörderische Obsession (Not Dead Yet, 2012) Roman. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg. Frankfurt am Main: Fischer/Scherz 2014. 413 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.
Die Verschwörung der Finanzwelt
(KaHe) Nach den Zeiten von Börsencrash und Occupy Wall Street führt die Französin Flore Vasseur mit ihrem ersten auf deutsch übersetzten Roman in das nach wie vor dunkle Herz der Finanzwelt und offenbart eine Schlangengrube aus ungeahnten Manipulationen und politischen Verschwörungen bis in die EU-Spitze.
Vasseurs Protagonisten sind alles Absolventen der Pariser Eliteuni HEC und sitzen mittlerweile an den Schaltstellen der Macht in Politik und Finanzwesen. Sébastien ist so PR-Chef der Mega-Bank Folman Pachs, die nicht nur von ungefähr an die für sämtliche Exzesse und Entgleisungen der Finanzspekulation stehende reale Bank Goldman Sachs erinnert. Genannt wird diese Mega-Bank „Die Krake“ und sie, in deren geschlossenen Ökosystem tausende Trader-Klone leben, hat eine „zweifache Obsession – Macht und Diskretion“. Die anderen aus der Clique sind als Derivate-Spezialist und Bankensanierer, als rechte Hand der französischen Finanzministerin, als Journalistin und PR-Beraterin, als „Königin im Reich der Phrasen und der Manipulation“ beschäftigt und schieben sich gegenseitig die Bälle zu. Sie alle sind emotional bankrott und führen ein entfremdetes Leben im zynischen Dienste der Macht- und Finanzeliten und ihrer Seilschaften. Doch dann stößt Sébastien auf die „Affäre Brandenburg“, einen bandenmäßig organisierten Betrug rund um den Euro und die Währungsunion. Er versucht die Notbremse zu ziehen und bringt dadurch nicht nur sein Leben und das seiner Freunde außer Kontrolle, sondern droht die gesamte Finanzwelt und Politik bis in ihre Spitzen zu erschüttern. Doch das System schlägt zurück.
Flore Vasseurs „Kriminelle Bande“ ist ein Wirtschaftskrimi und, wie sie selbst im Vorwort erläutert, zugleich ein Buch, das auf Tatsachen beruhen soll. Mittels QR-Codes am Seitenrand erhält der Leser daher auch Zugriff auf dokumentarische Quellen im Internet, die die Realitätsnähe dieses Romans untermauern sollen – eine Idee, die Schule machen könnte und das Buch reizvoll zwischen Fiktion und Realität oszillieren lässt. Und doch wirkt dieser Roman in der Gesamtheit mit seinen Figuren über weite Strecken überzeichnet und schon fast klischeehaft karikierend. Vasseur spielt allzu offensichtlich die Melodie der politischen Agitation und klassischer Verschwörungstheorien, die hinter allem ein riesiges Netzwerk aus Manipulation und Überwachung vermuten, dem der Einzelne ohnmächtig ausgeliefert ist. „Wer wirklich regiert, wurde nicht gewählt“ lässt sie einen ihrer Protagonisten so urteilen und die Schlussfolge lautet: „Das Problem besteht niemals darin, herauszufinden, ob man paranoid ist. Sondern, ob man paranoid genug ist.“
Flore Vasseur: Kriminelle Bande. (En bande organisée, 2013). Roman. Deutsch von Christian Driesen. Berlin: Haffmanns & Tolkemitt, 2014. 354 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autorin.