Geschrieben am 9. November 2013 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – swuuuuusch’n splatter ‒ Alf Mayer (AM) über Andrew Kaplans Homeland-Prequel „Carries Jagd“ und Joachim Feldmann (JF) über Jesper Steins „Unruhe“ und Michael Harveys „Kein Opfer ist vergessen“.

Jesper_Stein_UnruheKein Glück, nirgends

(JF) Axel Steen schläft schlecht. Auch der abendliche Joint hilft nur bedingt gegen die Panikattacken, von denen er vor allem nachts heimgesucht wird. Seine Träume hingegen sind so übel nicht. Dass sein Mobiltelefon ihn allerdings ausgerechnet in dem Moment wecken muss, als er mit seiner Exfrau, deren „Augen vor Verlangen und Lust“ glühen, auf einen erotischen Höhepunkt zusteuert, zeigt die Entschlossenheit, mit welcher der dänische Krimi-Debütant Jesper Stein seinem Helden die Laune verderben will. Als einer der besten Ermittler beim Kopenhagener Morddezernat hat Steen nämlich keinen Anspruch auf privates Glück. So will es die derzeit gültige Krimikonvention, deren Maßgaben Stein mit Akribie nachzukommen versucht. Deshalb versteht es sich auch von selbst, dass Axel Steens Personalakte „voll von Dienstaufsichtsbeschwerden“ ist: „… er meckerte zu viel und beschwerte sich zu oft, nahm Abzweigungen vom Dienstweg, die jeglicher Rechtsgrundlage entbehrten“.

Der nächtliche Anruf übrigens ruft ihn zu einem Einsatzort ganz in der Nähe seiner Wohnung. Steen lebt Nørrebro, einem Stadtteil Kopenhagens, in dem sich Hausbesetzer und Polizisten gern Straßenschlachten liefern. Und nun findet man ausgerechnet am Schauplatz der jüngsten Auseinandersetzungen eine Leiche im typischen Autonomen-Outfit. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert. Da hilft es wenig, dass sich schon bald herausstellt, dass es sich bei dem Ermordeten um einen Albaner aus Mazedonien handelt, der sich eigentlich gar nicht mehr in Dänemark hätte aufhalten dürfen. Das Gerücht, ein Polizist sei der Täter, macht die Runde und erschwert die Ermittlungsarbeit. Hinzu kommt, dass Steen vor einigen Jahren eine Affäre mit der geschiedenen Frau des Opfers hatte. Was er seinen Vorgesetzen natürlich ebenso verschweigt wie die Beziehung zu einer eifrigen Reporterin.

Natürlich klärt Axel Steen den Fall, auch wenn es ihn fast den Job kostet. Das muss so sein. Erzählt wird das Ganze in relativer Umständlichkeit. Das liegt nicht nur an dem nicht unkomplizierten Plot. Jesper Stein erklärt einfach gern, was seinen Helden bewegt, findet aber nicht immer die eleganteste Formulierung dafür. Dann heißt es „Axel war erschüttert“ oder „Axel konnte es nicht fassen, was gerade geschah“. Wenig später fühlt er sich, „als habe man ihn lebendig eingemauert“, dann kommen ihm Zweifel an seiner kriminalistischen Begabung: „Es war schon vorgekommen, dass er zweihundertprozentig von der Unschuld eines Mörders überzeugt war und hinterher, nachdem der endgültige Beweis erbracht war, praktisch jedes Wort, das er in den Besprechungen von sich gegeben hatte, wieder zurücknehmen musste.“ Schlimm ist so etwas, vor allem, weil wir Leser ja wissen, dass er in diesem Fall nicht versagen wird, auch wenn ihn dessen Auflösung nicht fröhlich stimmt. Aber das wäre auch zu unkonventionell gewesen.

Jesper Stein: Unruhe. Der erste Fall für Kommissar Steen (Uro, 2012). Aus dem Dänischen von Patrick Zöller. 477 Seiten. Köln. Kiepenheuer & Witsch: 2013. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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Homeland Carries Jagd von Andrew KaplanThrillerhandwerk von altem Schrot und Korn

(AM) „Das Buch zum Film“ und schlimmer noch „Das Buch zur Fernsehserie“ fristet meist nicht zu Unrecht ein Schattendasein in der literarischen Welt, obwohl manchmal gute Autoren am Werke sind. Nun also „Homeland“ ‒ wie alles begann. „Carries Jagd“ ist ein Prequel zu jener erfolgreichen US-Fernsehserie, in der ein von arabischen Terroristen gefangen gehaltener US-Soldat als Kriegsheld nach Hause kommt, jedoch von einer psychisch gestörten CIA-Agentin hartnäckig als „Schläfer“ verdächtigt wird. In der zweiten Staffel geht dieser Brody in die Politik, weiterhin verfolgt, aber auch geliebt von der CIA-Jägerin Carrie Mathison. Eine dritte Staffel ist fertig, eine vierte optioniert.

Ich finde die Serie zwar intensiv, eher aber schwer erträglich, zeigt sie doch eine Nation im kollektiv-psychotischen Verfolgungswahn, ein Land, in dem niemand niemandem trauen, in dem jeder jedes Feind sein kann. Welch grausamer Preis für den globalen „Krieg gegen den Terror“, wenn die eigenen Kämpfer als imaginierte Selbstmordattentäter, als ein Krebsgeschwür zurückkehren – eine übersteigerte Variante aller Paranoia-Ängste des Kalten-Kriegs-Angst von Gehirnwäsche und Maulwürfen. Der sardonische Satiriker und Thrillerautor Richard Condon (The Manchurian Candidate/„Botschafter der Angst“) lässt aus den 1950ern grüßen, ebenso Jesus James Angleton aus unserem KickAss.

Andrew Kaplan (© Jonathan Vandiveer)

Andrew Kaplan (© Jonathan Vandiveer)

Die gute Nachricht: So wie der Vorläufer von „Homeland“, die israelische Fernsehserie „Hatufim“, das deutlich bessere Fernsehereignis ist (siehe die CrimeMag-Besprechung hier), so liest sich auch dieser Roman als der bessere Deal. Das liegt am Autor. Andrew Kaplan ist ein Thrillerautor von altem Schrot und Korn. Er spricht Hebräisch und Arabisch, hat in Israel gelebt, während des Sechs-Tage-Kriegs in einer Spezialeinheit gedient (was ihn mindestens Ende 60 macht), hat Quellen auf allen Seiten des Nah-Ost-Konfliktes und in der Welt der Geheimdienste und Sicherheitsfirmen. Nach 20 Jahren Pause wurde er vor einigen Jahren wieder als Autor aktiv und belebte eine 1985 von ihm erschaffene Figur neu: den Skorpion. Das war, 1985 (!), ein zum Moslem gewordener Amerikaner, der bei arabischen Nomaden aufwuchs und in Vietnam sein Killerhandwerk lernte. „Die Tarantel“ (Scorpion) wie auch der Thailand-Thriller „Feuerdrache“ (Dragonfire, 1987) blieben mir in guter Erinnerung. Nun also ist Kaplan wieder da, hat sich anders als andere Autoren zum Beispiel beim Ludlum-Franchise bei „Homeland“ Unabhängigkeitsrechte gesichert. Es soll mehrere Romane von ihm geben. Der erste überzeugt mit „tradecraft“ und Einsicht, zeigt wie Carrie zu dieser Person wurde, die uns so irritiert. Ein Glossar erklärt zudem die politische Lage in Nah-Ost.

Präsident Obama übrigens, der sich als „Homeland“-Fan outete, erhielt kürzlich ein ziemlich vergiftetes Geschenk von Damian Lewis, dem Darsteller des Sergeant Brody. Auf die Deluxe-DVD-Edition schrieb der: „Von einem Moslem zum anderen“ …

Andrew Kaplan: Homeland: Carries Jagd (Homeland: Carrie’s Run, 2013) Roman. Deutsch von Norbert Jakober. München: Heyne 2013. 400 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.

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Michael Harvey Kein Opfer ist vergessen Alte Fälle

(JF) Ein Praxisseminar an der renommierten Medill-Journalistenschule in Illinois. Drei Studenten sollen alte Kriminalfälle untersuchen, um möglicherweise unschuldig Verurteilte frei zu bekommen. Natürlich geht es auch um sensationelle Storys, immerhin wird der Kurs von Judy Zombrowski geleitet, der ihre Arbeit als Kriminalreporterin bereits zwei Pulitzerpreise eingebracht hat. Lange müssen sie nicht nach ihrem ersten Fall suchen, denn einem von ihnen ist ein blutgetränktes Stück Stoff zusammen mit einer handschriftlichen Botschaft zugespielt worden, mögliche Beweisstücke in einem Wiederaufnahmeverfahren. Doch der vielleicht zu Unrecht verurteilte Mörder lebt nicht mehr, er wurde schon vor vielen Jahren im Gefängnis umgebracht. Unser Trio schaut sich dennoch den Tatort an und stößt, wer hätte das gedacht, auf eine weitere Leiche.

Das ist der Stoff, aus dem Justizthriller gemacht sind. Michael Harvey, bislang unter anderem als Drehbuchautor für die Krimiserie „Cold Case“ tätig, zieht in seinem Debütroman alle Register einschlägiger Spannungsliteratur. Stilistisch eher schmucklos, treibt er die Handlung routiniert voran und macht nur gelegentlich Pause, damit die drei Nachwuchsreporter sich einen Hotdog gönnen können. Da wird nicht nur in Archiven gewühlt, schließlich gilt es einen Justizskandal aufzudecken, der die Dimension eines einzelnen Falles bei weitem übersteigt, korrupte Polizisten inklusive. Aber auch unsere drei Helden, unter ihnen der Ich-Erzähler, haben ihre Geheimnisse. Wenn es gegen Ende heißt „Du hast es also gewusst. Von Anfang an“, wird deutlich, dass narrative Logik nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit des Autors ist. Aber er ist ziemlich unterhaltsam. Und das ist ja nicht wenig.

Michael Harvey: Kein Opfer ist vergessen (The Innocence Game. 2013). Roman. Deutsch von Gabriele Weber-Jaric. München: Piper 2013. 376 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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