Bloody Chops – von Thomas Wörtche (TW) zu Jan Faber: „Kalte Macht“, Joachim Feldmann (JF) zu Martin Calsow: „Quercher und die Thomasnacht“ und Val McDermid: „Der Verrat“.
(TW) 1989 wurde der Vorstand der Deutschen Bank ermordet. Nein, die RAF war es nicht, sondern der BND (oder so), angestiftet von Helmut Kohl und der US-amerikanischen Regierung, der Herrhausens Geldpolitik nicht passte.
Frau Merkel holt sich hier und heute eine Provinzpolitikerin als Staatssekretärin ins Kanzleramt, die für sie dort die wirklichen Strukturen, Pipelines und Netzwerke ausspionieren soll, auf dass die Kanzlerin a) durchs eigene Haus blicke und b) endlich ein bisschen divide et impera spielen könne. Diese Provinzlady mit dem schicken Namen Natascha Eusterbeck ist aber nicht so arg helle. Sie drückt sich alleine in den dunkelsten Ecken herum oder lässt sich eines Nachts von ihrem Gatten schwängern, ohne so richtig bei der Sache zu sein. Äh, nein, der Typ hat nur das Aftershave des Gatten aufgelegt, sie einen im Tee, der Erzähler verarscht uns und spricht vom Gatten Henrik, und dann kommt es zum Äußersten: „… sie roch sein Aftershave und ließ ihn machen … halb besinnungslos vom Alkohol spürte sie, wie er kam.“ Bautz, und als die Leibesfrucht heranwächst, denkt sie sich: „Mein Gott, es war ein Kind, ein Mensch, ein Wesen mit einer Seele, das da in ihr lebte.“ Schwanger von Unbekannt bosselt sie also weiter im Amt und stolpert nach ein paar Wochen über das o. a. Geheimnis, weshalb sie schließlich vom CIA-Residenten persönlich mit dem Pistol über einen zugefrorenen See gescheucht wird.
Mit anderen Worten: Geht’s noch?
Ein Schwachsinn jagt den anderen, alle Figuren rennen planlos durch die Kulissen und kein Mensch kapiert, warum wer was tut. Das ist der vermutlich realistischste Aspekt der ganzen Angelegenheit, die zudem in lustigster Groschenromanprosa („Die Einsamkeit des Sees war das Abbild ihrer eigenen Seele.“ „Der gierige Schlund des Konferenzraums harrte schon, sie mit all den anderen Teilnehmer zu verschlingen, da klingelte Nataschas Handy.“) von einem angeblichen „Insider“ der Berliner Polit-Szene aufgeschrieben wurde. Noch lustiger wäre nur noch, wenn es ein paar richtig positive Kritiken geben würde ‒ vielleicht könnte man dann mittels follow the money dem „Insider“ auf die Schliche kommen …
PS: Einer geht doch noch: „Die Lichter von Mitte blinkten herüber, als wäre alles von strahlender Reinheit … Doch das Gegenteil war der Fall. Je näher sie den Dingen kam, umso mehr enthüllte sich die schmutzige Wahrheit, die ihnen zugrunde lag.“
Jan Faber: Kalte Macht. Roman. München: Page & Turner 2013. 444 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Betrüblich
(JF) Hans Kürten trägt die falschen Schuhe. Arzu Nihali verschickt „erotische“ Fotos. Hannah Kürten weiß, dass Rache am besten eiskalt genossen wird. Josef Schlickenrieder bekommt etwas ins Auge. Maximilian Quercher träumt von einer Insel, während er in seinem Kinderbett schläft. Ronald Hudelmeier hat Freude am Töten. Dr. Konrad Rieger heißt eigentlich anders. Dr. Ferdi Pollinger wird nicht mehr lange Vergnügen an der bayrischen Lebensart haben. Dr. Lioba Handlanger zahlt gerne für einen Wanderführer mit besonderen Talenten. Alois Schlickenrieder ist ein zäher Hund. Und Alfred Brunner plant den großen Coup.
Schier endlos ließe sich fortfahren mit einer Personalliste im Stile der guten alten rororo-Thriller, die man Martin Calsows Kriminalroman „Quercher und die Thomasnacht“ voranstellen könnte. Die wüste Geschichte um Immobilienspekulationen, BND-Seilschaften und die Krise des Tourismus am Tegernsee strotzt von skurrilen Einfällen. Nicht immer sind sie wirklich gut. Das ist vor allem deshalb betrüblich, weil das Buch wie viele aktuelle Krimis erheblich länger ist, als ihm bekommt. Unmotivierte Perspektivwechsel, überflüssige Erklärungen, unnötige Wörter. Zitat gefällig: „Dann starb er. Es roch plötzlich nach Urin. Er hatte sich eingenässt“ (S. 259). Ein besserer Beleg für die Gültigkeit der sechsten von Elmore Leonards in jüngster Zeit vielzitierten zehn Regeln für gutes Schreibhandwerk dürfte sich schwerlich finden lassen.
Martin Calsow: Quercher und die Thomasnacht
. Kriminalroman. 317 Seiten. Dortmund: Grafit 2013. 10,99. Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.
Narrative Kulturkritik?
(JF) Stephanie Harker ist eine erfolgreiche Autorin. Ihr Bekanntheitsgrad allerdings hält sich in engen Grenzen. Und das ist beabsichtigt. Denn auf den Büchern, die sie schreibt, stehen die Namen von Politikern, Popstars und Sportgrößen. Schließlich ist nicht jeder, den es dazu drängt, seine Lebensgeschichte lukrativ zu vermarkten, mit dem nötigen schriftstellerischen Talent gesegnet. Stephanie Harker allerdings versteht es, eine Geschichte effektiv zu erzählen. Und sie ist Profi genug, auch weniger reizvolle Aufträge anzunehmen. Zum Beispiel, die Autobiografie von Scarlett Higgins zu verfassen. Die taffe Dame aus Yorkshire hat es durch eine einschlägige Fernsehsendung à la „Dschungelcamp“ in die Schlagzeilen der Knallpresse geschafft. Doch wider Erwarten entpuppt sich die C-Prominente mit dem Schmuddel-Image als eine intelligente junge Frau, die ihre Zukunft bis ins Detail geplant hat. Dazu gehört eine ausgeklügelte Medienstrategie, bei deren Umsetzung Stephanie eine entscheidende Rolle zukommt. Die beiden freunden sich an.
Das alles ist einige Jahre her, als Stephanie Harker am Chicagoer Flughafen einer Agentin der Einwanderungsbehörde zu erklären versucht, dass ihr Adoptivsohn Jimmy entführt wurde, während sie selbst in der Sicherheitsschleuse steckte. Jimmys natürliche Mutter ist, wie kann es anders sein, Scarlett Higgins. Gerade war es der vormaligen Trash-Queen gelungen, sich als Moderatorin einer halbwegs seriösen Talkshow zu etablieren, als eine heimtückische Krebserkrankung ihr Leben medienwirksam beendete. Ihr Vermögen hinterließ sie einer rumänischen Waisenhausstiftung, während Stephanie versprechen musste, sich um den Jungen, dessen Vater kurz zuvor von Überdosis dahingerafft wurde, zu kümmern. Eine Aufgabe, derer sie sich nur zu gerne annimmt, auch wenn der Knabe praktisch mittellos ist. Was also kann der Entführer wollen?
Val McDermids neuer Roman „Der Verrat“ hat, wie man an dieser längst nicht alle Windungen der Handlung erfassenden Zusammenfassung erkennt, das Zeug zu einer zünftigen Mediensatire. Was auch immer das Geschäft mit dem Sensationshunger in jüngster Zeit an Widerwärtigem und Geschmacklosem hervorgebracht hat – vom „News of the World“-Abhörskandal bis zu den Kapriolen des gewinnorientierten Fernsehens –, wird hier zum Erzählstoff. Und den scheint die Autorin sehr ernst zu nehmen. Also umschifft sie elegant jede Gelegenheit zur Ironie, vermeidet Sarkasmus und verschont ihre Leserinnen mit zynischen Kommentaren. Schade, schade, schade. Stattdessen setzt sie, zumindest bis Seite 432, auf den Human Interest-Faktor. Dann folgt jener Teil, der die Gattungsbezeichnung „Thriller“ auf dem Cover rechtfertigt. Die Wahrheit kommt ans Licht, und sie ist genauso schrecklich, wie man es bereits vermutet hat. Am Ende fließt Blut.
„Der Verrat“ ist ein nicht ungeschickt konstruierter Versuch in narrativer Kulturkritik, der auf beinahe perfide Weise jene Lesebedürfnisse bedient, denen die Sensationspresse ihre Existenz verdankt. Als Spannungsliteratur allerdings funktioniert er nur bedingt.
Val McDermid: Der Verrat (The Vanishing Point. 2012). Thriller. Deutsch von Doris Styron. 508 Seiten. München: Droemer 2013. 512 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zur Autorin.