Geschrieben am 5. Mai 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

– Bloody Chops: Tony Black gehackt von Jan Karsten (JK), Marc-Oliver Bischoff, Peter Wark und Michael Herzig zerlegt von Joachim Feldmann (JF) und Giorgio Faletti gechopt von Thomas Wörtche (TW).

Witless

(JK) Was ist nur aus unseren lässigen „hard-boiled“-Helden geworden? Wenn’s nach Tony Black geht: jammerlappige, versoffene Sentimentalisten mit einer plumpen „Früher war alles besser“-Attitüde. Eigentlich ist Gus Dury ein harter Hund, ruppig, direkt, der keinen Drink stehen lässt und keiner Schlägerei aus dem Weg geht. Aber was zu viel ist, ist zu viel: „Die Princess Street war in letzter Zeit verkommen. Einst die Adresse mit den namhaftesten Geschäften Schottlands, beherbergt sie heute Discounter, Spielhallen und, was am schlimmsten ist, Sexshops … Wenn ich schon dabei errötete, der Himmel allein weiß, was Otto Normalverbraucher davon hielt.“

Was hier noch unfreiwillig albern ist, bekommt an einigen anderen Stellen einen unangenehmen und ärgerlichen Unterton, nämlich dann, wenn der rückwärtsgewandte Gegenwartsekel sich nicht nur an den bösen Sexshops exemplifiziert, sondern auch an rumänischen Bettlerinnen oder dem „Zustrom polnischer Einwanderer“, deren Wodka „zunehmend unseren guten alten Alk verdrängt“. So reiht sich Klischee an Allgemeinplatz und wird dann richtig furchtbar in den rührseligen Szenen zwischen Dury und seiner vorübergehenden Exfrau: Hier ist der ironiefreie Kitsch des Heftchenromans endgültig erreicht.

Ununterbrochen zerfließt der larmoyante Dury in Selbstmitleid und das nervt auch deshalb sehr schnell sehr doll, weil es immer wieder die eh schon wacklige Handlung abwürgt. Erst kurz vor Schluss kommt ein wenig Zug hinein und es entsteht so etwas Ähnliches wie Spannung, leider verdirbt’s die „überraschende Auflösung“ dieses ziemlich dumpfen und konservativen Romans dann wieder sofort durch einen tiefen Griff in die Mottenkiste des TäterInnen-Arsenals, der noch einmal nachdrücklich Blacks fragwürdiges Frauenbild unterstreicht.

Tony Black: Gelyncht (Gutted, 2009). Deutsch von Jürgen Bürger. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2012. 384 Seiten. 19,90 Euro.

 Wannabe …

(JF) Die verhängnisvolle Wirkung von Schreibwerkstätten für Möchtegern-Literaten schildert der Krimi-Debütant Marc-Oliver Bischoff in seinem Metzel-Epos „Tödliche Fortsetzung“. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Schriftsteller Martin Kanther, dessen einziger Bucherfolg leider schon zwei Jahrzehnte zurückliegt. Damals erregte er Aufsehen mit seinem Thriller „Drachentöter“, der vom Treiben eines Serienmörders erzählte. Das Buch wurde zum Bestseller, allerdings weniger aufgrund seiner literarischen Qualitäten, sondern weil die dargestellten Morde beängstigende Parallelen zu realen Straftaten aufwiesen. Kanther geriet unter Verdacht, wurde aber mangels Beweisen freigelassen. Der wirkliche Täter, dessen Identität Bischoff übrigens schon auf den ersten Seiten seines Romans verrät, konnte nie ermittelt werden.

Martin Kanther blieb ein „One-Hit-Wonder“. Eine Zeitlang konnte er sich noch mit Schreibkursen (!) über Wasser halten, doch inzwischen verbringt er seine Tage weitgehend im Alkoholrausch. Das Geld ist knapp. Da kommt es ihm gelegen, dass sich ein Hermann Rittka per Mail an ihn wendet. Rittka schreibt an einer Fortsetzung des „Drachentöters“ und möchte Kanthers kollegialen Rat. Gegen Honorar natürlich.

Marc-Oliver Bischoff (Quelle: marc-oliver-bischoff.de)

Dass der ominöse Jungautor von der Idee besessen ist, man müsse selbst erlebt haben, worüber man schreibt, fällt Kanther dummerweise erst auf, als die Mordserie von Neuem zu beginnen scheint. Die Polizei tappt ebenfalls lange im Dunkeln, doch irgendwann fällt der Groschen. Und dann geht es holterdiepolter auf ein ebenso blutiges wie vorhersehbares Finale zu.

Marc-Oliver Bischoff kann schreiben, was man vor allem an jenen Passagen merkt, in denen es um Kanthers desolate Biografie geht. Dass „Tödliche Fortsetzung“ dennoch zu einem ziemlich albernen Mordspektakel gerät, ist vor allem der hanebüchenen Plotkonstruktion geschuldet. Nun eine Schreibwerkstatt aufzusuchen, würde ich dem Autor allerdings nicht empfehlen. Denn da kann allerhand schiefgehen.

Marc-Oliver Bischoff: Tödliche Fortsetzung. Roman. Dortmund: Grafit 2012.  348 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

Loser

(JF) „Loser“ – das ist der Spitzname des Kleinkriminellen Andreas Broschkat. Und er passt. Denn Broschkat hat zwar manches Ding gedreht, aber erfolgreich war er nicht. Doch jetzt wittert er fette Beute. Ein Überfall auf einen Geldtransporter soll den Start in ein neues Leben ermöglichen. Ganz weit weg in Australien, wo Broschkats Bruder sich bereits eine Existenz aufgebaut hat.

Dass die Sache gründlich schiefgehen wird, ist von Anfang an ausgemachte Sache, dafür hätte es nicht des Prologs bedurft, in dem der Autor das endgültige Scheitern des Gangsters ohne Glück vorwegnimmt. Auch im eigentlichen Roman zeigt sich Peter Wark mitteilsamer als wünschenswert. Mosaikartig setzt er Kapitel für Kapitel Broschkats verpfuschte Biografie zusammen. Dagegen wäre nichts zu sagen, würde er darauf verzichten, ständig den Bewusstseinszustand seines Protagonisten zu kommentieren. So gerät, was ein schneller, düsterer Krimi hätte werden können, letztendlich zur sentimentalen Sozialstudie. Daran ändert auch manch taffer Spruch nichts.

Peter Wark: Loser. Roman. Frankfurt am Main: Seeling 2011. 222 Seiten. 12,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

Highlight

(JF) Johanna di Napoli weiß, dass ihr Lebensstil auf die Dauer nicht gut für sie ist. Sie trinkt wie ein Fisch, raucht zu viel und ernährt sich schlecht. Und wenn sie sich weiterhin renitent gibt, sind auch ihre Tage als Zürcher Stadtpolizistin gezählt. Wegen diverser Dienstvergehen droht ihr nämlich nicht nur ein internes Disziplinarverfahren, auch die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie. Ihre unorthodoxe Vorgehensweise bei der Verhaftung eines stadtbekannten Großkriminellen erfüllt so manchen Straftatbestand. Angeblich, um sie bis zur Verhandlung aus der Schusslinie zu nehmen, wird der sturen Kriminalistin ein neues Aufgabengebiet zugewiesen. Die grassierende Deutschenfeindlichkeit in Zürich hat nämlich zu einigen unschönen Vorfällen geführt, die sie nun aufklären soll. Doch was als wenig spannende Ermittlung beginnt, nimmt schon bald bedrohliche Züge an. Und als ein deutscher Politiker während eines Staatsbesuchs einem Attentat zum Opfer fällt, eskaliert die Situation. Russische Mafiosi, Profi-Killer und Geheimdienstler treten auf den Plan, während Johanna di Napoli tapfer, aber immer dem Zusammenbruch nahe, ihre Aufklärungsarbeit fortsetzt.

Michael Herzig (Quelle: michaelherzig.ch)

Was in der Zusammenfassung wie eine wilde Räuberpistole wirken mag, gerät dem Schweizer Autor Michael Herzig zu einem der besten deutschsprachigen Thriller der Saison. Der Plot ist bizarr, aber stimmig, die Figurenzeichnung prägnant und die Erzählökonomie vorbildlich. Souverän behält der Autor die Fäden in der Hand, um sie in einem furiosen Finale zusammenzuführen. Und seiner arg gepeinigten Heldin gönnt er sogar ein kleines Happy End und bringt sie mit jenem Unbekannten zusammen, aus dessen Wohnung sie zu Beginn des Romans nach einem alkoholvernebelten One-Night-Stand geflüchtet war.

„Töte deinen Nächsten“ ist der dritte Fall für Johanna di Napoli. Hoffen wir, dass weitere folgen.

Michael Herzig: Töte deinen Nächsten. Roman. Dortmund: Grafit 2012. 283 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

 

Großer, kleiner Roman

(TW) Unauffällig aufgemacht, ohne große Anstrengungen präsentiert Goldmann den großartigen, kleinen Roman: „Der Frauenhändler“ von Giorgio Faletti.

Giorgio Faletti (Quelle: wikipedia)

Mailand, 1974, während der Entführung von Aldo Moro. Das Land kocht. „Bewaffneter Kampf“, korrupte Polizei, das organisierte Verbrechen, big business, das auf jede Art von Regulierung pfeift. Dazu, dem Zeitgeist gemäß, Sex’n Drugs und Mailänder Stil. Bravo, ein kastrierter (!) Zuhälter steckt plötzlich im ganz großen Schlamassel, als ein paar seiner Mädchen bei einem Massaker an reichen Industriellen mit getötet werden. Was Zufall zu sein scheint, folgt einer bösen Logik. Faletti erzählt eine ziemlich abgefahrene Story von Verbrechen, Politik, üblen Zeitgenossen und einer faszinierenden Stadt. Keine nette Lektüre, sondern ein borstiger, spannender, bitter-hellsichtiger und ziemlich ausgekochter Kriminalroman.

Giorgio Faletti: Der Frauenhändler (Appunti di un venditore di donne, 2010). Roman. Deutsch von Claudia Franz. München: Goldmann 2012. 445 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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