Geschrieben am 11. Februar 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– Bücher von Olle Lännæus, Andreas Föhr, Frode Granhus und André Breton, zu Hackstücken verarbeitet von Joachim Feldmann (JF), Klaus Kamberger (KK), Kirsten Reimers (KR) und Thomas Wörtche (TW).

Skurril

(JF) Als er vier war, verschwand sein Vater und hinterließ als einziges Andenken je zwei erklärungsbedürftige Vornamen, mit denen sich Mike Lorne Larsson fürderhin herumzuschlagen hatte. Leider blieb die Reminiszenz an die Westernserie „Bonanza“ nicht das einzige Problem des impulsiven Knaben. Wer sich vor allem mit den Fäusten Respekt verschafft, gerät rasch mit dem Gesetz in Konflikt. Larsson ist da keine Ausnahme.
Doch nun soll alles anders werden. Wegen guter Führung wird der Mittvierziger vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. In seinem Heimatort Tomelilla wartet ein Job auf ihn. Außerdem träumt er davon, endlich mit seinem vierzehnjährigen Sohn Robin, den er lange vernachlässigt hat, zusammenzuleben.

Doch wie sich denken lässt, holt ihn die Realität schnell ein. Boris, der Inhaber des Schrottplatzes, wo Larsson Arbeit gefunden hat, ist ein zwielichtiger Geschäftemacher, der den muskulösen Ex-Knacki zunächst als Schuldeneintreiber und dann als Schmuggler einsetzt. Sohn Robin hat sich mit den örtlichen Jung-Nazis eingelassen. Und sein alter Freund Rolle, bei dem er unterschlüpfen kann, scheint auch keine rechte Stütze zu sein. Dann gibt es die erste Leiche. Eigentlich handelt es sich um einen Unglücksfall, doch das würde den traurigen Helden dieses Romans niemand glauben. Und dann ist da noch die Bosnierin Amela, die in Boris jenen serbischen Schergen wiedererkennt, der ihren Sohn auf dem Gewissen hat.

Der schwedische Journalist Olle Lönnæus bedient sich all der Handlungselemente, die für skandinavische Verbrecherepen typisch sind. Doch „Der Tod geht um in Tomelilla“ ist alles andere als ein weiteres Beispiel tristen nordischen Krimischaffens. Lönnaeus spart nicht an Sympathie für seine Figuren, ohne jedoch ihre Misere zu beschönigen. Skurriler Humor und ein großes Verständnis für das, was der englische Schriftsteller Henry Fielding einst als die Schwäche der menschlichen Natur beschrieb, machen diesen Roman zu einer anrührenden, aber niemals rührseligen Lektüre. Dazu gehört, dass sich am Ende fast alles auf märchenhafte Weise zum Guten wendet. Denn das wünscht sich der Leser, auch wenn er es nicht glauben mag.

Olle Lönnæus: Der Tod geht um in Tomelilla  (Mike Larssons rymliga hjärta. 2010) Roman. Deutsch von Antje Rieck-Blankenburg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011. 440 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor. Zur Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann.

Läppisch

(KK) Geht das wirklich so einfach? Da hat ein hier und da etwas aus der Reihe tanzendes, meist aber käseblass bleibendes Ermittler-Duo gerade mal seinen dritten Auftritt, und schon erdreistet sich eine großmäulige Verlagswerbung, die beiden hurtig als „Kult“-Figuren auszurufen. Bloß weil sie sich, bayerisch knorrig, nicht immer an die Dienstvorschriften halten? Und dabei kaum über die heiter-bis-tödliche „Witzischkeit“ ihrer ARD-Vorabend-Kumpane (pardon: Spezls) hinauskommen?

Nicht genug damit. Denn nun schwitzt der Autor auch noch einen unglaublich schlichten Plot aus (Kindesmissbrauch/Verdrängung/Mord an dem mittlerweile erwachsenen Opfer, weil es sich ja erinnern könnte), der vielleicht für einen Kurzkrimi in der „Bäckerblume“ gereicht hätte, und bläst das Ganze zu einem 400-Seiten-Ding auf.

Wie er das macht? Gegen zwei (oder mehr) Erzählstränge und verschiedene Blickwinkel vulgo Perspektiven ist ja grundsätzlich erst einmal nichts einzuwenden. Wohl aber gegen die Methode, an jeder sich bietenden Ecke einen Seitenstrang anzupappen, der die Geschichte um keinen Zentimeter weiterbringt, sondern sie nur wieder und wieder ausbeult. So schindet man nur Seiten und die Geduld des Lesers.
Klar doch, auch dafür gibt es so etwas eine „narrative“ Begründung. „Kolorit“ sollen sie schaffen, diese hummeldumm witzigen Ausbuchtungen, mundartlich eingefärbt (aber immer schön pflegeleicht, damit auch nordlichternde Leser dabeibleiben), Charaktere sollen sie ausformen, statt Klischeefiguren echte Typen ins Spiel bringen.
Wie das dann aussieht? „Grüß Gott beinand“, sagt der Kommissar. Und schon wissen wir, der kommt bestimmt vom Tegernsee oder so … Und damit der Kontrast zu dieser schönen Welt auch ja herausbekommt, darf ein Kollege von woanders ein kurzes Gastspiel geben, und der sagt immer nur „dit“. Alles klar?

So läppisch geht es zu in Föhrs „Kult“-Krimi. Doch dann reibt man sich gleich zweimal die Augen: Genau dieser Autor hat tatsächlich mal den Friedrich-Glauser-Preis („Debüt“) zugesprochen bekommen. Und sein neues Buch ist ebenso tatsächlich für einen Moment auf die Spiegel-Bestsellerliste gerutscht – zwar nur auf Platz 17 und dann nie wieder – aber wieso das denn? Ja, eben darum: Dortselbst sellern ja auch einträchtig Größen wie ein gewisser Herr Jaud oder ein gewisser Herr Precht und sonstige Einschlägige vor sich hin …

Andreas Föhr: Karwoche. Roman. München: Knaur 2011. 400 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor.

Sadismus vor Idylle

(KR) Im norwegischen Bodø wird ein Mann halbtot im eiskalten Meer angekettet aufgefunden. Wenig später kann gerade noch rechtzeitig ein zweiter Mann gerettet werden, den jemand an einen Heizstrahler gefesselt hat. 300 Kilometer nördlich spült das Nordmeer jahrzehntealte Porzellanpuppen an den Strand, kurz darauf gibt es hier die erste Frauenleiche, die natürlich nicht die letzte bleibt. Und selbstverständlich hängen all diese Fälle in irgendeiner Weise zusammen. „Der Mahlstrom“ (auch im Original schlicht „Mahlstrømmen“) von Frode Granhus bietet sadistische Gewalttaten in idyllischer Landschaft – und eine hanebüchene Story: schwer überkonstruiert, reichlich brutal und enorm unglaubwürdig; zudem streckenweise ziemlich schwülstig geschrieben.

... nicht von Poe!

Der Mahlstrom, ein Gezeitenstrom mit starken Wasserwirbel, hoch oben im Norden zwischen den norwegischen Lofoten, soll offenbar als Sinnbild für den Sog der Gewalt stehen: Gewalt zeugt Gewalt, scheint Granhus demonstrieren zu wollen, denn seine Täter waren früher Opfer, die Stafette des Sadismus wird vom Vater an den Sohn weitergereicht, gern auch mit Unterstützung des Stiefvaters oder der gefühlskalten Mutter (die wiederum ein Opfer von Gewalt ist). Auf diese Weise schafft es Granhus, über die Generationen hinweg auf 383 Seiten eine Menge sinnfreie Brutalität unterzubringen. Vor allem aber belegt Granhus eines: dass in seinem Buch Gewalt schlicht um der Gewalt willen geschildert wird – effektvoll ausgemalt und mit halbherziger Empörung angeprangert, um eine abstruse Story zusammenzuhalten.

Frode Granhus: Der Mahlstrom (Mahlstrømmen, 2010). Roman. Deutsch von Wibke Kuhn. München: btb. 383 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor. Zur Seite von Kirsten Reimers.

Must-have

(TW) Gerade mal wieder erhältlich: André Bretons berühmte „Anthologie des Schwarzen Humors“, allein derentwillen wir viele seiner Albernheiten (auch der politischen Art) milde übersehen wollen … Meine zerlesene deutsche Erstausgabe von 1971 ist noch in Leinen gebunden, mit Hochglanz-Illus, ganze feine Buchkunst. Die neue Ausgabe bei Rogner & Bernhard hält sich immerhin an das schlanke, ungewöhnliche Originalformat, die Illus sind leider (bis auf ein leicht abgesoffenes Foto von Breton) raus, aber dafür ist das Teil auch wohlfeil.

André Breton

Wichtig war und ist, dass hier Texte zusammengebracht wurden, die dringend zusammengehören, aber vorher noch nicht für ein breiteres und interessiertes Publikum in einen Zusammenhang gebracht wurde, den man diskursiv so gar nicht benennen konnte. Hier stehen Swifts berühmter „Bescheidener Vorschlag, wie Kinder armer Leute in Irland davor bewahrt werden sollen, ihren Eltern oder dem Staat zur Last zu fallen, und wie sie dem Gemeinwesen zum Nutzen gereichen sollen“ neben Thomas de Quinceys „Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet“  und Kafkas „Verwandlung“  neben Pétrus Borels „Leichenträger“, Jakob van Hoddis „Tahub“ neben Alfred Jarrys „Père Ubu“ – Drama neben Gedicht, Story neben Essay, zusammengehalten durch Perspektiven auf die Welt, die samt und sonders gebrochen, ambigue, komisch, subversiv sind.

Eine gigantische Quellensammlung des Geistes, aus dem ein großer Teil der avancierteren Kriminalliteratur stammt, aber eben nicht nur die: Die Genregrenzen waren schon immer prekär. Ein Antidot gegen jede Art von Biedersinn, ein Vademecum gegen den psychologischen Realismus des 19. Jahrhunderts, der sich still und leise wieder als narrative Norm gerade für Kriminalromane heutzutage wieder eingeschlichen hat. Die „Anthologie des Schwarzen Humors“ ist ein deutliches Must-have.

André Breton (Hrg:) Anthologie des Schwarzen Humors (Anthologie de l’humour noir, 1939). Deutsch von Rudolf Wittkopf et al. Berlin: Rogner & Bernhard 2011 (via Zweitausendeins). 555 Seiten. 12,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor.

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