Bloody Chops
– Bücher von Keith Melton/Robert Wallace, Georg M. Oswald und Orlando Figes, zierlich zerlegt von Christiane Geldmacher (CG), Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche (TW).
Tricky stuff
(CG) An sich ist die Story interessant: 1953 beauftragte die CIA den Magier John Mulholland, ein Handbuch mit Zaubertricks zu verfassen, das der US-Geheimdienst im Kampf gegen den Kommunismus unterstützen sollte. True story. Gedacht war an James-Bond-Zaubertricks – gerne mit tödlichem Ausgang – wie Gift in Zahnpasten, Pillen in Cremedosen, halluzinogene Sprays (für Fidel Castro). Das alles liest sich ziemlich unglaublich – und das fand die CIA wohl irgendwann auch. Sie vernichtete deshalb in den 70er Jahren Mulhollands Handbuch sowie alle Unterlagen, die von diesem Projekt handelten. Aber wie das eben so ist, nichts geht verloren und so tauchte eine „letzte“ Ausgabe dieses politisch brisanten Handbuchs auf. Das „Official CIA Manual of Trickery and Deception“ wurde 2009 in den U.S.A. neu aufgelegt, versehen mit einer Einführung von H. Keith Melton und Robert Wallace.
So weit, so gut. Die Einführung nimmt über ein Drittel des Buchs ein und liest sich spannend und okay. Nicht okay ist Mulhollands eigentlicher Text. Der Magier schreibt dröge, pedantisch, zäh. Nur Geheimdienst- und Zaubertrickfreaks werden sich durch solche Sätze quälen: „Wenn das Taschentuch hervorgeholt wird, muss der Behälter in die richtige Position gedreht werden, sodass die Flüssigkeit planmäßig abgegeben werden kann. Dazu muss man das Taschentuch bereits in genau dieser Position eingesteckt haben. Wie man es hält, hängt von der Person ab, die den Trick durchführt, außerdem von der Größe ihrer Hand, des Taschentuchs und des Behälters sowie von der Haltung, die der Ausführenden selbst am natürlichsten vorkommt …“ Aaaaaaargh!
Und das Cover, die Schrift, die Zeichnungen und das Papier wirken nicht lustig retro, sondern billig nachgemacht. Fazit: Es ist ein Buch für James Bond- und Magierfans, aber einfach unlesbar. Der Klappentext behauptet eine fesselnde Lektüre für das Kind im Mann – die Rezensentin möchte an dieser Stelle anmerken, dass sie solche Männer nicht in ihrem Bekanntenkreis hat, die die Geduld für solche Texte aufbrächten.
Keith Melton, Robert Wallace: Das einzig wahre Handbuch für Agenten. Tricks und Täuschungsmanöver aus den Geheimarchiven der CIA (The official CIA Manual of Trickery and Deception, 2009). Sachbuch. Heyne. Deutsch von Wibke Kuhn. 256 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Fanpage.
Literarischer Thriller … Jo …
(JF) Kriminalhauptkommissar Markus Diller steckt in der Klemme. Und schuld ist sein Freund und Kollege Kessel. Der nämlich ist schwer drogenabhängig und entsprechend unberechenbar. Während einer nächtlichen Observation in einem der Problemviertel Münchens hatte ihn die Gier nach Stoff derartig überwältigt, dass er nicht mehr auf die Flasche Jack Daniels, die ihm Diller besorgen wollte, warten mochte und einige der auf der Straße herumstehenden arabischstämmigen Jugendlichen um Drogen anging. Doch etwas läuft schief, der Deal platzt und Kessel überfährt in Panik einen der Jungs. Während dieser schwerverletzt in einem Krankenhaus liegt, kommt es in dem Viertel zu Krawallen. Diller, der praktisch gegen sich selbst ermitteln müsste, übt sich derweil in Vertuschungsmanövern.
Das ist die Ausgangssituation in „Unter Feinden“, einem „literarischem Thriller“ (Klappentext) des Juristen und Schrifstellers Georg M. Oswald. Weil es verlorene Liebesmüh wäre, einmal mehr auf die Unsinnigkeit dieser Genrebezeichnung hinzuweisen, widmen wir uns lieber den Stärken dieses Romans.
Da ist zunächst einmal ein waghalsig konstruierter Plot, der für für nicht unerhebliche Spannung und einige Überraschungsmomente sorgt. Und wie Oswald die Geschichte mit erzählerischem Understatement einfädelt und zu einem verblüffenden Ende führt, ist schon gekonnt. Dies betrifft allerdings vor allem die Figur Diller. Die Geschichte des suchtkranken Kessel hingegen wirkt wie aus der einschlägigen Drogenliteratur geborgt.
Oswalds Interesse gilt dem immer mehr um sich greifenden Kontrollwahn in unserer Gesellschaft. Erst kürzlich widmete er dem Thema einen großen warnenden Essay. In Diller, der mit seinen Kollegen eine internationale Konferenz vor einem möglichen Terroranschlag bewahren soll und letztlich seine eigenen Maßnahmen ad absurdum führt, findet die sich verselbstständigende Sicherheitsmanie ihren perfekten Ausdruck. Dass der Sohn des Polizisten vom Gymnasium fliegt, weil die Schulleitung den aufmüpfigen Teenager als Sicherheitsrisiko einschätzt, passt ins Bild. Man merkt die Botschaft. Und fragt sich, ob ein auf Dillers Geschichte reduzierter kleiner Polizeiroman, der seine Ambitionen weniger deutlich präsentieren würde, nicht die literarisch überzeugendere Variante gewesen wäre.
Georg M. Oswald: Unter Feinden. Roman. München: Piper 2012. 246 Seiten. 18,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Deus lo vult?
(TW) Drehen wir mal die Dumpfformel „spannend wie ein Kriminalroman“ um – dann könnte man sagen, dass nicht allzu viele Polit-Thriller so spannend sind wie ein echter Krieg. Bzw. die erzählende Rekonstruktion eines Krieges. Der Historiker Orlando Figes, dessen Stalin-Buch „Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland“ schon ein Schmuckstück angelsächsischer Tradition, Geschichte akkurat, faktensicher, meinungsfreudig und auch noch blendend zu erzählen, hat sich jetzt den Krim-Krieg vorgenommen. Einen vermeintlich „kleinen“ Krieg im mittleren 19. Jahrhundert (1853–1856), zu zweifelhaftem Ruhm gekommen durch das britische nationale Rühr- und Heldenstück „The Charge of the Light Brigade“ (Gedichte von Alfred Tennyson und Theodor Fontane, Filme von Michael Curtiz, Tony Richardson etc.; Gemälde u. a. von Elisabeth Thompson) und durch die Aktivitäten von Florence Nightingale. Unglaublich inkompetent, nachgerade schwachsinnig von beiden Seiten geführt, menschenverachtend bis zum Anschlag. Blutiger Pfusch, aber irgendwie tempi passati …
Eine Million tote Soldaten in drei Jahren, das ist auch für das postnapoleonische 19. Jahrhundert heftig, wobei die getöteten Zivilisten nicht mitgerechnet sind. Und für was, das Ganze? Wenn uns noch etwas dämmert, dann dass es eine schräge Allianz aus den Erzfeinden Frankreich und Großbritannien gab, die zusammen mit den Türken gegen Russland kämpfte. Warum auf der Krim? Da setzt es dann vermutlich aus.
Und Figes setzt ein. Er seziert den Krim-Krieg unter dem für das weithin rationale, realpolitisch pragmatische und fortschrittsgläubige 19. Jahrhundert doch überraschenden Aspekt „Religion“. Und damit natürlich auch unter dem Aspekt der politischen Funktionalisierung von Religion, von Religion als Legitimationsstrategie etc. Der Zar als Kreuzfahrer wider die Muselmanen, für einen christlichen Balkan, für christliche Dardanellen und gegen den muslimischen Widerstand gegen den russischen Imperialismus im Kaukasus und in Zentralasien. Als Anti-Christen sind dann auch die Brits und Franzosen mit dabei, säkulare Gesellen, westlich dekadent und zwecks Machtinteressen völlig standpunktlos in Bezug auf die letzten Dinge. Genau solche irrsinnigen Mischungen erzeugen Leichenhalden. Liest sich sehr aktuell. Brillantes Buch.
Orlando Figes: Krimkrieg. Der letzte Kreuzzug. (Crimea. The Last Crusade, 2010). Sachbuch. Deutsch von Bernd Rullkötter. Berlin: Berlin Verlag 2011. 247 Seiten. 36 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.