Geschrieben am 10. Dezember 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– kurz, knapp, schmerzhaft und erlösend, heute von Eva Karnofsky (EvaK), Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche (TW).

Ganz nett, ungeschickt lektoriert

(EvaK) Ganz nett, der neue Fall von Inspectora Petra Delicado, mehr nicht. Dabei hätte ein Rotstift genügt, um „Die stumme Braut“ der Spanierin Alicia Giménez-Bartlett zu einem flotten Krimi zu machen. Ein oder zwei Mal ist es witzig, das Gezeter der Inspectora, dass sie zu wenig Zeit für ihren frisch angetrauten dritten Ehemann hat – wie auch ihr Adlatus Subinspector Fermín Garzón, ach herrje, ebenfalls frisch vermählt, lieber häufiger bei der reichen Gattin weilen würde. Doch beim zehnten Mal stellt sich dann endgültig Langeweile ein. Und Petras in der Ich-Form vorgetragene Binsenweisheiten zur hohen Kunst der Beziehungspflege sind ebenso überflüssig wie ihr mühsames Abarbeiten am Thema „die Kinder meines Ehemannes“. Aller schlechten Dinge sind auch in diesem Fall drei, und so sei noch erwähnt, dass es nervt, alle paar Seiten in einem Restaurant zu landen, weil unsere Inspectora entweder halb verhungert ist oder sie und der Gatte essend und trinkend das zarte Pflänzchen Ehe hegen müssen.

So, genug geschimpft, denn der achte Band über die Polizistin aus Barcelona hat auch seine guten Seiten. In einem Nonnen-Kloster wird nicht nur die Mumie eines Heiligen entwendet, sondern auch ein Priester ermordet, der dabei war, die Mumie zu restaurieren. Wenig später wird dann die einzige Zeugin tot aufgefunden, eine Obdachlose. Der Fall an sich liegt einfach, wie sich schließlich herausstellen wird, doch Petra und Fermín haben ihre liebe Not bei den Ermittlungen, denn für das Kloster der Nonnen vom Herz-Jesu-Orden gelten, so scheinen diese zumindest zu glauben, andere Gesetze. Wenn die Polizisten nicht so wollen wie die Mutter Oberin, beschwert sich diese gleich an allerhöchster Stelle und unsere beiden Ermittler werden zurückgepfiffen. Der spanische Originaltitel, „Das Schweigen der Klöster“, passt da im Ürigen weitaus besser als der krampfige deutsche. Der Kirche, eine der poderes fácticos, der tatsächlichen Mächte, die unter der Franco-Diktatur in Spanien das Sagen hatten, kommt auch heute noch enormes Gewicht zu, so die Message des Krimis. Das Leben im Nonnenkloster nimmt Giménez-Bartlett ebenfalls aufs Korn: Sie schildert es als mit den Gepflogenheiten eines demokratischen Staates ebenso unvereinbar wie mit dem Recht eines Menschen auf Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Angenehm fällt auf, dass Petra Delicado nicht als Lichtgestalt daherkommt, sondern eher als Zicke, vor allem im Umgang mit weiblichen Untergebenen. Wer nicht so sehr auf Kugeln, sondern mehr auf Neuronen steht und es außerdem anti-klerikal mag, wird diesen Krimi trotz seiner Schwächen mögen.

Alicia Giménez-Bartlett: Die Stumme Braut (El silencio de los Claustros, 2009). Roman. Aus dem Spanischen von Sibylle Martin. München, Zürich: Piper Verlag 2011. 464 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Das nackte Grauen

(TW) Meine Güte, was war „Schneller als der Tod“ für ein witziges, schnelles, geschmackloses, großartiges Buch über das böse Schicksal und die grotesken Streiche des Mafia-Killers Pietro Brnwa alias Dr. Peter Brown. Alle Welt freute sich auf einen zweiten Roman von Josh Bazell nach diesem furiosen Debüt.

Und dann das: Das nackte Grauen! „Einmal durch die Hölle und zurück“ (in Angelsachsien noch gar nicht erschienen) ist alles, was Bazells Erstling nicht war: zäh, redundant, extrem unspannend, die Gags (wie die aus dem ersten Buch bekannten witzigen Fußnoten) ausgewrungen und abturnend (nur wer gar keine Ahnung von der Welt hat, kann aus dieser läppischen Wissenschafts-Parodie den Schluss ziehen, der Autor sei beeindruckend gebildet), die Figuren so glaubwürdig wie die von Inga Lindström.

Alleine die Handlung, Milliardär heuert unseren Killer an, um auf eine irgendwie relevante Paläoontologin aufzupassen und sich einer Jagdgesellschaft anzuschließen, bei der auch Sarah Palin mitmischt. Gejagt werden sollen Nessie-artige Seeungeheuer irgendwo in Minnesota, aber das sind nur alberne Fische, die alberne Menschen irgendwann ausgesetzt haben. Dazu ein paar wohlfeile, ökologisch korrekte Kalauer (für so was braucht, ohne Kalauer, Carl Hiaasen zwei Seiten, dann weiß man, was gemeint ist und gegen wen es geht – die Bushies, natürlich, ist ja auch okay, aber arg dünn, auch wenn das Anhängsel des Romans ewig zu währen scheint) und selbst aus der Figur Palin gelingt es Bazell nicht, irgendeinen Funken zu schlagen. Unkomisch, die ganze Veranstaltung. Noch nicht mal witzisch oder lustisch, was schon schlimm genug wäre …

Wie gesagt, eine Katastrophe, das Buch, von vorne bis hinten. Den einzigen Gefallen, den wir dem Autor tun können: seufzen und auf’s nächste Werk warten. Das hat er nach seinem Debüt verdient.

Josh Bazell: Einmal durch die Hölle und zurück (Wild Thing: A Novel, 2012). Roman. Deutsch von Thomas Gunkel (bis S. 267) und Malte Krutzsch (S. 268ff). Frankfurt am Main: S. Fischer 2011. 409 Seiten. 18,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor.

Extremkrimi

(JF) In einem früheren Leben kämpfte er gegen den kapitalistischen Staat. Schon damals machte ihm das Töten Spaß. Heute ist Max Vonderscheidt auf eigene Rechnung tätig. Für ein Trio sadistischer Millionäre entführt er junge Frauen. Der Blinde, ein Gangsterboss, der diesen Spitznamen aufgrund seiner dunklen Brille trägt, hat ihm diesen Job vermittelt. Was mit den Opfern geschieht, ist Vonderscheidt gleichgültig. Und wer ihm in die Quere kommt, wird umgebracht. Eine Maxime, die auch für den Blinden und seine Auftragskiller gilt.

Lauter böse Menschen also, denen wir im wirklichen Leben lieber nicht begegnen möchten, obwohl es sie zweifellos gibt. Zu Unterhaltungszwecken allerdings sind uns solche Figuren schon recht. Dann nämlich, wenn sie in düsteren Kriminalromanen vorzüglich skandinavischer Provenienz ihre Unwesen treiben und ein melancholischer Kriminalpolizist ihnen auf den Fersen ist.

Doch in Guido Rohms Extremkrimi „Blutschneise“ gibt es keine Ermittler, geschweige denn Gerechtigkeit. Sorgsam hat der Autor Täter- und Opferkomplexe separiert und effektvoll zu einem bösartigen Stück Prosa montiert. Entspannungslektüre ist das nicht. In einem erbarmungslosen Hauptsatzstil treibt Rohm die Handlung ins Absurde. Gelegentlich wünschte man ihn sich allerdings noch konsequenter. Hätte er nämlich auf Selbstreferenzen – eines der Mordopfer ist ein Krimiautor namens Guido Rohm – und satirische Übertreibung verzichtet, wäre die heilsame Schockwirkung dieses bemerkenswerten Romans noch größer.

Guido Rohm: Blutschneise. Roman. Frankfurt am Main: Seeling Verlag 2011. 168 Seiten. 10,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Nestor Burma im Krieg

(TW) Patrick Pécherots fiktive Biografie von Léo Malets Kult-Figur Nestor Burma, inszeniert als Trilogie, hat eine erfreuliche Entwicklung durchgemacht: Nach dem eher pastiche- und hommagehaften Erstling „Nebel am Montmatre“ geriet schon der zweite Band „Belleville – Barcelona“ zu einem kleinen Meisterwerk, das Zeitgeschichte (der Spanische Bürgerkrieg, der europäische Faschismus, der Stalinismus etc.), Kriminalroman, Surrealismus und Fiktionen wunderbar miteinander verzwirbelte und verdrehte.

Jetzt, im dritten und letzten Band, „Boulevard der Irren“, regiert endgültig der Noir. 1940, die Deutschen haben Paris eingenommen und halb Frankreich besetzt. Die Kollaboration beginnt, französische Eugeniker und Rassehygieniker wittern Morgenluft, der gezielte Mord an Geisteskranken (nach dem Muster der „Aktion T4“, beschlossen 1939 in der Berliner Tiergartenstraße) wird in Frankreich vierzigtausend Menschen das Leben kosten. Privatdetektiv Nestor Burma, dem ein Klient der Agentur Bohman („Entreprise Juive“), auf den er eigentlich aufpassen soll, unter der Nase weggemordet wird, rutscht peu à peu in das Milieu der Kriegsopfer, der Traumatisierten, der zu Irren erklärten Menschen und den Ärzten mit dem kalten Blick, den Schlägern und den neuen Allianzen aus Gangstern und Besatzern und französischen Profiteuren. An Stelle des Surrealismus und seiner Nähe zu Freud’schen Psychoanalyse obwalten jetzt Anti-Freud’sche Psychatrie, Anthropologie und Genetik; André Breton, Nestor Burmas Kumpel der ersten beiden Romane ist nur noch als Zitat vorhanden. Am Ende sitzt Burma in deutscher Gefangenschaft, wie es mit ihm weitergeht, müssen wir dann bei Léo Malet lesen.

Pécherots kluge Trilogie ist so gut geraten, dass man darüber die ganzen, vielen, vielen  schlechten historischen deutschen Grimmis à la Volker Kutscher vergessen kann.

Patrick Pécherot: Boulevard der Irren (Boulevard des Branques, 2005). Roman. Deutsch von Katja Meintel. Hamburg: Edition Nautilus 2011. 256 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zu Boulevard der Irren, Nebel am Montmatre und Belleville – Barcelona. Zur Homepage des Autors.

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