Geschrieben am 21. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– heute akustisch von Mike Wuliger (Wu), literarisch von Joachim Feldmann (JF) und visuell von Thomas Wörtche (TW).

Kosher Nostra Music

(Wu) Wenn Benjamin „Bugsy“ Siegel in den 30er-Jahren seinen Lieblingsnachtklub betrat, stimmte die Kapelle stets die Melodie von „My Yiddische Mamme“ an. Bugsy musste dann weinen und gab den Musikern dicke Trinkgelder. Der Gangster war nicht nur ein psychopathischer Killer, sondern auch ein sentimentales jüdisches Jingele.

„My Yiddische Mamme“ gibt es auf der neuen CD „Kosher Nostra“ in gleich zwei Fassungen zu hören, dem Original von Sophie Tucker aus den 20ern und einer Coverversion, die Tom Jones 1967 aufgenommen hat. Dazu kommen weitere jiddische Evergreens, gesungen von jüdischen Interpreten wie Molly Picon („Die Rozinke“) oder den Barry Sisters („Eishes Chiyell“), aber auch von nichtjüdischen Stars:  Die Andrews Sisters („Bei mir bistu sheyn“) sind natürlich mit dabei, aber auch Connie Francis. Die italienischstämmige Popikone der 60er singt „Shein vi de Levone“ in perfektem Jiddisch.

Der Titel des Albums, „Kosher Nostra“, verweist auf das organisierte Verbrechen in den USA, das bis in die 50er-Jahre ein sizilianisch-ostjüdisches Joint Venture war. Diese immer noch wenig bekannte Geschichte beleuchten im Booklet die Herausgeber des Albums, der Frankfurter Musiker Shantel und der Wiener Künstler Oz Almog, der aus seiner Wiener Ausstellung zum gleichen Thema von 2004 wunderbare Porträtbilder der kriminellen Stars beisteuert.

Ein bisschen Etikettenschwindel ist es natürlich, wenn die CD sich mit dem Untertitel „Jewish Gangster’s Greatest Hits“ schmückt. Im Grunde handelt es sich schlicht um eine Sammlung von 21 US-jüdischen Evergreens, die seinerzeit nicht nur Verbrecher gerne hörten, sondern auch Zahnärzte und Schmatteshändler. Man kann das auch positiv formulieren: Die Gangstergeschichte(n) im Booklet gibt es als Bonus zusätzlich zu authentischer jüdischer Unterhaltungsmusik. Mit der Betonung auf authentisch: Klesmer kommt in dem Album zum Glück nicht vor.

(Dieser Artikel erschien am 19.Mai in unserem Partner-Blatt, der Jüdischen Allgemeinen)

Shantel & Oz Almog: Kosher Nostra. Jewish Gangster’s Greatest Hits. CD mit 60-seitigem illustrierten Booklet. Essay Recordings LC13406 2011. 15,99 Euro.
Weitere Informationen mit Hörbeispielen

Der nächste Winslow …

(JF) Ben und Chon könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch der Berkeley-Absolvent mit einem erstklassigen Abschluss in Biologie und Marketing und der ehemalige Marineinfanterist sind nicht nur dicke Freunde, sondern auch äußerst erfolgreiche Geschäftspartner. Ihre Firma floriert, was angesichts der exzellenten Produktqualität und eines reibungslosen Vertriebs kein Wunder ist. Dass ein solches Unternehmen interessierte Blicke auf sich zieht, ist selbstverständlich. Bereits einmal musste Chon eine feindliche Übernahme verhindern. Doch nun liegt ein Angebot auf dem Tisch, das sich nicht so einfach ablehnen lässt. Es handelt sich um einen Video, das die enthaupteten Leichen von neun ihrer Vertriebsmitarbeiter zeigt. Und der Absender ist das berüchtigte mexikanische Baja-Drogenkartell.

Denn das Produkt, dessen Herstellung und Verkauf Ben und Chon ein angenehmes Leben inklusive wohltätiger Aktivitäten finanziert, ist bestes Cannabis. Die Bedingungen des Großkonzerns von jenseits der Grenze sind klar: Die Amerikaner sollen weiterproduzieren, doch der Vertrieb wird in Zukunft anders organisiert. Nämlich effizienter und profitträchtiger, wie es die Emissäre der Mexikaner ausdrücken.

Ben und Chon sind schwer zu überzeugen. Ein entschiedenes „Fuck you“ stellt die Sache klar, aber so leicht gibt man in diesem Geschäft nicht auf. Um Druck auszuüben, entführen die Mexikaner Bens und Chons Freundin Ophelia. Dann bricht der Krieg aus.

„Savages“ heißt der im letzten Jahr erschienene neue Roman von Don Winslow, der in gewisser Hinsicht eine Fortsetzung seines viel gelobten historischen Drogenthrillers „Tage der Toten“ („The Power of the Dog“) darstellt. Wieder wird um Anteile an einem lukrativen, weil illegalen Markt gekämpft. Wieder greifen die Beteiligten zu den brutalsten Mitteln. Und wieder ist das Ende von überwältigender Hoffnungslosigkeit.

Don Winslow präsentiert seine Geschichte in 290 Kapiteln, von denen manche nur wenige Worte umfassen. Poetische Verknappung ist das vorherrschende Stilmittel. Manches ist von einer ebenso grimmigen wie verzweifelten Komik. Aber das Entsetzen überwiegt.

„Savages“ ist der bislang beste Roman des kalifornischen Autors. Aber vielleicht auch der am schwersten zu übersetzende, was erklären würde, warum Suhrkamp momentan Winslows umfangreiche Backlist abzuarbeiten scheint.

Don Winslow: Savages. 303 Seiten. London: William Heinemann 2010. 12,99 Pfund.
Verlagsinformationen zum Buch

Die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Zeit des Zorns“ soll im November 2011 bei Suhrkamp erscheinen, wie wir gerade erfahren.

Sind so schöne Morde – Inspector Lewis, die DVDs …

(TW) Meine Güte, dass es so was noch gibt. Rührend. DERRICK in Oxford. Morde mit Shakespeare und C.S. Lewis, mörderische Mütter und Dichter, Gelehrte, Professoren … Oxford als Hort des Gepflegten (nicht nur des unglaublich grünen Rasens), wo mit Spiegeln gekillt wird und die Polizei im Straßenkaffee Dienstbesprechungen abhält. Und alles schwer gebildet, man plaudert, zitiert die Klassiker oder guckt grimmig und ist ein klein wenig keimig, wenn man den Klassenkämpfer gibt. Und alles sehr schön psychologisch tief. Ach ja  … „Lewis“ ist bekanntlich ein Spinnoff der Inspector-Morse-Serie und Morse wiederum stammt von Colin Dexter, dessen Oxford-Romane an die Gelehrsamkeit der Sayers, Innes & Co. anknüpfen möchten, ein klein wenig mit postmodernen Verfahren spielten (aber nur halbherzig), unendlich prätentiös waren und letztendlich stramm die Ansicht verbreiteten, dass Morde nur dann reizvoll und irgendwie von Belang sind, wenn sie von netten Leute in netter Umgebung und unter Berücksichtigung gewisser zivilisatorischer Standards stattfinden. An dieser gepflegten Langeweile ändern auch manch genial angewiderte mimische Highlights von Lewis Darsteller Kevin Whately nichts und auch nicht der hin und wieder aufblitzende Sarkasmus des Sgt. Hathaway, der von Laurence Fox echt cool (hat er vielleicht von Onkel Edward Fox) gegeben wird. Als Einschlafhilfe absolut top und falls man sich mal so richtig kultiviert fühlen möchte!

Lewis. Der Oxford Krimi. Staffel 3, 4 Episoden: Von Musen und Morden (Allegory of Love); Mörder in eigener Regie (The Quality of Mercy); Eine Frage der Perspektive (The Point of Vanishing); Ein letzter Blues (Counter Culture Blues)
Hauptdarsteller: Kevin Whately, Laurence Fox, Clare Holman, Rebecca Front
Produzent: Chris Burt
Regie: Bill Anderson, Bille Etringham, Maurice Phillips
Drehbuch: Allen Platter, Stephen Churchett, Nick Dear und David Pine nach einer Vorlage von Colin Dexter
370 Min.
PAL 16:9 Widescreen. Dolby Digital 2.0 Dt/Engl.
Granada Television 2008. Edel Motion 2011. 24,99 Euro.