Wer will, der darf?
– Bettina Raddatz debütierte mit „Der Spitzenkandidat“ und machte damit Hoffnung auf gute Politkrimis. Frank Göhre sieht nach dem zweiten Roman, „Die Staatskanzlei“ die Hoffnung schwinden …
Einen Krimi glaubt jeder schreiben zu können, die pensionierte Grundschullehrerin ebenso wie der noch im städtischen Katasteramt beschäftigte Beamte. Journalisten und vor allem Germanisten mit und ohne Hochschulabschluss sind per se davon überzeugt und Personen mit entsprechender Berufserfahrung – Kriminologen, Gerichtsmediziner, Juristen u.a. – stehen ihnen da in nichts nach. Doch der Sachverstand der einen und die gern beschworene langwierige Recherche der anderen reichen längst nicht aus, um einen wirklich guten Kriminalroman zu schreiben. Und erst recht nicht die Beteuerung, grammatikalisch richtige Sätze bilden zu können. Es gilt vielmehr, einen in sich schlüssigen und bestenfalls überraschenden Plot zu entwickeln und über eine dichte und packende Sprache zu verfügen – jedenfalls keine, die ständig erklärt anstatt zu erzählen.
„Je mehr Erfahrungen in einem Text wiedergegeben werden und je weniger Worte der Text dazu braucht, umso besser der Stil.“ (E.A. Rauter, Sprachkritiker)
The Inner Circle
Bettina Raddatz ist Wirtschaftswissenschaftlerin und war für das Bundesbildungsministerium tätig, bevor sie ins niedersächsische Wirtschaftsministerium wechselte und später kurzfristig in die Geschäftsführung eines Unternehmens. In der niedersächsischen Staatskanzlei hat sie für namhafte deutsche Spitzenpolitiker gearbeitet.
Sie ist also eine Frau aus dem parteipolitischen „Inner Circle“.
Jetzt hat sie ihren zweiten Kriminalroman unter dem Titel „Die Staatskanzlei“ veröffentlicht. Laut Verlagstext soll es auch der zweite Fall ihrer Kriminalrätin Verena Hauser sein, aber der bereits im letzten Jahr erschienene Roman „Der Spitzenkandidat“ schließt chronologisch an, ist quasi die Fortsetzung der politischen Ereignisse in Niedersachsen, und kann von daher logischerweise nicht der erste Band der als Trilogie angekündigten Reihe sein.
Doch wie auch immer. Was seinerzeit an dieser Stelle über das Debüt der Autorin (CM-Rezension „Der Spitzenkandidat“) geschrieben wurde, trifft leider in noch verstärktem Maß auf die aktuelle Veröffentlichung zu. Kritisiert wurden die Redundanz und die sprachliche Steifheit, vor allem aber das „Abarbeiten der vermeintlich nötigen Korrektheiten“. Aufgrund des überzeugenden Plots und der kenntnisreichen Innenansicht des Politbetriebs aber gab es die Hoffnung, dass „aus dem ganzen Projekt ja noch was richtig Großes werden“ könne.
Das wird wohl eher nicht der Fall sein.
Karnickel aus dem Zylinder
In „Die Staatskanzlei“ werden zwei Regierungsbeamte erschossen. Der eine ist beruflich und privat ein Ekel mit dubiosen Kontakten, der andere ist gewissermaßen der Gute und allseits Beliebte. Nichts also außer der Tatsache, dass beide leitende Beamte im Staatsdienst waren, verbindet sie. Das wird äußerst mühsam für die ermittelnde Kriminalrätin Verena Hauser, und so braucht es 439 von 494 Seiten, bis der Täter dann aus dem Hut gezaubert wird – völlig überraschend und keinesfalls überzeugend, trotz der vorher eingeschobenen Kursivpassagen, einer äußerst braven und entsprechend langweiligen „Innenansicht“ der psychopathischen Person. Man hat nicht nur bei dieser Lösung den Eindruck, als habe die Autorin mehr und mehr den Blick auf die eigentliche Geschichte verloren. Ein zweiter Handlungsstrang über das Zusammenspiel von Sponsoren à la Maschmeyer, kriminellen russischen Investoren und Kontaktpersonen in der Bundesregierung wird in mehreren kurzen Kapiteln skizziert, soll konzeptionell offenbar darauf schließen lassen, dass die „Staatskanzleimorde“ etwas damit zu tun haben.
Aber dem ist natürlich nicht so. Es belegt unterm Strich lediglich, dass Bettina Raddatz sehr viel über politische Intrigen, Wirtschaftsinteressen und Korruption weiß und noch mehr gelesen hat und es sie drängt, all das mitzuteilen. Weil die Zustände ja auch empörend sind, man dagegen anschreiben muss und sei es „nur“ mit einem Krimi. Für einen wirklich guten und erhellenden politischen Kriminalroman aber (Leseempfehlung: die Romane von Ross Thomas) braucht es harte Arbeit am Konzept der Story und eben auch an Sprache und Stil. Noch einmal also E. A. Rauter mit einem Lehrsatz: „Viele Kollegen machen sich vor, dass man zwar ein halbes Jahr lernen muss, um ein Schwein zu zerlegen, oder drei Jahre, um einen Anzug nähen zu können, dass aber jeder schreiben kann, sobald er etwas erregt ist.“
Frank Göhre
Bettina Raddatz: Die Staatskanzlei. Roman. Wien: Braumüller Literaturverlag 2012. 496 Seiten. 19,95 Euro.
Der Spitzenkandidat. Roman. Wien: Braumüller Literaturverlag 2011. 428 Seiten. 19,95 Euro. Zur Homepage.