Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Bücher, Litmag

Andreas Unterweger: Das kostbarste aller Geschenke

andreas-unterweger_das-kostbarste-aller-geschenkeEinmal Vater, immer Vater

–Der wohl berühmteste Ort für Vermerke ist das Notizbuch von Moleskine. Schon Vorformen davon begleiteten Künstler und Dichter bei ihrem Schaffen, für manche schien das zu befüllende Büchlein lebensnotwendig. Moleskine ist heute noch hip. Auch der Mitte 30-jährige österreichische Schriftsteller Andreas Unterweger hat ein ganzes Buch voller Notizen angelegt –  im Untertitel heißt es: Notizen 10.05.2010 –09.07.2012 – und jetzt zur schönen Veröffentlichung im Literaturverlag Droschl gebracht. Von Senta Wagner

Manche sind wie vom Schlag getroffen oder schlimmeres, andere können es kaum erwarten. Dennoch wohnt dem Ereignis der Zauber des Alltäglichen inne: Aus einem werdenden Vater wird nach der Geburt des ersten Kindes ein echter Vater („Papaisierung“) mit allen individuellen Umwälzungen und Schönheiten, die das für sein Leben bedeutet. Darüber zu schreiben, fällt freilich nicht nur Unterweger ein, und er ist in bester Gesellschaft: Von Peter Handke gibt es etwa die „Kindergeschichte“ (1981), die Tochter von Peter Kurzeck begegnet einem in seiner Prosa immer wieder und von David Wagner erschien 2009 ebenfalls bei Droschl der gelobte Titel „Spricht das Kind“. Unterweger kündet nun in seiner Notizsammlung nicht nur von der Vaterschaft, sondern schließt gleichzeitig ein autobiografisches Projekt ab. Bereits mit den Vorgängerbänden, „Wie im Siebenten“ (2009) und dem quadratischen „Bilderbuch“ „Du bist mein Meer“ (2011), hat er sich in die Herzen der Leser geschrieben. Diese erzählen ganz bezaubernd vom Vorher, „früher einmal“: vom Wachsen der Liebe zu seiner Frau, vom Wachsen des Bauches im gemeinsamen Urlaub am Meer und den „Bilder, die man sich vom Meer macht“. Unterwegers Denken ist eines in Bildern.

10 x 5 Notizen, 3 x 3 x 3 Notizen und so fort

Maria ist also auf der Welt und klein, und ihr sind die ersten „10 x 5 Notizen“ gewidmet. „Dass die Notiz, denkt er, jene literarische Form ist, die sich mit seinem neuen Dasein als Familienvater noch am ehesten vereinbaren lässt.“ Kurzerhand wird die Notiz zur Literaturgattung geadelt. Mit Kind bleibt wenig Zeit zum Schreiben, die Notiz kann die Wirklichkeit, die kostbare, rasch einfangen. Unterweger vermerkt also Beobachtungen, seinen taumelnden Gefühlshaushalt (von himmlischer Freude bis Groll), selbstkritische Gedanken, literarische Zitate, hübsche Einfälle aus einem persönlichen und schmalen Lebenskosmos, der durchdrungen ist vom Vatersein und dem Kind, aber auch Familienurlaube, Freunde, besonders das eigene Schreiben sowie allerhand Unzulänglichkeiten umfasst.

Was wie eine mathematische Umfangsberechnung aussieht, ist die Formel (z. B. „Berliner Vitrinen, 3 x 3 x 3 Notizen“), die die Menge und Verteilung der luftigst gesetzten Notate pro Kapitel bzw. Unterkapitel wiedergibt, wobei deren jeweilige Länge variabel ist. Manchmal sind sie nur einen schnellen Satz kurz. Im letzten Kapitel VII ist die Form nicht wirklich nachvollziehbar. Die Unterkapitel haben treffende Überschriften wie Sprachspiele, Nicht schlafen, Gipfel der Perfidie. Ebenso häufig finden sich durch „und“ (und und) verbundene Notizketten. Das ist ebenso spielerisch unterhaltend wie ordnungssinnig gemacht von Unterweger, an vielen Stellen schlichtweg hinreißend und originell.

„Lala“

Das Merkmal einer Notiz ist ihre nicht geschwätzige Kürze, sie ist Aide-mémoire und findet sich in der Phrase „von etwas/jemandem Notiz nehmen“. Eventuell steht sie am Anfang einer literarischen Textfassung und steht dort für Unfertiges oder Bedenkenswertes. Unterweger dreht die Sache rum und erprobt das Entstehen von Erzählung aus der assoziativen Aneinanderreihung von Notiertem. Gleichzeitig fragt er, wie identisch sind wir mit uns selbst in einem Leben ebenso komplexer wie liebenswerter Anforderungen. Der Begriff Wirklichkeit wird dabei immer wieder reflektiert. Von einem autobiografischen Text wäre nämlich zu erwarten, dass hier ein Unterweger-Ich spricht, es ist aber ein „Er“ zu vernehmen, der aus der Distanz zu frohlocken scheint. Dieser Erzähler zwirbelt sich mitunter erschöpfend in Ganz- und Halbsätze, einzelne Wörter, setzt eckige Klammern in runde, Doppelpunkte und Anführungszeichen, kursiviert und –  „Lala“ (Nennt sie nicht nur das Singen, sondern auch das Schaukeln [weil sie beim Schaukeln singt, denkt er]). So gewinnt in „Das kostbare aller Geschenke“ die literarische Form über das beliebig Private.

Senta Wagner

Andreas Unterweger: Das kostbarste aller Geschenke. Graz: Literaturverlag Droschl 2013. 179 Seiten.

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