Geschrieben am 28. März 2015 von für Bücher, Crimemag

Andrea Di Nicola/Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen

nicola musumeci_menschenhändlerLukrative Schattenwirtschaft auf dem subversiven Markt

– „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“: gesammelt von Andrea Di Nicola & Giampaolo Musumeci ist ein Buch über Schleuser. Ein Ausflug in einen globalisierten Markt von Wolfram Schütte.

Der Titel ist falsch. Der Kriminologe Andrea Di Nicola & der Journalist Giampaolo Musumeci haben nach ihrer zweieinhalbjährigen Recherche mehrere Schleuser kennengelernt & sie zu „Bekenntnissen“ ihrer Tätigkeiten gebracht. Die beiden Italiener haben ihre Nachforschungen sowohl in einheimischen Gefängnissen, als auch z.B. in (Istanbuler) Cafés oder Hafenkneipen in Calais mit kleinen & größeren Fischen des internationalen Menschenschmuggels betrieben. Sie bedanken sich dabei sowohl bei namentlich genannten Staatsanwälten & Polizisten als auch bei „allen, die uns an vielen Orten der Welt die Geschichte ihrer kriminellen Vergangenheit oder Gegenwart anvertrauten“. Nicht vergessen haben die beiden auch allen Flüchtlingen zu danken, „die uns ihre Geschichte erzählten und mit denen wir einen Teil ihres Lebens, ihren Schmerz und ihre Hoffnungen teilen durften“.

Denn Di Nicola & Musumeci haben ihren investigativen Journalismus gelegentlich „undercover“, als Mitflüchtlinge, betrieben & sind wohl auch dabei persönliche Risiken für Leib & Leben eingegangen, um möglichst aus nächster Nähe von dem (nach dem Drogenhandel) zweitlukrativsten illegalen internationalen Geschäftsfeld zwischen Asien & Afrika auf der einen & den europäischen Wohlstandsparadiesen auf der anderen Seite des Mittelmeers (bzw. später des Ärmelkanals) zu berichten.

Obwohl Di Nicola, der in Trient lehrende „Experte für organisierte Kriminalität“, auch für staatliche europäische Organisationen arbeitet, also im Dreieck von Justiz/Polizei –Schleusern/Menschenhändlern – illegalen Immigranten, gewissermaßen „Partei“ ist, war er nach den Berichten des Buchs jeweils an der Seite des Journalisten „seiner Passion nachgegangen“, um mit ihm zusammen vor Ort das kriminelle Phänomen zu erforschen. Dieser persönliche Augenschein hat die Berichte & Porträts aus dem Menschenhandelsgeschäft analytisch scharfsichtiger gemacht. Offenbar sind die beiden Autoren so gut, sprich: so fair mit ihren einander gegnerischen Gesprächspartnern umgegangen, dass sie sich ohne Zynismus gewissermaßen bei „Katz & Maus“ für deren Kooperation bedanken können.

lampedusaVernetzung

Das allseits bekannte schockierende Bildmaterial von vielen tragischen Enden vor der Küste Lampedusas u.a. italienischer Zielorte wird hier mit den verwickelten Vorgeschichten der illegalen Europa-Immigranten erzählerisch manchmal bis nach Afghanistan, China & Südostafrika ebenso zurückverfolgt wie durch die Biographien & Ansichten ihrer bezahlten Helfershelfer ergänzt. Dabei wird – wie nicht anders zu erwarten – eine mafiotische, kriminelle Organisationsstruktur und internationale Vernetzung dargestellt. Es gelten im Bereich diese Schattenwirtschaft genauso die globalen kapitalistischen Marktgesetze mitsamt deren Monopolisierungstendenzen, wie auf dem „offenen“ Handelsmarkt. Je nach dem, was die Europa-Süchtigen finanziell aufbieten können, richtet sich die Qualität des Menschenschmuggels auf dem illegalen Reise-Markt. Allein im Geschäftsbereich Afrika/Europa werden nach UN-Schätzungen jährlich 150 Mio. $ Gewinn gemacht. Im Verlauf des Vierteljahrhunderts, in dem das Geschäft aufgeblüht ist, haben sich die Usancen immer weiter ausdifferenziert – u.a. auch zwischen „seriösen“ Schleusernetzen, die erst kassieren, wenn ihre Kundschaft europäischen Boden erreicht hat & räuberischen Erpressern, die Vorabkasse verlangen & nicht selten sich um ihre „Reisenden“ nicht mehr kümmern, wenn in ihren überfüllten Booten europäisches Land in Sicht ist.

Im Grunde handelt es sich um einen globalisierten Markt, auf dem genauso skrupellos gehandelt wird wie beim An-& Verkauf von x-beliebigen Gütern. Die Menschen werden schlimmstenfalls behandelt wie Vieh (wenn sie sich nur eine „Billigeinreise“ erlauben konnten). Die Flucht- & Einschmuggelhelfer, die arbeitsteilig immer nur für einen Ort oder eine Phase der Reise verantwortlich sind, gehören als regional rekrutierbare Teilzeitkräfte zu großen international verknüpften Netzwerken. Sie finden in den Gesellschaften rund um die „Festung Europa“, immer genug Helfershelfer, die froh, dankbar & deshalb ebenso korrupt wie verschwiegen sind, mit dieser Art „Arbeit“ ihren bescheidenen Lebensunterhalt finanzieren zu können: ob als bestochene Beamte oder als Kapitäne, Wirte oder Fremden-Führer über die Grenzen. Weil keine rechtstaatlich gleichwertige Beziehungen zwischen den Behörden sowohl innerhalb Europas als auch außerhalb Europas bestehen, hinken die europäischen Grenzer den professionell agierenden internationalen, hocheffizienten & kreativen Menschenhändlerorganisationen ähnlich hilflos hinterher wie bei den mafiotischen Entwicklungen im internationalen Drogenhandel. Überhaupt scheint der Menschenhandel die finanziell erfolgreichste Fortsetzung des subversiven Wirtschafts-Kriegs zu sein, den die Mafias aller Länder gegen jegliche staatliche Ordnung führen.

Fingierungen

Allerdings hat man als Leser dieser vielfarbigen & multiperspektivischen Berichte aus dem „Schleuser-Untergrund“ ein kleines Problem mit der journalistischen Aufbereitung der Recherchen. Zum einen versichern die Autoren immer wieder, sie müssten bei den Schleusern, die mit ihnen gesprochen haben, deren namentliche Identität vor den „Chefs“ oder der Polizei schützen. Aber im Laufe dieser mit ethnischen Herkünften, signifikanten äußerlichen Kennzeichen & bekannten Handlungen geradezu romanesk ausstaffierten & damit authentizitätsprunkenden Biographien von Schleusern oder Schleppern fragt man sich als Leser, was da noch vor wem verheimlicht werden soll – wo doch, wenn das uns Erzählte jeweils faktisch stimmt, jedem Kenner der Szene quasi automatisch der Realname hinter dem erfundenen Decknamen einfallen dürfte.

Zum anderen hat mich sehr gestört, dass die beiden Autoren oft eine suggestive Nähe zu den von ihnen porträtierten Menschenhändlern literarisch fingieren, indem sie die ihnen in Gesprächen entlockten oder offenbarten Selbstaussagen zu autobiographischen Monologen der z.B. aus Georgien, der Türkei, Ägypten, der Ukraine oder Südafrika stammenden Schleuser verdichtet haben.

Ob sie sich an die Stelle eines Beamten auf dem Flughafen versetzen oder mit einem Schleuserkapitän von einem türkischen Hafen bis nach Korfu oder Süditalien übers Mittelmeer schippern: ihre 12 unterschiedlich erzählten Geschichten bieten reiches Anschauungsmaterial & Lektüre-Spannung für Leser, die sowohl über die Hintergründe des internationalen Menschenschmuggels informiert als auch durch abenteuerliche Stories unterhalten werden wollen. Es sind „nur“ die „kleinen Fische“ & nicht die „Haie“ oder „Orkas“ des „Milliardengeschäfts mit den Flüchtlingen“, die uns als Personen vorgestellt werden. Über die Bosse an der Spitze & deren Aufenthalt & Verbindungen können die beiden Rechercheure nur spekulieren, denn die haben sich mit ihnen nicht gemein gemacht – ganz wie bei der Cosa Nostra oder der ´Ndrangheta.

Wolfram Schütte

Andrea Di Nicola / Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen. Aus dem Italienischen von Christine Amman, München: Kunstmann-Verlag 2014. Zahlreiche Abbildungen. 206 Seiten. 18,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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