Geschrieben am 25. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Andrea Camilleri: Das Netz der großen Fische

Fressen und gefressen werden

– Andrea Camilleri kann auch Bücher ohne seinen Comissario Montalbano. Aber muss er das auch? Kerstin Klamroth ist skeptisch …

Dass die Medien immer nur die Wahrheit berichten, glaubt im Berlusconi-geschüttelten Italien wohl keiner mehr. Um diese Binsenwahrheit ans Licht zu bringen, braucht es folglich auch keinen Comissario Montalbano. So siedelt Andrea Camilleri seinen neuesten Krimi (2009 in Italien erschienen) gleich in den Redaktionsstuben des öffentlich-rechtlichen Sender RAI an und knüpft ein Netz zwischen Mafia, Medien und Politik. Hauptfigur ist Programmdirektor Michele Caruso, wohnhaft in Palermo, eine Marionette der Mafia. Er muss sich zurechtfinden im Haifischbecken, ohne zu wissen, wer morgen gefressen werden wird. Das ist gar nicht so einfach, denn beim Fernsehen kann man sich nicht verstecken. Wird eine Nachricht gesendet, ja oder nein? Räumt man einer Stellungnahme Sendeplatz ein? Welche Rolle spielt die Staatsanwaltschaft, der Schwiegervater, der Kommunalpolitiker, die Geliebte, ja sogar die eigene Ehefrau? Im Beziehungsgeflecht verliert nicht nur Caruso, sondern auch oft genug der Leser die Übersicht, sodass er das Glossar mit der Auflistung der handelnden Personen öfter mal zur Hand nehmen muss.

Schlitzohrig behauptet Camilleri  im Nachwort, den  journalistischen Alltag nicht zu kennen, ja nicht einmal für die Recherche einen Fuß in die Fernsehstudios gesetzt zu haben. Da die RAI etliche Krimis des inzwischen  85-Jährigen verfilmt hat, scheint dies wenig glaubhaft.

Camilleri geht es ohnehin nicht um Detailtreue, sondern um eine Art Strickmuster. Die Mafia hat der gebürtige Sizilianer viele Jahre lang studiert und in seinen Büchern beschrieben (zuletzt in  „M wie Mafia“)

Wenig spannend …

Seinem Plot liegt ein wahres Ereignis zugrunde: Die Studentin Chiara Poggi wurde 2007 tot in ihrer Wohnung aufgefunden, verdächtigt wurde ihr Verlobter Alberto Stasi. Dies, so behauptet Camilleri, sei der historische Kern seines Romans, alle anderen Handlungsstränge seien frei erfunden. In seinem Roman ist der Verdächtige der Sohn eines führenden Mitglieds einer sizilianischen Linkspartei, das Opfer die Tochter eines mächtigen Abgeordneten der gegnerischen Partei. Der mysteriöse Todesfall kommt der Mafia gerade recht, um ihre politischen Interessen durchzusetzen, nach dem Motto „Io ti do ’na cosa a te, tu mi dai ’na cosa a me“ („Eine Hand wäscht die andere“). Und Caruso, der Journalist, immer mittendrin, ein kleiner Fisch im Tsunami. Es geht um Subventionsbetrug, Bankgeschäfte, die Besetzung von politischen Ämtern.

Die teilweise recht verzwickte Story (man weiß nicht immer, wer jetzt mit wem eine Verhältnis hat) wird auf zweihundert Seiten mittels Dialogen enthüllt – und mit allerlei amourösen Verwicklungen gewürzt. Eine Intrige jagt die andere, ein Spion kommt zu Tode – Camilleri erzählt mit gewohntem Witz und Zynismus, aber spannend ist der Roman nicht. Wir wissen ja eh schon, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt. So richtig froh sind wir am Ende nicht, dass der korrupte Studioleiter seinen Posten beim Fernsehen behält. Dem Wahren und Guten zuliebe – vielleicht sollte Montalbano doch wieder ermitteln.

Kerstin Klamroth

Andrea Camilleri: Das Netz der großen Fische (La Rizzagliata, 2009). Deutsch von Moshe Kahn. Köln: Lübbe HC. 224 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch, zu Camilleris Webpräsenz.

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