Geschrieben am 4. Dezember 2010 von für Bücher, Crimemag

Andrea Camilleri: Das graue Kleid

Heiliger Luigi

– Früher war das mal ein Gütesiegel: Literatur aus Sizilien. Tempi passati, wie es scheint. Nun fällt auch Andrea Camilleri, obwohl – oder weil? – er Bücher im Akkord produziert, nichts Rechtes mehr ein. In seinem vorerst letzten Roman geht ein hoher Bankangestellter in Pension. Zugleich wird er mittels eines anonymen Briefchens darauf gestoßen, dass seine Frau Adele ihn seit langem betrügt. So richtig unerwartet kommt das nicht, die Dame ist immerhin 25 Jahre jünger und eine Ausgeburt von Sinnlichkeit. Allerdings, und diese Erkenntnis kommt unserem Mann schon bitterer an, ist sie, genau betrachtet, eigentlich ein arg schlichtes Gemüt: Adele liebt die eigene Lust und ist ansonsten eine empathiefreie Zone. Also versucht sie, ihren pensionierten Gatten aushäusig zu beschäftigen, um sich diversen Liebhabern zu widmen. Der Ehemann lässt es sehenden Auges über sich ergehen. Dann erkrankt er, die Sache scheint zu kippen, Adele zur treu sorgenden Ehefrau zu werden. Stimmt aber nicht. Das Teufelsweib hat alles unter Kontrolle. Bis zum letzten Augenblick.

Und das war es auch schon. Mehr kommt nicht. Gut, die Mafia schrammt mal vorbei, schließlich sind wir in Sizilien. Ansonsten aber muss die unergründliche Adele – in ihrer berückenden Schönheit, Sexgier und Dümmlichkeit das Abziehbilder einer Altherrenfantasie – den Text tragen. Nicht so schlimm, könnte man meinen. Schlechte, auch sprachlich unauffällige Bücher gibt es immer wieder. Und Andrea Camilleri hat ja schon wesentlich bessere Non-Montalbanos, also Non-Crime-Romane, geliefert. Doch als besonderes Ärgernis kommt hinzu, dass der Klappentext einen Mann namens Febo Germosino, der als ehemaliger Chef des Protagonisten einen Kurzauftritt auf Seite 14 f. hat, zur Hauptfigur erklärt. Und das Internet plappert den Fehler unverdrossen nach. Aber es kommt noch besser: Auf der italienischen Originalausgabe aus dem Hause Mondadori prangte 2008 offenbar derselbe Unsinn, was immerhin dem „Corriere della Sera“ auffiel. Offenbar wird Camilleri nicht mal mehr in seinen eigenen Verlagen gelesen. Heiliger Luigi und Leonardo (nämlich Pirandello und Sciascia) helft, die Literatur auf eurer Insel geht grad den Bach runter!

Steffen Richter

Andrea Camilleri: Das graue Kleid (Il tailleur grigio, 2008).  Deutsch von Moshe Kahn. Reinbek: Kindler Verlag 2010. 192 Seiten. 16,95 Euro.

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