Geschrieben am 18. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Andrea Böhm: Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo

Blut, Ironie und Bodenschätze

– Der Kongo ist eine der schlimmsten Krisenregionen dieses Planeten. Gleichzeitig eine der schönsten Gegenden der Welt. Lena Blaudez  kennt den Kongo bestens, sie erkennt ihn auch wieder in einem hervorragenden Buch von Andrea Böhm.

Gleich im Vorwort von Andrea Böhms „Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo“ wird klar, dass in diesem Buch nicht die tausendfach wiedergegebenen Klischees über die Projektionsfläche europäischer Ängste und Vorstellungen schlechthin – also über den Kongo – zu erwarten sind.  Andrea Böhm schreibt in erster Linie über die Menschen in einem Land, das von einer höchst leidvollen Geschichte geprägt ist, die bis heute zum Teil verheerende Superlative aufzuweisen hat.

Foto: Reuters

Rohstoffkriege

So bekommt z.B. der Begriff „Rohstoffkrieg“ in diesem Land zum ersten Mal seine volle, grauenhafte  Bedeutung.  Hier errichtete der belgische König Leopold II 1885 den ersten Gulag zur Ausbeutung der immensen Bodenschätze. Bis 1908 war das Land gar sein Privateigentum. Heute

kämpfen hier Europa, China und die USA um den Zugang zu den teilweise weltgrößten Vorkommen an Erzen, Gold und Diamanten. Hier tobte 1996 der schlimmste Krieg des Kontinents, der auch heute noch weiterwirkt und bei dem die UN total versagt hat. Hier befindet sich (noch) der zweitgrößte Regenwald der Erde.

Leopold II von Belgien

Klare Worte und leichter Stil

Vor dem Hintergrund der packend geschilderten Geschichte dieses Landes erzählt Böhm auf empathische, berührende oder sachliche, nie aber auf abgehobene, mitleidige oder belehrende Weise vom Alltagsleben der Menschen. Ihr gelingt das Kunststück, das Lebensgefühl und dabei auch die Selbstironie der Kongolesen im alltäglichen Ausnahmezustand unter zum Teil schier unfassbaren Zuständen nachvollziehbar zu beschreiben und damit noch der bizarrsten Überlebensstrategie Räson zu verleihen. Man schlägt sich eben durch – egal, welche militärische Allianz oder politische Gruppierung gerade das Sagen hat.

Auch gelingt es Andrea Böhm, die schier unüberschaubaren Wirren der Kriege und Bürgerkriege, der sich bekämpfenden Truppen, Banden und Warlords und die wechselnden Allianzen plausibel zusammenzufassen. Entgegen manch anderer Berichterstattung findet sie klare Worte und Zuordnungen, beispielsweise zur Rolle Paul Kagames, des ruandischen Präsidenten, und seiner „Brandstifterpolitik im Kongo“.

Paul Kagame

Banditen und Wanderzirkus

Andrea Böhm folgt auf abenteuerlichen Reisen den Spuren eines afroamerikanischen Missionars in das damalige Königreich und verknüpft die Vergangenheit des brutalen belgischen Kolonialregimes mit Beobachtungen aus der Gegenwart.

Sie sucht den minderjährigen Rebellengeneral der angeblich unverwundbaren Mayi-Mayi-Milizen und findet einen zutiefst verstörten und traumatisierten kleinen Jungen.

Sie besucht Mbuji – die bis 2008 geschlossene Stadt, zu der nur die Akteure der globalisierten Diamantenbranche Zutritt hatten, und beschreibt die Zustände auf den reichsten Diamantenfeldern der Erde, über denen sich eine der weltweit ärmsten Millionenstädte weiter ausbreitet und wuchert.

Andrea Böhm reist in die rohstoffreichen Kivu-Provinzen, in denen  sich heute das „militarisierte Banditentum“ breit macht. Sie erzählt vom Leben der Menschen dort, für die sich mit den diversen Machtwechseln in Kinshasa nichts geändert hat – außer dass sie noch mehr Probleme bekommen haben. In Bukavu z.B. befindet sich die lange Zeit einzige Klinik in der mit beklagenswert wenigen Mitteln engagierte Ärzte versuchen, den massenhaft vergewaltigten und misshandelten Frauen zu helfen, von denen sowieso nur ein Bruchteil dorthin gelangt. Sie hört die Erlebnisse von Patientinnen, von denen einige „zu grausam waren, um sie je zu veröffentlichen“.

Mit den freundlichen pakistanischen Blauhelmen lernt sie das Elend der UN-Mission kennen („Wanderzirkus für den Weltfrieden“), deren Verbündete – wie die hungernde und marodierende kongolesische Armee –Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind. Sie schreibt über die „schwammige Grenze zwischen Tätern und Opfern“ in den Kriegen und eröffnet neue Blickwinkel auf die Hintergründe der Gewalt.

Und natürlich treten sich in der paradiesischen Natur mit dem angenehmen Klima am Kivu-See – einst die Schweiz Afrikas genannt – die internationalen Hilfsorganisationen auf die Füße …

Kleptokratie und Träume

Wir bekommen auch einen Eindruck von den gigantischen „Tauschgeschäften“ der Chinesen: Konzessionen und Abbau der Bodenschätze gegen Infrastruktur – Deals frei von jeglichen Komplikationen wie Menschenrechte, Umweltschutz oder Sozialstandards.

Immer bei Böhm sind die geschilderten Verhältnisse eingebettet in Geschichten und Berichte, die Einblicke in den Lebensalltag bieten.

Nach jahrzehntelanger Kleptokratie der Eliten und keinem absehbaren Ende ist das Ausmaß der Armut so groß, dass inzwischen selbst die solidarischen Familienstrukturen zusammenbrechen. Wenn es trotzdem Veränderungen zum Besseren gibt, dann entstehen die aus den Träumen, der Energie, dem Mut und der Zähigkeit von Einzelnen. Nicht wegen der politischen Entwicklungen, sondern ihnen zum Trotz.

Andrea Böhm hat den Blick für das Detail im Chaos, die Komik im Wahnsinn des Alltags und die Vernunft im Bizarren. „Gott und die Krokodile“ ist ein herausragend gutes Buch, das so eindringlich Geschichte und Gegenwart des Landes beschreibt, wie man es nur selten lesen kann.

Lena Blaudez

Andrea Böhm: Gott und die Krokodile. Eine Reise durch den Kongo. München: Pantheon 2011. 272 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch
Homepage Lena Blaudez

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