Geschrieben am 19. Oktober 2013 von für Bücher, Crimemag

Albert Ostermeier: Seine Zeit zu sterben

Ostermeier_seine_Zeit_zum_sterbenAu Weia!

Als Lyriker ist Albert Ostermeier große Klasse, als Erzähler grenzwertig, wie man an „Seine Zeit zu sterben“ sehen kann – Tina Manske hat arg gelitten:

Der erste Satz ist auch gleich der beste: „Für die Nacht zum 20. Jänner ist im Gebirge mit heftigen Schneefällen zu rechnen.“ Da scheint er gleich auf, der „Lenz“ des großartigen Georg Büchner, in dem es zu Beginn heißt: „Den 20. Jänner ging Lenz durch’s Gebirg.“

Oh, eine schöne Anspielung, denkt man und erwartet also Großes, von Albert Ostermaier sowieso, der als Lyriker bereits sehr Überzeugendes geleistet hat. Nach „Zephyr“ und „Schwarze Sonne scheine“ ist „Seine Zeit zu sterben“ der dritte Roman des Schriftstellers und sein erster Thriller bzw. Thrillerversuch. Denn, so viel sei vorweggenommen, der Roman enttäuscht auf ganzer Linie.

Schicksale in Kitzbühel

Ostermaier lässt darin mehrere Schicksale in Kitzbühel aufeinandertreffen, am Tag des härtesten Skirennens der Welt, der Streif. Da ist das Pärchen Yvonne und Christoph mit ihrem Sohn Igor, auf dem Weg in den Urlaub, aber mitten in der Ehekrise. Da ist die Polizistin mit dem Spitznamen Bonnie (weil sie mit Nachnamen Klaid heißt – lacht da jemand?). Da ist Franz Huller, der ehemalige Skichampion, durch eine Verletzung in seiner Karriere ausgebremst und jetzt mit einem enormen Hass auf den Skizirkus. Da sind die Russenmafiosi Vladimir und Andrej, die noch ein paar Rechnungen offen haben. Und da ist Ödön Lunge (ja, der heißt wirklich so), einer, der offensichtlich Probleme mit sich und der Welt hat und der auf der Streif herumstreift (ha!) und der dann auf den Skikurs mit Igor trifft … Plötzlich ist Igor verschwunden, und die Suche nach dem Kind kollidiert mit der Vergnügungssucht der Kitzbühel-Schickeria.

Klingt so schon reichlich konstruiert, aber man hätte etwas draus machen können. Wenn, ja wenn man nicht so mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen würde wie Ostermaier beim Schreiben seines Romans. Beispiele dafür gibt’s zuhauf. Da ist zuvorderst der Wahn (das deutsche Feuilleton nennt’s auch gern „rasant“), alles und jede Begebenheit mit einer Skianalogie zu belegen. Da wird „wie ein Lawinenhund“ nach der Liebe gesucht, da kann der Rest des Tisches „ihrem Gespräch nicht folgen, den kurzen Andeutungsschwüngen, den Buckelpisten“, da ist der Charme eines Mannes „wie eine Daunenjacke, wenn die Nächte kälter wurden“, „bis nichts bliebe als ein weißer Planet, der wie ein Schneeball durch die Galaxie flog“ usw. usf. Es wird aber auch nach dem billigen Witz geschielt („wenn sie ein Auge zudrückte, dann war es ein totes Auge“, aua aua …).

Schlechter Stil

Das alles ist erst mal schlechter bzw. fehlender Stil, traurig genug, aber geschenkt. Wie aber kommt es, dass da jemand, dessen Gedichte einen umhauen können, so an der Sprache scheitert und nicht mal korrekte Sätze zustande bringt? „Das wäre Ironie der Geschichte, dachte er sich, […] wenn ihm jemand die Innereien zerfetzen und ihm schlicht das Kreuzband riss, weil er ausweichen musste, eine falsche Drehung.“ Oder: „Lord konnte sich nie erklären, wie es Scotty gelang, alle Spuren zu verwischen, als tauchte er sein Gesicht jeden Morgen in den Schnee, oder er hatte mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, dass er ihm mit jedem Sonnenaufgang eine neue Leber implantierte.“ Lord, oh Lord, wie ist ein solcher Satz zu erklären? Indikativ, Konjunktiv, alles geht durcheinander, aber möglichst wahllos und Hauptsache im falschen Tempus.

„Es war zu spät, es war längst zu stark geworden in ihm, sein Kopf war gelähmt, er konnte ihn nicht länger zurückhalten, weder mit Vernunft noch mit der Illusion, dass alles gut würde, alles wird wieder gut.“ Quizfrage an die Leser: Wen konnte er da nicht mehr zurückhalten? Seinen Kopf? Würde man denken, nicht wahr? Nein, es geht um seinen Willen, aber das können Sie nicht wissen, denn der wurde fünf Sätze vorher zum letzten Mal erwähnt. Allerdings hat man als Leser tatsächlich das Problem, den Kopf nicht länger zurückhalten zu können, weil er angesichts solcher Passagen vor Entsetzen und Langeweile auf die Brust sinkt. An anderer Stelle heißt es: „Aber Scotty hatte in ihren sprechenden Blicken eine andere Wahrheit zu hören geglaubt, lautlos, aber umso lauter schreiend.“ Ein einfacher Soundtechniker hätte an dieser Stelle vielleicht die größten Missverständnisse bereits ausräumen können.

Gar zu lustisch

Manchmal isses aber halt auch gar zu lustig: „Sie blickte auf Schwarzeneggers Hinterkopf. Sie war schwanger.“ Dass der Ex-Gouverneur ein rechter Frauenschwarm ist, wusste man ja, aber dass seine Halbglatze eigentlich ein Kondom braucht, das ist neu und irgendwie auch süß (Ostermaier würde vielleicht sagen: „süß, wie wenn du einfädelst und dich mit der Fresse zuerst in den Tiefschnee packst oder gar packtest“).

Ostermaier schreibt in der Figurenperspektive und wechselt zwischen den Charakteren – gute Idee, aber der irre Kindermörder klingt genauso wie der brave Familienvater wie die schwangere Kommissarin wie der Schuljunge. Letztendlich ist es halt immer der Ostermaier, den wir da hören, und den wir uns vorstellen als verzweifelten Autor kurz vor dem Abgabetermin, schon komplett zernagt und aufgefressen von seinen eigenen Figuren. Aber jetzt ist der Roman ja tot (dieser zumindest) – es lebe der Roman.

Tina Manske

Albert Ostermeier: Seine Zeit zu sterben. Roman. Berlin: Suhrkamp 2013. 305 Seiten. 18,95 Euro. Verlagsinformati0nen zum Buch und Autor.

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