Geschrieben am 8. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

About Crime Fiction – Pick of the Week N° 13

Pick of the Week N° 13

– Seit Jahren bibliografiert, archiviert und kommentiert der Ehrenglauser-Preisträger Thomas Przybilka in seinem BoKAS (= Bonner Krimi-Archiv Sekundärliteratur) wissenschaftliche und publizistische Arbeiten aus aller Welt, die sich mit den unendlichen Facetten von Kriminalliteratur befassen. In unregelmäßig regelmäßigen Abständen erscheinen dann seine unschätzbar wertvollen Zusammenfassungen der aktuellen Sekundärliteratur, die jeder zur Kenntnis nehmen muss, der sich auch nur ein bisschen über seine Lieblingsliteratur kundig machen möchte. Ein solcher „Newsletter“ hat leicht einmal 160 bis 200 Seiten; deswegen empfiehlt CrimeMag jede Woche ein paar Titel aus dieser Fülle, die uns besonders bemerkenswert erscheinen.

Adriaensen, Brigitte/Grinberg Pla, Valeria (Hg): Narrativas del crimen en América Latina

Auch in den Ländern Lateinamerikas hat sich, ausgehend von der Detektivnovelle, ein breites Spektrum von Subgenres entwickelt. Die beiden Herausgeberinnen versammeln in dem vorliegenden Buch Essays von 13 Beiträgern, um die verschiedenen Aspekte der lateinamerikanischen Kriminalliteratur (aber auch des Kriminalfilms) darzustellen und zu analysieren. Die verschiedenen Positionen des Genres werden in 15 Essays – gegliedert in 6 Teile – auf ihre Bezüge zu Gewalt, Recht, Ordnung und Gerechtigkeit untersucht. Jeder dieser Beiträge wird mit einer mehr oder weniger umfangreichen Bibliographie weiterführender Sekundärliteratur abgeschlossen.

Inhalt: Brigitte Adriaensen/Valeria Grinberg Pla: Introducción a cuatro manos

  • Teil 1. Transformaciones del género policial en América Latina.
    Mempo Giardinelli: Novela policial y cine negro. Vasos comunicantes de la narrativa del crimen / Valeria Grinberg Pla: Subversiones genéricas – una vuelta de tuerca latinoamericana a la clásica novela de enigma / Uriel Quesada: De „Castigo divino a El ciela llora por mi“ – 20 años del neo-policiaco centroamericano
  • Teil 2. El género y su popularidad: de miedos y atracciones
    Albrecht Buschmann: Violencia y racionalidad en la narrativa de detección – algunas preguntas teóricas al género policíano / Glen Close: Desnudarse y morir – la erotización del cadáver femenino en el género negro / Verena Dolle: Espacios al margen de la ley
  • Teil 3. Formas de la violencia en el policial mexicano
    Marco Kunz: Entre narcos y polleros –  visiones de la violencia fronteriza en la narrativa mexicana reciente / Ana Luengo: El fronterizo género policial – „Tijuana City Blues“ y „Loverboy“ de Trujillo Muñoz ¿una nueva propuesta? / Brigitte Adriaensen: El exotismo de la violencia ironizado – „Fiesta en la madriguera“ de Juan Pablo Villalobos
  • Teil 4. Detectives latinoamericanos en acción
    Carlos van Tongeren: Cinismo, ironiá y humor negro en la narrativa negra de Rolo Diez / Daniel Noemi Voionmaa: Literatura y estado de excepción desde Heredia y Belascoarán Shayne
  • Teil 5. Incursiones del policial en las batallas por la memoria
    Doris Wieser: „Whodunit“ e intratextualidad en „La diabla en el espejo“ y „El arma en el hombre“ de Horacio Castellanos Moya / Silvana Mandolessi: „A quien corresponda“ – policial negro y memorias de la militancia revolucionara en la novela posdictatorial
  • Teil 6. Exploraciones metaficcionales en el género policial
    Hartmut Nonnenmacher: La tmatización de la literatura y la cultura popular en la narrativa policíaca hispanoamericana / Rosa Pellicer: Estrategias metaficcionales en la narrativa policiaca hispanomericana.

Adriaensen, Brigitte / Grinberg Pla, Valeria (Hg): Narrativas del crimen en América Latina. Transformaciones y transculturaciones del policial. 269 Seiten. LIT Verlag (LIT Ibéricas – Estudios de literatura iberorrománica / Beiträge zur iberoromanischen Literaturwissenschaft / Estudos de literatura ibero-românica, Bd. 3) 2012. 978-3-643-11700-7. 24,90 Euro.

Ergänzend:
– Wiesner, Doris: Crímenes y sus autores intelectuales. Entrevistas a escritores del género policial en América Latina y África lusófona. 2010. M. Meidenbauer Verlagsbuchhandlung
– Wiesner, Doris: Der lateinamerikanische Kriminalroman um die Jahrhundertwende. Typen und Kontexte. LIT Verlag 2012.

Boltanski, Luc: Énigmes et complots. Une enquête à propos d’enquêtes

Luc Boltanski, einer der bekanntesten Soziologen Frankreichs, klopft das Kriminalroman- und Spionageromangenre vom Ende des 19. Jahrhunderts und bis Mitte des 20. Jahrhunderts auf die dort transportierten politischen (Grund-)Vorstellungen ab. Sind die zeitgenössischen sozialen und politischen Umfelder der dort agierenden Ermittler und Agenten so beschrieben, wie es der Realität entspricht? Für seine Untersuchung hat er zunächst einen allgemeinen Blick auf Werke von Arthur Conan Doyle, John Buchan, G.K. Chesterton, Joseph Conrad, Georges Simenon und John le Carré geworfen. Im Hauptteil seiner Analyse „Énigmes et complots“ werden dann die Romane um den Privatermittler Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle und den Kriminalkommissar Jules Maigret von Georges Simenon gegenübergestellt. Wie gleichen sich oder wie unterscheiden sich Arbeitsmethoden eines Detektivs im Kampf gegen gefährlichen Verbrecher (Professor Moriarty) und die eines staatlich bestellten Kriminalermittlers gegen den alltäglichen Mord und Totschlag in der französichen Metropole? Und wie sieht die Profession eines Agenten aus, der Verschwörern das Handwerk legen muss? Ist der beschriebene „Realismus“ ein Abbild der „Realität“?

  • Inhalt: Réalité – contre – réalité / Les enquêtes du détective londonien / Les enquêtes du policier parisien / L’identification des agents secrets / L’interminable enquête des „paranoïaques / La police de l’enquête sociologique / Épilogue – Et l’histoire copia la littérature.

Boltanski, Luc: Énigmes et complots. Une enquête à propos d’enquêtes. 480 Seiten. Éditions Gallimard (NRF Essais – La Nouvelle Revue française) 2012. 2-07-013629-9 / 978-2-07-013629-2. 23,90 Euro. revue.la-nrf@gallimard.fr.

Fleischanderl, Karin: Das italienische Krimiwunder

In ihrem Band „Verspieltes Italien“ versammelt Karin Fleischanderl ihre verstreut erschienenen Interviews, Artikel und Vorträge aus den Jahren 1988 bis 2010 zur italienischen Literatur. Am 28.10.2010 hielt die Literaturkritikerin ihren Vortrag „Das italienische Krimiwunder“ am Institut für Romanistik der Universität Wien. Darin gibt sie einen kurzen Abriss zur Geschichte des italienischen Krimis, dessen Aufschwung in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts unter keinem guten Stern stand: 1931 legte Mussolinis faschistisches Kultusministerium fest, dass 1. der Mörder nicht Italiener sein darf, 2. der italienische Protagonist keinen Selbstmord begehen darf und dass 3. der Mörder stets dingfest gemacht werden  muss. Es ging dann so weit, dass ab 1941 nur noch vom Kultusministerium bewilligte Krimis veröffentlicht werden durften. Dies bedeutete ein Aus für die „Giallo“ – die gelben Hefte – des führenden italienischen Krimiverlages Mondadori, die 1929 mit der ersten Ausgabe auf dem Markt waren. Erst 1946 startete Mondadori wieder seine beliebte Krimireihe. Berühmt in Italien (aber auch im übrigen Europa) wurde der Sizilianer Sciascia, der die italienische Kriminalliteratur maßgeblich mit seinen Anti-Maifa-Romanen geprägt hat. Zu seinen Epigonen zählt man heute Giuseppe Fava. Auch das Autoren-Duo Fruttero / Lucentini oder der Klosterkrimi von Eco und Andrea Camilleris Krimis um Commissario Montalbano prägen seit den 80er Jahren das literarische Bild des italienischen Kriminalromans. Fleischanderls Ausführungen zur Geschichte der italienischen Kriminalliteratur sind gleichzeitig auch ein Blick auf die Entwicklung der italienischen Literatur selbst, die sich auf den Weg „von einer kleinen hochkulturellen Eliteproduktion in Richtung einer zeitgemäßen Massenproduktion“ machte.

Karin Fleischanderl, geboren 1960 in Steyr, lebt als Übersetzerin und Literaturkritikerin in Wien. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift „kolik“. Im Verlag Sonderzahl erschien von ihr 2010 „Vom Verbot zur Verkauf. Aufsätze zur Literatur“.

Fleischanderl, Karin: Das italienische Krimiwunder. IN: Fleischanderl, Karin: Verspieltes Italien. Essays zur italienischen Literatur. 166 Seiten. Sonderzahl Verlag 2012. 978-3-85449-369-3. 18,00 Euro.

Thomas Przybilka

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