Geschrieben am 29. März 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schütte zur Vergabe der Presseplätze im NSU-Prozess

huerriyetVom „Übermut der Ämter“ (Hamlet)

– Die fatale & fortgesetzte Arroganz des Münchner Oberlandesgerichts. Von Wolfram Schütte

Wenn es bloß lächerlich & borniert wäre, könnte man von einem Schildbürgerstreich oder einem wiehernden Amtsschimmel reden – wenn nun das Münchner Oberlandesgericht für den Prozess gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe die zur Verfügung stehenden Presseplätze strickt nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vergeben hat & gar nichts dabei findet, dass keine türkische Zeitung einen Platz abbekommen hat – obwohl acht der mutmaßlich zehn von den Neonazis Ermordeten aus türkischen Familien stammten.

Auch nachdem dieses bürokratische Malheur passiert ist & bekannt wurde, weigerte sich das Gericht aber, eine Korrektur an seiner Vergabe vorzunehmen. Weder könnedürfesolle der Prozess in einen andern Raum übertragen werden (wo ihn dann die bislang leer ausgegangen türkischen & andere ausländischen Journalisten verfolgen könnten) noch könne ein bislang Zugelassener von sich aus auf seinen Platz verzichten, damit ein türkischer Journalist an seiner Statt auf der Pressetribüne sitzen könne. Das Münchner Gericht hat beides kategorisch ausgeschlossen.

Die amtsüberhebliche Art des Münchner Oberlandesgerichts ist, obwohl bayrisch, auf die scheußlichste & entehrendste Art „deutsch“ – deutsch in der Weise, wie die Welt den hässlichen Deutschen bisher schon kannte: als sturen Prinzipienreiter, ohne eine Spur von Intelligenz, Einsicht, Selbstzweifel oder menschlicher Anteilnahme.

„Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun“ – hat Richard Wagner gemeint & das Münchner Oberlandesgericht verfährt danach, wenn es den von ihm zu führenden Prozess wie ein x-beliebiges kleinkriminelles Verfahren betrachtet & die journalistische Teilhabe daran für eine Nebensache hält. Seine Weigerung zur Selbst-Korrektur erinnert aber auch an eine andere berühmte Sentenz, die Lessing in seinem Theaterstück „Nathan der Weise“ dem Patriarchen in den Mund legt, der auf die Bitte des Tempelherrn, doch seine rigide Haltung gegenüber Nathan zu korrigieren, als religiöser Fanatiker mehrfach darauf besteht: „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt.“

Das, was das Münchner Oberlandesgericht sich nun erlaubt hat, geht jedoch weit über eine Provinzposse hinaus. Es tut so, als werde bei dem kommenden Prozess um einen Kaufhausdiebstahl gestritten, ein lokales Kleindelikt, bei dessen gerichtlicher Behandlung, sagen wir einmal, die ortsfremde FAZ sich darüber beschwert, keinen Platz mehr auf der Journalistentribüne bekommen zu haben, weil die Münchner Lokalpresse ihren Heimatvorteil genutzt hatte & früher aufgestanden war.

Dabei ist schon jetzt absehbar, dass es sich bei dem Münchner Verfahren um einen Prozess handelt, der zu den herausragenden Ereignissen in der deutschen Justiz-Geschichte gehört, in seiner historischen Bedeutung etwa vergleichbar dem Reichstagbrandprozess vor dem Deutschen Reichsgericht in Leipzig 1933.

Es gehört zu den unheilvollen Koinzidenzen, dass beide Verfahren mit dem Nazismus – damals & heute – zu tun haben; dass beiden Verhandlungen undurchsichtige Fakten vorausgingen, die im ersteren Fall bis heute ungeklärt blieben; und dass beide Prozesse nicht nur von eminenter aktueller Bedeutung für die deutsche Gesellschaft, -Politik & -Verfassung sind, sondern auch die mundiale Aufmerksamkeit, Wahrnehmung & Einschätzung Deutschlands davon abhängig ist.

Nach dem Leipziger Verfahren wusste die Welt, dass die Demokratie in Deutschland passé & woran sie mit Nazideutschland jetzt war; nach dem Münchner Prozess sollten sowohl die in Deutschland Lebenden als auch die Welt sehen, dass auf das heutige Deutschland demokratisch Verlass ist. Denn der Münchner NSU-Prozess sollte als Kollateral-Gewinn den Schaden vergessen machen, der durch die NSU-Mordserie & die angebliche Ahnungslosigkeit der Verfassungsschutzämter etc. entstanden war & sich bei deren nachträglicher Aufdeckung mit immer neuen skandalösen Erkenntnissen bis in die jüngsten Tage aufmästete.

Das geradezu epidemische „Versagen“ der sogenannten Ermittlungsbehörden war so in sich perfekt, fortdauernd & nachhaltig, dass es einem eher den Glauben an die Logik (& Logistik) einer Verschwörungspraxis als an das metaphysische Walten eines multiplen Zufalls suggerierte. Besonders für die türkischen Opfer liegt es nahe, den Verdacht eines xenophobischen Netzwerkes zu haben. Und ob die deutschen Behörden wirklich alle Morde der NSU zugeschrieben hätten, wenn diese sich nicht selbst dazu bekannt & sie sich zugeschrieben hätte: Das darf man sich angesichts der zutage gekommenen „Pannen“ auch einmal fragen.

Das Münchner Verfahren – das war absehbar – würde für das Oberlandesgericht keine leichte Aufgabe sein, heikel in jeder Hinsicht. Das hätte der Oberlandesgerichtspräsident wissen & entsprechend vorsorgen müssen.

Umso bestürzender, dass man in München nicht von vornherein dem fatalen Eindruck des deutschen Behörden-Versagens mit einem ebenso energischen wie sensiblen Handeln begegnete. Sondern die Serie des Versagens bereits damit fortgesetzt hatte, als man den doch sehr verständlichen Wunsch nach dem ständigen Platz eines türkischen Botschaftsangehörigen im Zuschauerraum arrogant abschmetterte, als handele es sich um das unsittliche Begehren eines totalitären Staates.

Die jüngsten Bekundungen des Münchner Oberlandesgerichts setzen diese erste Handlungsweise nur fort. Denn de facto ist es nicht allein eine ungeheuerliche „Instinktlosigkeit“ des Gerichts, die öffentliche Relevanz des Prozesses & dessen weltweite journalistische Verfolgung zu ignorieren. Seine bornierte Ignoranz ebenso wie sein anmaßendes Auftreten als Elefant im Porzellanladen grenzt an „Beleidigung“, wenn nicht de jure, so aber im Sinne von Respekt & menschlichem Anstand. Das ist kein gutes Omen für den Prozess.

Nun haben – durchaus ehrenhaft – einige deutsche Zugelassene ihren Platz den ausgesperrten türkischen Kollegen zur Verfügung stellen wollen. Anstatt die uneinsichtige Verfügungsgewalt des Gerichts, das solche individuelle Korrektur an seiner gottgleichen Autorität sofort verbot, nur submissest unterlaufen zu wollen, hätte man sich jedoch gewünscht, dass die zugelassene Presse einmal in einem Akt der kollektiven Verweigerung ihr Missfallen über die dreiste Rechthaberei des unempfindlichen Gerichts öffentlich gemacht & das Münchner Oberlandesgericht nun seinerseits an den Pranger gestellt bzw. in seine Schranken verwiesen hätte.

Was auch immer sich nun noch tut – denn so wie es derzeit ist, kann es nicht bleiben –: „das Kind ist in den Brunnen gefallen“. Und ertrunken?

Wolfram Schütte

Tags :