Geschrieben am 10. April 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Wolfram Schütte über die Karnevalisierung der Politik

MitternachtsspitzenDas Beste von Becker, Knebel, SchmicklerWie die repressive Toleranz das Kabarett lächerlich macht

– Seit geraumer Zeit bemerke ich bei mir einen wachsenden Widerwillen gegen das kabarettistisch-satirische Gewese im deutschen Fernsehen. Immer öfter bleibt ein fader Nachgeschmack zurück, nachdem man sich von „Neues aus der Anstalt“, „Mitternachtsspitzen“ & den zahllosen anderen kabarettistischen Veranstaltungen gleichen oder ähnlichen Typs zum (Ver)Lachen der laufenden politischen Ereignisse & ihrer Protagonisten hat animieren & traktieren lassen. (Manchmal hat es den Anschein, als bestehe das TV-Programm der Öffentlich-Rechtlichen nur noch aus Krimi-Tatorten & Kabarettsendungen). Von Wolfram Schütte

Besonders das Bayerische Fernsehen tut sich mit derlei Witzangriffen auf die Lachmuskeln hervor – also ausgerechnet jener „CSU-Sender“, der zu den „Goldenen Zeiten“ der in München ansässigen „Lach- & Schießgesellschaft“ sich als realexistierender bayerischer Zensor auch mal aus dem Sendeverbund der ARD davon stahl, wenn z. B. von Dieter Hildebrandt, Klaus Havenstein, Ursula Herking e tutti quanti satirisch zugerichtetes Unheil für den Landesvater Franz-Joseph (Strauß) drohte.

Solches, keine bundesdeutsche Empörung scheuende Verhalten der allmächtigen CSU gehört aber längst der fernen Vergangenheit an. Hat sich die CSU etwa an die Regeln der Demokratie gewöhnt oder ihnen angepasst? Sollte sie nach Strauß & Stoiber wirklich etwas gelernt haben?

Sie hat – etwas gelernt, was jemand, den sie gehasst hätte (wenn sie ihn denn noch kennen würde), einmal „repressive Toleranz“ genannt hat: Herbert Marcuse nämlich, der Gottseibeiuns für alle deutschen Konservativen unter seinen Zeitgenossen. Der in Kalifornien gelehrt habende deutsche Sozialphilosoph war speziell mit diesem Begriff einer der geistigen Väter der weltweiten Studentenbewegung & der Heilige Geist der Achtundsechziger.

Marcuse bezeichnete mit seiner weit ausholenden Formulierung eine sozialpolitische Dialektik in den fortgeschrittenen westlichen Industriestaaten. Deren scheinbar politisch neutrale Toleranz gegenüber radikalsozialen Bewegungen, behauptete Marcuse, stabilisiere de facto die bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Indem sie sich „tolerant“ gebe, ziehe diese Toleranz der ursprünglich einmal als Einfallstor subversiver Gedanken geschätzten Toleranz die angreiferischen Zähne.

Im Vergleich zu der erkennbaren, Widerstand generierenden Intoleranz diktatorischer Regime fungiere die „repressive Toleranz“ der westlichen Demokratien raffinierter, subtiler & erreiche ihr pazifizierendes Ziel subversiver, gewissermaßen hinter dem Rücken der vermeintlichen Angreifer des Status quo.

Das hat die CSU offenbar von dem linksradikalen Herbert Marcuse gelernt – ohne es freilich so genau zu wissen. Helmut Kohl, in seiner bräsigen Wurschtigkeit, hat etwas Ähnliches mit dem Terminus des „Aussitzens“ gemeint. Es ist bei einem solchen Riesen-Gesäß nicht verwunderlich, dass der Pfälzer-als-Bundeskanzler seiner zeitgemäßen Interpretation des alten Sprichworts: „Die Hunde bellen & die Karawane zieht weiter“ dieses Bild verpasste. Freilich offenbart es eine ebenso brutale wie zynische politische Haltung der präpotenten Immobilität. Sie könnte sogar Empörte provozieren – während die „repressive Toleranz“ solche Aufmerksamkeit & solchen möglichen Widerstand nicht provoziert.

Öffentliches „Abwatschen“ der politischen Prominenz erwünscht

Gerade das bayerische Fernsehen macht heute von der repressiven Toleranz gegenüber allen Formen kritisch-satirischen Kabarett-Verhaltens geradezu exzessiven Gebrauch. Daraus (er)klärt sich auch die scheinbar erstaunliche Toleranz in dem – dank jahrzehntelanger Dauerdominanz der CSU – politisch repressivsten Bundesland Deutschlands.

Man könnte sogar in solchen (mehrfach im BR-Programm wiederholten) „offiziösen“ Sendungen wie der „Fränkischen Fassnacht“ oder dem „Nockherberg“, auf denen die politische Prominenz Bayerns nahezu vollständig anwesend ist & zum handfesten rhetorischen „Abwatschen“ bereitsteht, kraftvolle Nachklänge aus feudalistisch-katholischen Zeiten sehen, bei denen die Untertanen ein-, zweimal im Jahr der Herrschaft auf die Nerven gehen, auf die Finger klopfen & den Dampf ihres Unmutes karnevalesk ablassen durfte.

In „demokratischen Zeiten“, also in der Ära nach F.-J. Strauß, muss sich die Herrschaft – bzw. die machtbewussten Herr- & Damschaften der bayerischen politischen Klasse – dem hitzigen Fegefeuer ihrer satirischen Bezweiflung & Lächerlichmachung aussetzen, um danach umso sicherer im politischen Himmel des Freistaats auf ihrem Herrschaftsgestühl zu sitzen.

Dieser „Härtetest“, bei dem jeder davon Betroffene „gute Miene zum bösen Spiel machen“ muss, findet mit geradezu sadistisch anmutender Freude an der Bloßstellung unter den Augen der Fernseh-Öffentlichkeit statt. Die „Opfer“ werden währenddessen vorgeführt wie im Zirkus die (gefährlichen) Tiere. Gleich diesen sind die Politiker darauf dressiert, in diesen peinlichen & peinigenden Augenblicken alle „Wahrheiten“ über sich lachend & schenkelklopfend nicht nur hinzunehmen, sondern auch mit Lust „zu schlucken“ – wie entehrend sie auch sein mögen. Manche von ihnen – wie der allseits verhasste Franke Markus Söder – tun manchmal so, als hätten sie selbst den allermeisten Spaß an ihrer öffentlichen Denunziation & ließen sich von niemandem in ihrem Vergnügen an ihrer Demütigung übertreffen.

Nicht erwähnt & damit nicht lächerlich gemacht zu werden gilt dabei als schweres politisches Versehen, das den unerwähnten, übersehenen Politiker (& zwar aller Parteien) zu einer bayerischen Unperson, einem öffentlichen Nobody macht. Er besitzt keine Gegenwart in seinem Imitator, mit dem sich am Ende des „Nockerlbergs“ die Imitierten auf der Bühne in vertraut-dankbarem Gespräch dem TV-Zuschauer zeigen.

Sie offenbaren dadurch nicht nur, sondern demonstrieren geradezu dreierlei: 1. dass sie „Spaß verstehen“, 2. ihren Imitatoren deren Denunziationen „nicht krumm nehmen“ & 3. dass sie trotz (ich würde sagen: wegen dieser Veranstaltung) fester als je politisch „im Sattel sitzen“. Zu guter Letzt werden sie auch noch von BR-Reportern zur Steggreifrezension ihrer Imitatoren aufgefordert.

Christian Ude, der Münchner Oberbürgermeister & bayerische SPD-Ministerpräsidentenkandidat, der in der Sendung „Quer“ als Bauchredner-Puppe an der Hand des übergroßen Seehofer-Imitators erscheint, der nur als kopfloser Leib & als erkennbare Stimme dort am Sendungsende den Moderator einschüchternd überragt – Ude also hat kürzlich in einer Kabarett-Show, die sein Imitator allein bestritt, diesem familiären Quid pro quo gewissermaßen die Krone aufgesetzt.

Zum Schluss der Sendung trat er überraschenderweise auf der Bühne als Selbstparodist auf und sein kabarettistischer Imitator hatte Udes Platz neben dessen lachender Frau im Zuschauerraum eingenommen. Weiter kann man die herzliche Eintracht der Karnevalisierung von Politik zwischen satirischem Täter & politischem „Opfer“ kaum treiben.

Das lizenzierte Techtemechtel von Opfer & Täter

Vom ehemaligen „Wagnis“ – politisch wie juristisch –, das einmal im politischen Kabarett als drohendes Damoklesschwert über dem ausübenden Künstler zu schweben schien, ist heute nichts mehr geblieben. Wer wollte es aber bedauern, dass Kabarettisten weder juristische Verfolgung noch „Kopf & Kragen“ mehr bei uns riskieren müssen?

Jedoch das öffentliche Techtelmechtel von Kabarett & Herrschaft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat auch Folgen für eine ehemalige politische Kunstform, die in ihren politisch riskantesten & künstlerisch besten Ausprägungen vom Raffinement der Andeutung & der assoziativen Anspielung, von Ironie & Doppeldeutigkeit lebte, also von der kunstvollen Subversion, welche im besten Fall ihre Kritik für die Herrschaft unangreifbar machte oder diese erst so recht zur Selbstdenunziation brachte, wenn die Herrschaft das unausgesprochen Angedeutete unterbinden wollte.

Diese Hürde ist heute weggefallen. Bei deren glanzvoller Überwindung stand das Publikum (wie beim Hochseilakt oder der Dompteursnummer einst im Zirkus) dem Kabarettisten mit ebenso viel Angst wie Bewunderung sympathetisch zuschauend & -hörend bei. Durch sein Lachen annoncierte es (z. B. den Stottervirtuosen Werner Fink & Dieter Hildebrand) sowohl Verständnis als auch insgeheimes Einverständnis. Solche aufmüpfige Verschworenheit mit seinem Publikum hat das (politische) Kabarett heute, wo ihm nichts mehr auszusprechen verboten ist, vollständig verloren. Es bekommt etwas seriell Witziges & dieses auf Dauer im Hinblick auf seine Personen & Themen etwas Gleichgültiges. Die politischen Kabarettisten, die einst als Fackelträger einer unterdrückten, von ihnen mit Raffinesse & Witz entzündeten Wahrheit über die Macht & deren Amtsträger auftraten, sahen sich heute von mehreren Seiten repressiv (durch Zustimmung) in die Zange genommen.

Da das Risiko weggefallen ist, „ist alles erlaubt“ (wie Dostojewski die moralischen Folgen beim Tod Gottes bestimmte). Nicht nur ist „erlaubt“, was in anderem Zusammenhang „ernst gemeint“ als „Beleidigung“ oder „üble Nachrede“) juristische Folgen hätte; sondern die offensive, direkte, durch möglichst drastische oder vulgäre Vergleiche formulierte, herabsetzend – denunziatorische Kritik ist immer häufiger an der Tagesordnung der politischen Kabarettisten. Wenn man das hämische Gelächter des wie im Pawlow’schen Reflex darauf antwortenden Publikums als Gradmesser nimmt, sind immer höhere Dosen solcher (kunstloser) verbaler Giftigkeit (vulgo: als „Beschimpfung“) heute erwünscht.

Es könnte sein, dass in der bejubelten öffentlichen Herabsetzung durch Vergleiche & Begriffe, die jeder im Publikum als juristischen Ordnungsverstoß bzw. moralischen Tabubruch erkennt & auf sich bezogen sich verbieten (lassen) würde, noch das einstige subversive Vergnügen am momentanen Widerstand qua kabarettistischer Erhellung mitschwingt. Nun allerdings ohne den „Umweg“ gemeinsamer künstlerischer Arbeit am verbotenen Begriff.

Der politische Kabarettist heute hat durch das allseitige Einverständnis & die Übermacht der repressiven Toleranz aber nicht allein im politischen Personal seine Gegner verloren, sondern auch im Publikum seine einstigen Mitverschworenen. Sein Publikum, das sich von ihm nur „unterhalten lassen“ will, ist ihm fremder geworden als die Politiker, die er folgenlos vorführt: zum allseitigen Vergnügen. Nur der politische Kabarettist, scheint es, will da noch Spaßverderber sein, bzw. mit seinem Witz „ernst genommen“ werden. Das wird ihm aber von beiden Seiten in einer großen Umarmung lachend zunichte gemacht.

Die besten politischen Kabarettisten haben das Dilemma & die Ohnmacht ihres gewandelten Berufsbildes schon vor längerer Zeit erkannt. Nachdem sie – wie der finstere Georg Schramm – ihre umjubelte Folgenlosigkeit in ebenso folgenlos gebliebene Publikumsbeschimpfungen umzufunktionieren versuchten – & sogar zum Aufstand aufriefen –, haben sie resigniert & sich weitgehend vom Bildschirm zurückgezogen & der Bühne zugewandt – wohl in der (verzweifelten?) Hoffnung, beim „Preaching to the Saved“ ein qualifiziertes Publikum besser agitieren zu können.

Dieter Hildebrandt versucht gerade mit seinem „Störsender“ übers Internet sein Publikum zu (re)generieren.

Die anderen Spaßmacher mit politischem Personal als Punchingbällen machen mit immer größerem Erfolg beim TV-Publikum immer so weiter. Sie leben ja auch davon – & wer wollte ihnen zur Berufsaufgabe raten, seit sie ein Berufsverbot oder Gefahr für Leib & Leben nicht mehr gewärtigen müssen?

Wer aber bei dem, was aus dem Kabarett zur sogenannten „Comedy“ wurde, einen „schalen Nachgeschmack“ empfindet, kann ja abschalten, nicht wahr? Es mag ihm, seinerseits der Melancholie zuneigend, Hölderlins Distichon „Die Scherzhaften“ ein (hilfreicher?) Trost sein: „Immer spielt ihr und scherzt? Ihr müsst! Oh Freunde! Mir geht dies / in die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur“.

Wolfram Schütte

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