Verhaltene Begleitmusik zu einem Rettungsszenario
– Klinische Euphorie nach der Hochzeit der FAZ mit der FR: Ein Kommentar von Wolfram Schütte.
Schon immer, seit ich ihn zum ersten Mal vor mehr als 50 Jahren gehört hatte, hat mich der O`Neill-Titel „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ fasziniert. In den letzten Jahren schien es mir, als sei die tief melancholische Beschreibung eines absehbaren Endes die Zustandsbeschreibung des Weges, den die „Frankfurter Rundschau“ seit Beginn des neuen Jahrtausends genommen hatte, in denen erst die SPD-Holding DDVG allein, dann zusammen mit der federführenden DuMont-Verlagsgesellschaft die FR in jeder Hinsicht minimiert hatten: nicht nur durch die Formatreduzierung auf das boulevardeske Tabloid, sondern auch inhaltlich & personell durch eine weitgehende Angleichung der FR an die aus der DDR stammende „Berliner Zeitung“. Was da in Frankfurt am Main als FR hergestellt wurde, war nur noch pro forma die alte FR, de facto aber in weiten (Mantel-) Teilen ein Imprint der „Berliner Zeitung“. Die heutige „Frankfurter Rundschau“ lebte im Bewusstsein der ihr treu gebliebenen Leser eher von der heroischen Vergangenheit in der Bundesrepublik als von der Gegenwart.
Dieser kleingesparten Tageszeitung Reise in die Nacht ihres endgültigen Endes schien mit dem Insolvenzantrag Ende vergangenen Jahres gekommen zu sein. Gar nicht ab- & für manche noch weniger einsehbar war nun aber, dass es ausgerechnet ihre langjährige im lokalen Frankfurter Bereich unterlegene Konkurrentin FAZ – die großbürgerlich-konservative „Zeitung für Deutschland“ – sein würde, welche die Chronik eines lange angekündigten Todes der FR noch einmal verhindern & das Tabloid-Blättchen vorerst retten würde.
Da musste mancher erst einmal schlucken (oder sich mit Grausen voreilig abwenden): bei der Vorstellung, dass die FAZ die liebe, gute, alte FR „geschluckt“ habe.
Stimmt das denn aber, trifft das gewiss naheliegende Vorurteil & Ressentiment zu, wonach das Blatt der Großindustrie nun als mächtiger Goliath den ewigen David mit seiner linksliberalen Steinschleuder in einem Schwächemoment ergriffen hatte, um dem lästigen politisch-publizistischen Störenfried erst an die breite Brust zu ziehen & ihm dann demnächst den Garaus zu machen?
Zumindest war das aus dem Frankfurter „Kamerun“, dem lokalen Sitz von FAZ, „Frankfurter Neue Presse“ & Societätsdruckerei, dem Insolvenzanwalt vorgelegte Angebot & Ansinnen das einzige seriöse, das den finalen Exitus der FR nachhaltig abzuwenden versprach. Auch gibt es z.B. in Köln & Stuttgart publizistische Gesellschaften, die jeweils politisch konfrontative Zeitungen herausgeben: die „Kölnische Rundschau“ & den „Kölner Stadtanzeiger“, die „Stuttgarter Nachrichten“ & die „Stuttgarter Zeitung“. Warum sollte also die FR (so wie sie sich einmal einen heute noch nachwirkenden einzigartigen Namen gemacht hatte) nicht in einem Frankfurter verlegerischen Unternehmen unterschiedlichster Tageszeitungen unbedroht weiterhin erscheinen können? Und das insbesondere, nachdem alle neuen Anteilseigner die Karl-Gerold-Stiftung ausdrücklich deshalb mit in ihr Boot genommen hatten, damit sie auch künftig ein strenges Auge darauf habe, dass die FR links-liberal sei & bleibe?
Warum aber hatte die lokale publizistische & verlegerische Konkurrenz ein solches Interesse am Fortdauern der einstigen Nr. 1, was die Auflage im Frankfurter Raum betrifft? Warum wollte man diese doch wahrlich von FAZ & FNP ungeliebte „Frankfurter Rundschau“ gerade in ihrer alten Form auf Teufel komm raus erhalten?
Man wird einer einleuchtenden Antwort auf diese Fragen näher kommen, wenn man sich vor Augen hält, dass es nicht die Redaktionen, sondern die Geschäftsführer sind, die auf diese nur unter politisch-ideologischen Gesichtspunkten problematische Verbindung einander fremder Frankfurter Tageszeitungen gekommen sind. Die versprechen sich davon nämlich erst einmal sogenannte synergetische Effekte, welche den publizistischen Neuzugang FR wesentlich billiger (zumindest in Produktion & Vertrieb) herstellbar erscheinen lassen als bisher. Des Weiteren hat man jetzt mit der FR die totale Kontrolle über den lokalen Anzeigenmarkt. Einerseits kommt kein Anzeigenkunde nun noch an diesem lokalen Monopol vorbei, andererseits können die bislang schon auf dem Anzeigensektor bereits verbundenen FAZ & FNP die Lücke schließen, über welche die FR bisher wachte. Für alle möglichen zukünftigen Fälle – wenn z.B. sogar einmal über öffentlich-rechtliche Stützungen der deutschen Tageszeitungen nachgedacht oder gar in diesem Sinne gehandelt würde – wäre man dann schon optimal mit der Frankfurter Trinität „aufgestellt“.
Vor allem aber haben die FAZ-Erwerber der moribunden FR damit einen potentiellen Angriff oder Angreifer abgewehrt, der von außerhalb hätte kommen & ihnen in Frankfurt (aber auch für „die Zeitung für Deutschland“) mit dem Ankauf der FR nachhaltig & folgenreich Konkurrenz hätte machen können. Das, könnte ich mir denken, wäre der tiefreichendste Grund für das scheinbar unverständliche Engagement der FAZ.
Für diesen möglichen Angriff auf den Frankfurter Zeitungsmarkt wäre nach Lage der Dinge nur die (überregional einzig FAZ-konkurrenzfähige) „Süddeutsche Zeitung“ in Frage gekommen, deren Auflage – wenn auch vornehmlich in München & Bayern – bereits jetzt schon deutlich über jener der FAZ liegt.
Einmal metaphorisch gesprochen: die SZ hätte mit der FR ihr „Kaub“ finden & der FAZ langfristig womöglich deren „Waterloo“ bereiten können. Bekanntlicherweise sind die preußischen Truppen bei Kaub über den Rhein gegangen & haben Napoleons Niederlage in der Schlacht von Waterloo herbeigeführt.
Die SZ, deren politisches Profil – bis auf das rigide neoliberale Wirtschaftsressort ist es links-liberal – vorzüglich zur alten FR passt, hätte mit dem Erwerb der FR einen entscheidenden Schritt in Richtung extra Bavaria getan. Sie hatte ja schon einmal den Expansionsversuch gemacht, in Nordrhein-Westfalen mit dem Aufbau einer eigenen Lokalredaktion Fuß zu fassen, aber noch bevor sie im Ruhrgebiet einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte, kalte Füße bekommen & ihr teuer erkauftes journalistisches Expeditionscorps in NRW verlustreich aufgegeben. Wenn die FR jetzt bei der SZ in Theodor W. Adornos Lieblingsworten „unter Dach & Fach gekommen“ wäre – gewissermaßen als tägliche lokale Rhein-Main-Beilage der SZ in Hessen, hätte das Münchner Blatt die FAZ an ihrer Heimatfront direkt angreifen können.
Für eine linksliberale publizistische Alternative zur FAZ (zwischen Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Hanau, Vorder- & Hintertaunus) spricht einiges: nicht nur die Auflage der ehemaligen FR, sondern auch mehrere SPD-Oberbürgermeister in den erwähnten Großstädten des Rhein-Main-Gebietes, das ja ein längst eng verbundener Wirtschafts– & Lebensraum ist mit einer (links-)liberalen bürgerlichen Mehrheitsbevölkerung, die nicht unbedingt CDU-gläubig ist. Also ein Leserpotential, das womöglich nur darauf wartet, von einer linksliberalen Zeitung angesprochen zu werden, die intellektuell, kulturell & journalistisch der FAZ das Wasser reichen kann. Das war dem FR-Imprint der „Berliner Zeitung“ mit ihrem tabloiden „Bäckerblumen“-Image in keiner Weise möglich.
Jedoch: auch bei der SZ ist seit geraumer Zeit „Schmalhans Küchenmeister“, der mit dem Rotstift sich allerorten – vorerst nur dem Kundigen – dort bemerkbar macht & für die nahe Zukunft manches Unerfreuliche für die SZ ahnen lässt. Eine solche bewusste Expansionen, die die SZ gewiss de facto teurer zu stehen gekommen wäre als jetzt die überschaubaren finanziellen Risiken für die ortsansässige FAZ/FNP, können sich die Münchner Verlagseigner nicht leisten., die nur an der FR-Abonnenten-Kartei interessiert waren. Der irreversible Anzeigenschwund grassiert ja auch in Bayern.
Die FAZ kann sich ihre jetzigen finanziellen Belastungen immerhin als Investitionskosten sowohl zur lokalen Monopolisierung wie auch zur entschiedenen Abwehr eines langfristig gefährlichen publizistischen Konkurrenten schön (& gut) reden. Das wird man sich dort schon durchgerechnet haben, bevor man sich zum FR-Engagement entschlossen hat; denn die Zeiten sind für die FAZ-Anzeigen ja auch miserabel, weshalb man jetzt die farbige Hochglanzbeilage reaktiviert, weil dort noch lukrative Anzeigengeschäfte zu machen sind.
Allerdings könnte auch diese forcierte Fortsetzung der FR für das ausgebleichte Blatt nicht sehr weit führen. Manche ihrer treuesten Leser, die trotz allem an ihrer Seite bisher noch ausgehalten haben – obwohl sie sich im Laufe der Zeit genauso verändert haben wie das Blatt auch – könnten nun die Nähe zur FAZ als letzten Tropfen ansehen, der das Fass (ihrer Langmütigkeit) endgültig zum Überlaufen bringt & ihnen die Möglichkeit eröffnet, die bislang moralisch verpflichtende „Solidarität“ mit der FR, die „ja nur noch eine FRproforma & von Gnaden der FAZ ist“, endgültig aufkündigen.
Dann säße die vermeintlich respektheischend aufgetretene Käuferin FAZ mit einer noch einmal reduzierten FR-Leserstamm da. Für die das hybride Blatt, dessen Mantel wie bei der Regionalausgabe einer Provinzzeitung weiterhin von DuMont, bzw. der „Berliner Zeitung“ gegen cash bezogen wird, könnte mit seinen 28 Frankfurter Lokalredakteuren dann dessen tägliche Produktion auf längere Sicht doch zu teuer werden.
Das allerdings wäre dann endgültig des langen Tages Reise-Ende in der Nacht. Der jetzt unter der Federführung der FAZ gegründeten FR-Rettungsmannschaft könnte man dann jedoch keinen politischen, ökonomischen oder moralischen Vorwurf in der Öffentlichkeit mehr machen, wenn sie das gerade gerettete Objekt ins Nichts fallen lässt.
P.S.
Für Pessimisten wie mich scheint die jetzige „Rettung der linksliberalen FR“ durch die fürsorgliche Hilfe der FAZ eher einer klinischen Euphorie zu gleichen, wie sie Thomas Mann an seinen moribunden Bewohnern des „Zauberbergs“ beschrieben hat, als eine Radikalkur, die das langfristige Überleben des Blattes, das spätesten mit der TAZ sein früheres „Alleinstellungsmerkmal“ als einziges bundesdeutsches links-liberales Oppositionsblatt verloren hatte.
Mit dem publizistischen Qualitäts-Aufstieg der journalistisch vielfach überlegenen, politisch nahen SZ & einer von dem raffinierten, neugierigen, auftrumpfenden Frank Schirrmacher propagandistisch dominierten FAZ scheint eine tapfer ihren politischen Kurs haltende & ihn brav fortsetzende, aber journalistisch überwiegend glanzlose FR obsolet geworden zu sein.
Vielleicht hätte eine von einem rundum jüngeren Team, das vom Chefredakteur über die klassischen Ressorts bis zur Lokalredaktion eine vibrierende Einheit wäre & für alle erkennbar zeigte, dass & was sie wollte, noch eine reale Chance. Eine neue Frankfurter Rundschau nicht nur für die Stadt am Main müsste das sein, sondern ein publizistisches Zentralorgan für den ganzen Rhein-Main-Raum zwischen Taunus & Odenwald, Hunsrück & Spessart. Ein kritisches, freches, intelligentes, sprachlich & journalistisch hoch argumentierendes, wahrhaft & wehrhaft seine Leser sammelndes & motivierendes Journal, das den verschlafenen angepassten Lokalblättern wie „Wiesbadener Kurier“, „Mainzer Allgemeine“ , „Darmstädter Echo“ etc. durch seine mitreißende Aggressivität das Fürchten lehrte & die Leser abspenstig machte.
Aber das wäre & ist als Novität & journalistische Lokalkonkurrenz weder von der FAZ erwünscht, noch mit der in Aussicht gestellten Nachfolge-FR zu leisten – wenn das überhaupt noch je ohne öffentliche Unterstützung der Printpresse denkbar sein sollte. Nur als ultimativen Traum oder als Altersgrille eines ehemaligen FR-Redakteurs mag es zu deren Abschied noch einmal erlaubt sein & hingehen.
Wolfram Schütte