Geschrieben am 3. April 2013 von für Litmag, Porträts / Interviews

Susann Pásztor im E-Mail-Interview mit Isabel Bogdan

Susann Pasztor_ Die einen sagen Liebe„Was Mila sagt“

– 2010 debütierte sie mit dem ironischen Roman „Ein fabelhafter Lügner“, nun ist bei Kiepenheuer & Witsch Susann Pásztors zweites Buch erschienen: „Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts“. Isabel Bogdan hat sich mit der Autorin per E-Mail unterhalten.

Isabel Bogdan: Liebe Susann, jetzt bin ich fast durch mit Deinem Buch und mag es wahnsinnig gerne. Selten so viel Einsamkeit und Wärme auf einmal gelesen; ich habe die ganze Zeit das Bedürfnis, Mila in den Arm zu nehmen. Also, here goes: Ich habe das Gefühl, mit dem Fabelhaften Lügner hast Du eine Geschichte erzählt, und mit Die einen sagen Liebe, … hast Du Dir etwas von der Seele geschrieben. Stimmt das?

Susann Pásztor: Der „fabelhafte Lügner“ ist die Geschichte meines Vaters und seiner Kinder. Bis auf das Treffen in Weimar, das nie stattgefunden hat, ist so gut wie nichts dazu erfunden. Im Gegenteil, ich habe ein paar biografische Anekdoten weglassen müssen, weil sie so ungeheuerlich waren, dass sie jeder Leser wahrscheinlich als „zu gewollt“ und dramaturgisch over the top empfunden hätte. Ich wollte mich mit diesem Buch vor meinem Vater verneigen, vor seinen Frauen, meinen vielen Halbgeschwistern und vor dem Leben selbst. Wenn ich mir irgendetwas von der Seele geschrieben habe, dann das. Aber ich möchte auch niemals ein Buch schreiben, an dem meine Seele nicht beteiligt wäre. Genausowenig wie eins, in dem nicht rüberkommt, dass ich das Leben ziemlich komisch finde.

Nachdem ich mit meinem Vater durch war, fand ich, konnte endlich das richtige Schreiben losgehen, die ausgedachten Geschichten also, Geschichten mit einem Personal, das einzig meiner Fantasie entsprungen und nicht an reale Personen angelehnt ist (soweit das überhaupt geht; natürlich inspirieren einen lebende Vorbilder, und mir ist klar, dass ich überall selbst mit drinstecke). Geschichten mit den Themen, die mich umtreiben. Die sind nicht schwer auszumachen, denke ich. Sex, Liebe, Beziehungen, Identität, Tod, das Übliche halt. 

Für mich ist Mila die Heldin einer Coming-of-Age-Geschichte. Coming-of-Age, weil man ständig in irgendein neues Entwicklungsstadium reinwächst, das hört ja nicht mit vierzehn auf. Ich liebe menschliche Unvollkommenheit, manchmal sogar bei mir selbst. Und diese Sehnsucht, irgendwie weiterzukommen, zu wachsen, zu lernen. Warum Mila ist, wie sie ist – keine Ahnung. Ich habe beim Schreiben ihrer Geschichte zum ersten Mal die Magie erlebt, die ausgedachte Figuren entwickeln können: Sie fangen an, Dinge zu tun, die ich ihnen nicht zugedacht habe, sie verweigern sich literaturnobelpreisverdächtigen Dialogen, die ich ihnen in den Mund legen wollte, sie entwickeln Eigenschaften, die mir persönlich fremd, zu sperrig oder gar suspekt sind. Ich hoffe, dass ich bei meinem nächsten Buch noch mutiger sein werde, solchen Prozessen zu vertrauen.

IB: Hihi, dann habe ich ja genau falsch getippt. Finde ich gut. Und jetzt würde ich dann gern bei reichlich Rotwein die restlichen Geschichten über Deinen Vater hören.

Dass Figuren Dinge tun, die man eigentlich nicht geplant hatte, oder dass eine Geschichte sich in eine ungeplante Richtung entwickelt – das habe ich lange für prätentiösen Künstlerquark gehalten, aber neuerdings erlebe ich das selbst („neuerdings“ heißt: seit ich das erste Mal etwas Fiktionales selbst geschrieben habe). Da war ich verblüfft, und jetzt treibt mich auch diese Frage um: Wie kann man das Vertrauen entwickeln, dass das auch weiterhin funktioniert, dass es schon weitergehen wird, auch wenn man am Anfang noch nicht weiß, wohin? Ist das für dich auch ein „Problem“ beim Schreiben, dass man erst mal anfangen muss, vielleicht mit einem Ziel oder einem vagen Gesamtbild vor Augen, aber ohne den genauen Weg zu kennen?

SP: Ich plotte nicht. Ich habe immer erst nur Bilder vor Augen, Szenarien, Themen, einen Ausgang, bei dem ich oft nicht weiß, auf welchem Weg ich zu ihm gelangen werde, und manchmal gefällt mir ein Weg so gut, dass ich kurzerhand den Ausgang verändere, damit alles wieder zusammenpasst. Oder ich weiß zwar, welche Lernerfahrungen meine Helden machen, in welche Richtung sie wachsen sollen, aber ich weiß noch nicht, welche Drachen ich ihnen über den Weg laufen lasse. Im Nachhinein finde ich mein Vorgehen manchmal geradezu fahrlässig, aber es funktioniert. Wo ich hingegen penibel und sorgfältig nützliches wie unnützes Wissen zusammentrage, wo ich nichts dem Zufall überlasse und am Ende so viel Informationen habe, dass ich höchstens ein Drittel davon ins Buch reinschreiben kann, das sind meine Charaktere. Ich gehe nicht so weit, dass ich Psychotests für sie ausfüllen würde, aber ich weiß, ob sie früher im Schulchor gesungen haben oder einen Organspender-Ausweis besitzen, selbst wenn diese Themen niemals zur Sprache kommen werden. Die Momente, in denen sich die Figuren selbständig machen und beispielsweise Dialoge verweigern, das sind die Momente, in denen ich sie etwas tun oder sagen lassen will, das zwar in mein aktuelles dramaturgisches Konzept, aber nicht zu ihrer Persönlichkeit passt. Sie melden es mir also zurück, wenn etwas nicht stimmt, und darauf verlasse ich mich.

Ich entwickle Vertrauen, wenn etwas oft genug tatsächlich funktioniert hat. Ich vertraue aber auch darauf, dass ich rechtzeitig merke, wenn ich irgendwo falsch abgebogen bin. Wenn die Stimmung in meinem Text plötzlich im Eimer ist, weiß ich, dass ich nochmal zurück muss. Wenn die Szene plötzlich in einem Bordell und nicht wie geplant in einer Autowerkstatt endet, kann es sein, dass ich sie so lasse.

IB: Bordell ist ein gutes Stichwort – Du hast geschrieben, Sex ist ein Thema, das dich beschäftigt. Mir fiel beim Lesen auf, wie entspannt die Sexszenen sind. Halleluja! Eine Protagonistin, die sich nicht fragt, ob ihre Brüste hängen, ob sie schön/dünn/jung/sonst was genug ist, die nicht mit ihrem Körper hadert. Endlich! Möcht sagen: Danke! Es gibt ja viel zu wenig entspannte Sexszenen, wo es einfach schön ist und nicht irgendwelche Leistungen vollbracht werden und sich auch niemand fragt, ob er das müsste. (Das klingt jetzt nicht wie eine Frage, aber vielleicht möchtest Du noch was zu dem Thema sagen?)

SP: Hab ich was zu diesem Sex-Thema zu sagen, das irgendwie relevant wäre? Mir fällt nichts ein. Aber ich freu mich sehr, dass dir diese Szenen gefallen haben. Ich habe eigentlich nur das geschrieben, was ich selbst gerne lesen würde.

IB: Das passt ja zu der schon konstatierten Unverkrampftheit; man darf das alles nicht allzu wichtig nehmen. Aber nochmal zurück zur Entwicklung der Charaktere: Schreibst Du Dir das auf? Hast Du Stichwortsammlungen zu Deinen Figuren? Und wenn da jemand ist, von dem Du noch nicht so genau weißt, was für einer das ist – hast Du dann ein bestimmtes Vorgehen, einen Trick, mit dem Du es rauskriegst? Reale Vorbilder aus dem Bekanntenkreis, im Café jemanden anstarren, Vornamen bildergoogeln? Entwickeln die Figuren sich, während Du schon schreibst, oder sind sie dir alle vorher klar?

SP: Ja, ich schreib mir das alles auf, bevor ich mit dem „richtigen“ Schreiben beginne. Die Biografien der wichtigsten Charaktere meistens sogar in Erzählform; alles, was später dazukommt, in Stichworten: Abneigungen, Vorlieben, Eigenheiten. Es gab z. B. auch eine Datei, die hieß „Was Mila sagt“ bzw. „Was Simon sagt“, da landete dann alles, was mir zwischendurch in den Kopf kam, auch wenn die Aussagen überhaupt keinen Bezug zur Handlung hatten. Vieles davon hat nie den Weg ins Buch gefunden, weil es einfach nicht in die Geschichte passte. Ich arbeite immer mit solchen Pools, und das Ganze wird im Lauf der Zeit ziemlich unübersichtlich. Bis jetzt habe ich aber immer alles wiedergefunden. Und ja, die Figuren entwickeln sich weiter, ich weiß zu Beginn noch längst nicht alles über sie. Das Grundgefühl, „was für einer das ist“, habe ich aber von Anfang an.

Beim Aussehen lege ich mich nicht fest, nach konkreten (Vor-)Bildern zu suchen käme für mich überhaupt nicht in Frage. Was Mila außer ihrer hellen Haut und ihren Sommersprossen noch für Attribute hat, überlasse ich der Fantasie der Leser. Wenn, dann beschreibe ich kleine Details wie Helmuts Scheitel, die Monde in Simons Mundwinkel oder den herausgewachsenen Haaransatz von Frau Papic.

IB: Tante Google sagt, Du übersetzt auch. Machst Du eins von beiden lieber, Schreiben oder Übersetzen? Wo siehst Du die Hauptunterschiede, und glaubst du, dass die beiden Tätigkeiten einander befruchten können?

SP: Befruchten? Unbedingt. Ich übersetze vom Englischen ins Deutsche, und interessanterweise ist mein Deutsch dadurch besser geworden, aber nicht mein Englisch. Der Hauptunterschied zum Schreiben besteht für mich darin, dass ich als Übersetzerin neben der eigentlichen Arbeit, also dem Übersetzen, auch noch ganz nah an die jeweiligen Autoren ran muss, ob ich die und ihre Texte nun liebe oder nicht. Das ist eine Form von psychologischer Dienstleistung, die ziemlich anstrengend sein kann. Ich schreibe also lieber, da muss ich es wenigstens nur mit mir selbst aushalten. Außerdem bin ich vielleicht eine leidenschaftliche Übersetzerin, aber keine besonders erfolgreiche.

IB: Und Du illustrierst auch?

SP: Schon lange nicht mehr. Das war plötzlich vorbei, während das Schreiben immer wichtiger wurde. Vielleicht kann ich nicht gut auf verschiedenen Kanälen senden. Wenn ich irgendwann mal nichts mehr zu sagen habe, fange ich wieder damit an, vielleicht sogar mit Malerei. Das konnte ich früher nie.

IB: Dann bin ich gespannt, was noch kommt. Vielen Dank!

Isabel Bogdan

Susann Pásztor: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts. Kiepeneheuer & Witsch 2013. 256 Seiten. 8,99 Euro.
Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan. „Sachen machen“ ist im Juli 2012 als Buch im Rowohlt Verlag erschienen.

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