Geschrieben am 6. April 2011 von für Beuse-Classics, Kolumnen und Themen, Litmag

CULTurMAG-Classics: Die Beuse-Kolumnen

Nackt unter Türstehern

– Stefan Beuse berichtet von den Erhabenheiten und Fallstricken der Welt. Heute: Muskelhengste im Fitnessstudio.

Es gibt grundsätzlich zwei Arten, wie Menschen mit ihren Traumata umgehen, analog zu den zwei Arten, wie Kinder mit ihren Ängsten umgehen. Das eine ist die „Bettdecke-über-den-Kopf“-Strategie (eine Schwester übrigens des „Ich-mach-die-Augen-zu,-dann-sieht-mich-keiner“-Irrtums), das andere ist die „Ich-mach-das-Licht-an-und-sehe-überall-nach,-damit-ich-mich-rational-davon-überzeugen-kann,-dass-hier-im-Zimmer-kein-Monster-ist“-Variante.

Während Strategie A bei Kindern noch niedlich ist, wirkt sie bei Erwachsenen eher dümmlich. Umgekehrt Strategie B, die bei Kindern unsympathisch und altklug wirkt, bei Erwachsenen aber mutig.

Eines meiner Kindheitstraumata ist Nacktheit. Ich hatte eine Tante, die immer in den Sommerferien mit ihrer Familie an einen FKK-Strand gefahren ist, und meine größte Angst war, dass meine Mutter sagte: „Dieses Jahr fahren wir mal mit Tante Karin in den Urlaub.“ Da war ich zwölf oder so, ein Alter, in dem man sich nicht gern zeigt. Beim Schulschwimmen duschte ich immer nur mit Badehose, nach dem Vereinssport gar nicht.

Dass ich mir mit meiner drei Jahre jüngeren Schwester bis ins hohe Alter hinein (17) ein Zimmer teilen musste, tat ein Übriges. Mit meiner Schwester habe ich genau ein Mal im Jahr Kontakt, wir sprechen exakt zwei Worte miteinander, nämlich „frohe“ und „Weihnachten“.

Da ich ganz klar der Kategorie-B-Typ Traumabewältiger bin, gehe ich heute offensiv mit meiner Nacktheit um. Zum Beispiel bin ich Mitglied in einem Fitnessstudio mit angeschlossener Saunalandschaft. Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet. Es bedeutet, dass ich ein tolldreister Kerl bin, ein Traumabewältiger vor dem Herrn, und sollten Sie jetzt denken, „na und, so ein bisschen duschen und nackt auf Handtüchern rumsitzen, was ist schon dabei?“, haben Sie keine Vorstellung von der Klientel meines Fitnesstudios.

Ich fang mal so an: Auf der Innenseite der Spindtüren im Umkleidebereich für Herren, der übrigens komplett aus verbotenem Tropenholz gefertigt ist, hängt eine Werbung für ein Wellness-Herrenmagazin, das mit 3 Sätzen à 10 Wiederholungen wirbt. Es handelt sich hier um ein Wortspiel. Muskelaufbautraining betreibt man mit 3 Sätzen à 10 Wiederholungen; in der Werbung aber steht zehnmal untereinander dieselbe Zeile. Drei kurze Sätze. Die Sätze lauten: „Gib’s mir! Du! Muskelhengst!“

Die Werbung besteht aus zwei Komponenten, die wie eine Schere die gesamte Kernzielgruppe einfassen: Einer Grundaussage mit starkem Appeal-Charakter einerseits und einer ironischen Metaebene für die Wortspielfraktion andererseits. Ich möchte es deutlich formulieren: Die Fraktion, die sich aus Wortspielen nichts macht, bildet in meinem Fitnessstudio klar die Mehrheit. Sie besteht zu etwa 85% aus Leuten, die man auf den ersten Blick entweder der Türsteherszene oder der Russenmafia zuordnet. Es sind über und über tätowierte Muskelhengste, die ihre eigenen Karikaturen in jeder Hinsicht längst hinter sich gelassen haben. Wenn sie einander begegnen, klatschen sie sich nach Gangsta-Rapper-Manier kompliziert ab und reden wie Bushido. Sie gucken sich abschätzig an, verziehen die Mundwinkel und sagen: „Ey, was geht“ und „alles klar, Digga, hau rein, Alda.“

Letztens aber belauschte ich folgendes Gespräch zweier mutmaßlicher IT-Spezialisten (im Folgenden IT1 und IT2 genannt), das mich aufmerken ließ. Das Gespräch ging so, ich transkribiere wörtlich:

IT1: „Und? Alles fit?“ (Er fragte tatsächlich „alles fit?“, obwohl IT2 erkennbar nicht zur Wortspielfraktion gehörte.)
IT2: „Jaa, muss ja, muss ja.“
IT1: „Und sonst? Alles klar?“
IT2: „Alles geschmeidig.“
IT1: „Alles im grünen Bereich, oder?“
IT2: „Alles fluffig.“
IT1: „Und zuhause? Alles gesund?“
IT2: „Alles bestens.“
IT1: „Okay, hau rein, ne?“
IT2: „Jau, hau rein!“

Nun lebt dieser keineswegs ungewöhnliche Dialog weder durch verbale Artistik noch durch seinen semantischen Gehalt (es erstaunt eher die unbeholfene Mischung aus aufgeschnappten Szenevokabeln innerhalb eines großmütterlich-ehrpusseligen Sprachcodes). Das Entscheidende bei Dialogen wie diesen ist die Parallelhandlung, also die Salbung der Körper mit Düften und Ölen.

Rundheraus: Bündeln und potenzieren Sie alle Vorurteile über Frauen und ihr stundenlanges Verweilen im Bad, und Sie sind noch lange nicht bei dem Eselsmilchkult dieser MASCHINEN und ihrer fetischhaft verehrten Körper!

Wenn sie in der Sauna sitzen und stöhnend ihren Schweiß abschlagen, wenn sie sich danach röhrend und japsend mit Eiswasser abspritzen, um sich schließlich selbstzufrieden brummend vor dem Spiegel zu drehen, Italian-Lover-Blicke zu üben und beim Zurechtgelen ihrer Cristiano-Ronaldo-Lookalike-Frisur die Robbenbaby-Stirn in wulstige Falten legen, könnte man meinen, man stünde im Synchronstudio eines Pornofilms.

Erstaunlicherweise bestätigt sich übrigens gerade im Fitnesstudio ein altes Vorurteil, das zu äußern mindestens so peinlich ist wie Blondinenwitze am Tresen zu erzählen. Ich äußere es trotzdem: Es besteht in der Tat, und das ist das Ergebnis langjähriger Studien im Nass-, Sauna- und Umkleidebereich, ein nicht zu leugnender Zusammenhang zwischen dem vor der Tür geparkten Sportwagen, der Muskelmenge, dem martialischen Gehalt der Tattoos und der – nun: Größe des Geschlechtsteils.

Ich weiß, das ist jetzt billig, hämisch, nieder, und zur Karmaaufbesserung trägt es auch nicht bei. Aber manchmal ist der Mensch eben so, klein und billig und nieder, und dann tut es verdammt gut, auch und gerade in einem Kulturmagazin Sätze wie diese schreiben zu dürfen: Männer mit roten schnellen Testosteronschleudern, Gefesselte-Frauen-Tätowierungen und sehr viel sehr geölten Muskeln haben oft kleine bis sehr kleine Penisse. Und da „Penisse“ ein Wort ist, das geschrieben sehr sonderbar aussieht und außerdem nicht geeignet ist, die Zugriffszahlen über Suchmaschinen hochzujagen, schreibe ich es noch mal anders. Ein Satz, drei Wiederholungen: Penis. Penis. Penis. Das war meine Rache an all dem Viagra-Spam, der in unseren Postfächern landet: eine Kulturmagazinkolumne, getarnt von einem Text, in dem die Wörter „Pornofilm“, „abspritzen“, „Penis“, „Cristiano Ronaldo“ und „Muskelhengst“ vorkommen. Hallo, Google. Adieu, Kindheitstrauma.

Stefan Beuse

Zur Homepage von Stefan Beuse geht’s hier. Foto: Diana Fabbricatore

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