Geschrieben am 11. Mai 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Weinprobe

Wine education

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal war sie Wein trinken.

Internet ist super. Ohne Twitter wäre ich im Leben nicht darauf gekommen, in Rom eine Weinprobe zu besuchen. Aber aus verschlungenen Gründen lese ich schon seit geraumer Zeit die Tweets von vinoroma. Hinter vinoroma steht Hande Leimer, eine Deutsch-Türkin, die jetzt in Rom lebt. Sie twittert mal deutsch, mal englisch, mal italienisch, gelegentlich auch türkisch. Wenn man sie fragt, woher sie stammt, sagt sie „Europa“.

Als wir also beschlossen hatten, in den Osterferien für ein paar Tage nach Rom zu fahren, lag es nahe, ein Wine Tasting bei ihr zu buchen. Ich trinke gerne Wein, habe aber keine Ahnung davon; meist teile ich Wein in zwei Kategorien ein, nämlich „lecker“ und „nicht so lecker“, und das ist auch nur ein ganz kleines bisschen übertrieben. Ich verstehe nichts von Anbaugebieten, Rebsorten, Hanglangen, Alter, Barriquefässern und all dem, und kaufe Wein mehr oder weniger nach Etikett-Hübschheit.

Die paar Weinproben, in die ich schon mal geraten bin, waren im Prinzip Verkaufsveranstaltungen bei Winzern oder in Weinläden. Man probiert, und dann soll man am besten gleich kistenweise bestellen. Hande Leimer hingegen verkauft überhaupt keinen Wein, sie macht etwas ganz anderes, nämlich sogenannte wine education. Man lernt bei ihr das Weintrinken.

Drink wine. Not too much. Mostly Italian.

Die Verkostung findet in Handes Wohnung in einem Palazzo aus dem 19. Jahrhundert statt, direkt am Ufer des Tiber, mit herrlichen, handbemalten Bodenfliesen. Eigentlich möchte man gleich dort einziehen. Wir haben das Angebot „My Italians“ gebucht, bei dem sechs italienische Weine verkostet werden, drei weiße und drei rote. Insgesamt sind 12 Leute da, und damit ist der Tisch auch voll besetzt. Eine gute Gruppengröße – mit mehr Leuten würde es zu rummelig (und zu eng), mit weniger vielleicht nicht so lustig. Die Verkostung findet auf Englisch statt, die Teilnehmer kommen aus den USA, Schottland, Irland, Equador, Österreich und Deutschland; ich bin erstaunt, dass so viele junge Leute dabei sind, ich hatte eher mit gesetzterem Publikum gerechnet. Alle stellen sich kurz vor und erzählen etwas über ihr Verhältnis zum Wein. Wer trinkt am liebsten was, welche Farbe, welche Weine, aus welchen Ländern, wer kennt sich aus, wer hat keine Ahnung?

Ein etwas älteres amerikanisches Paar hat ein bisschen Ahnung, alle anderen nicht so sehr. Hande erklärt uns … oh je, wie soll ich jetzt noch wissen, was sie uns in zwei vollgepackten Stunden, in denen mein Alkoholpegel stetig anstieg, alles erklärt hat? Als Allererstes stellt sie jedenfalls klar, dass Geschmack immer etwas Persönliches ist und es kein „richtig“ und „falsch“ gibt. Was dem einen schmeckt, mag der andere vielleicht nicht so, na und? Und man nimmt Geschmäcker und Gerüche auch unterschiedlich wahr, es kann einem also niemand sagen, wie dies oder jenes riecht oder schmeckt. Wenn man findet, der Wein schmeckt nach Bananen, dann schmeckt er eben nach Bananen.

Dann schenkt sie uns den ersten Weißwein ein, einen Rjgialla Selenze von 2009. Sie erklärt, wie man den Wein vor eine weiße Serviette hält, um die Farbe besser sehen zu können, und was die Farbe einem sagt (Kurzfassung: je gelber, desto mehr Sonne hat er bekommen). Dann zeigt sie uns, wie man den Wein im Glas herumschwenkt und darauf wartet, dass die Tropfen am Glasrand hinunterlaufen, und was diese Tropfen einem alles sagen (Kurzfassung: je zäher und langsamer, desto höher der Alkoholgehalt). Wow! Ich bin beeindruckt, das wusste ich alles gar nicht. Da wissen wir also anhand von Farbe und Tropfenbildung schon mal, dass dies ein Wein aus Norditalien ist, wo er nicht so viel Sonne bekommt, und dass er einen eher niedrigen Alkoholgehalt hat. Der Amerikaner steckt schon mal die Nase ins Glas, Hande schimpft. Sie sei eine sehr strenge Lehrerin, verkündet sie, und Riechen sei noch nicht dran.

Als Riechen dran ist, stecken wir alle die Nasen ins Glas. Frucht, denke ich. Aber ich komme nicht drauf, welche. Aprikose? Pfirsich? Hm. Frucht. Pfirsich? Nicht so richtig. Der Amerikaner trinkt schon mal einen Schluck, aber Trinken ist noch nicht dran. Riechen ist dran. Drei Leute sagen gleichzeitig: Ananas. Zwei weitere: Birne. Klar, stimmt. Ananas. Dass ich da nicht drauf gekommen bin! Es riecht wirklich nach Ananas. Und ein bisschen nach Birne.

Dann dürfen wir trinken. Säuerlich. Ganz okay. Och, na ja. Eher so mittel. Hm. Die anderen lächeln. Ich finde den Wein nicht so super. Wir reden über Spucke, alle sind sich einig, dass der Wein die Speichelproduktion anregt. Mein Mund ist total ausgetrocknet, da wurde nichts angeregt, ich hab keine Spucke. Wie kann das denn sein? Ich probiere noch einen Schluck, meine Speicheldrüsen ziehen sich zurück, vielleicht habe ich gar keine. Alles total trocken. Hilfe, mit mir stimmt was nicht! Die anderen witzeln, sie würden mich auch so akzeptieren, wie ich bin.

Hande sagt, das sei interessant, ein sehr kleiner Teil der Menschheit reagiere nämlich auf andere Säuren als der große Rest, ungefähr 3 %, und ich sei die erste, die sie trifft. Ha! Vielleicht bin ich doch nicht zu doof zum Weintrinken, sondern nur ein bisschen anders als die anderen Kinder.

Und so probieren wir uns durch sechs Weine. Wir betrachten die Farbe, schwenken den Wein im Glas, lauschen Handes Ausführungen über Anbaugebiete und Qualitätsstufen, wie sich französische und italienische Qualitätssiegel unterscheiden, „what grows together, goes together“, und insgesamt so viel charmant vorgetragener Information, dass ich es eigentlich noch zwei-drei Mal hören müsste, um es mir zu merken. Zwischendurch riechen wir am nächsten Wein. Wir riechen verschiedene Obstsorten, alte Socken, Kräuter, Stein, Metall, Altenwohnheim, und schmecken ebenfalls verschiedene Obstsorten, Beeren, Kräuter, Salz und glücklicherweise keine alten Socken und kein Altenwohnheim. Ich bekomme Hunger und esse reichlich frisches Brot dazu. Die Amerikanerin neben mir lässt die dunkle Kruste liegen, ich bin versucht, sie ihr vom Teller zu nehmen und selbst zu essen. Das Beste am Brot! Die Stimmung wird derweil kicheriger, ich kann mir gar nicht erklären, warum. In der Mitte des Tisches stehen Kübel, in die man den Rest aus dem Glas kippen kann, wenn der nächste Wein dran ist, aber mal ehrlich, das ist doch Alkoholmissbrauch.

Niemand mag alle sechs Weine gleich gern, jeder hat seine Favoriten und einen oder zwei, die er nicht so mag. Die sechs Weine sind sehr unterschiedlich, jeder von ihnen hat ganz entschieden seinen eigenen Charakter. Am Ende haben wir alle viel gelernt, sogar die amerikanischen Bescheidwisser. Und demnächst werde ich immer schön Gläser schwenken, die Nase reinstecken, wissend „Ananas“ oder „alte Socken“ murmeln und kundtun, dass Weißweine ja unterschätzt werden und ich eine andere Säurerezeption habe als andere. Und wenn ich mal wieder in Rom bin, buche ich eins der anderen Angebote bei vinoroma, es gibt noch viel zu lernen.

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zur Webseite von Isabel Bogdan.
Zur Webseite von Vinorama.