Geschrieben am 21. September 2011 von für Litmag, Sachen machen

Sachen machen: German Wheel

Rhönrad

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal dreht sie am Rad.

Maret nimmt mich mit. Maret hat schon ein paar Jahre im Rhönrad geturnt, jetzt allerdings geht sie nach viereinhalb Jahren Kinderpause zum ersten Mal wieder hin und behauptet, sie könne bestimmt überhaupt nichts mehr und müsse genauso von vorn anfangen wie ich.

Das ist, stellt sich schnell heraus, natürlich Unfug. Sie steigt in das Rad, schiebt die Füße in die Schlaufen und rollt los, als hätte sie sich nie anders fortbewegt. Es sieht ungeheuer elegant aus, zwei Umdrehungen bis zum Ende der Turnhalle, zwei Umdrehungen zurück, dann steht sie wieder neben mir und strahlt plötzlich bis über beide Ohren. Sie grinst das Rhönrad an und sagt erstmal eine Weile gar nichts. Dann: Ich wusste gar nicht, wie sehr ich das vermisst habe. Dann setzt sie die Füße um und rollt auf eine andere Weise nochmal ans Ende der Turnhalle und zurück.

Ich bin schwer beeindruckt. Es sieht so leicht aus und so elegant und als mache es Spaß. Ich stelle mich probeweise in ein Rad in meiner Größe. Stecke die Füße in die Lederschlaufen und fasse die Handgriffe an. Und kann mir nicht vorstellen, wie es gehen soll, sich damit einmal rumzudrehen. Man fängt ja nicht gleich mit Schwung an, sodass es wie Radschlagen wäre, sondern dreht sich langsam auf die Seite und muss dann mit den Armen das ganze eigene Gewicht halten. Ich habe aber keine Armmuskeln, ich sitze seit 25 Jahren im Wesentlichen am Schreibtisch und habe außer Tippen nichts weiter für meine Armmuskeln getan. Und diese Fußschlaufen kommen mir auch nicht besonders vertrauenerweckend vor.

Der Trainer kommt zu mir. Er heißt Fred, und Maret behauptet, er habe Turnvater Jahn noch persönlich gekannt. Turnvater Jahn ist 1852 gestorben, ganz so alt ist Fred also möglicherweise doch nicht, aber er hat weiße Haare und einen weißen Bart und trägt eine weiße Turnhose und ein weißes Unterhemd. Schwer zu schätzen, wie alt er ist, vermutlich geht er auf die achtzig zu.

Ich soll die Füße auf den kleinen Brettchen noch weiter durch die Schlaufen schieben und dann vorne nach auswärts drehen, vom Brett runter. Damit ich mich mit den Füßen am Brett festhalten kann. Bitte, was? Mit den Füßen festhalten? Bevor ich noch darüber nachdenken kann, wie das gehen soll, fängt Fred an, langsam das Rad zu drehen, und mein ganzes Körpergewicht verlagert sich auf meinen linken Arm. Füße halten, Füße halten!, sagt Fred. Ich kralle irgendwie die Füße um die Brettchen, kralle mich mit den Händen an den Griffen fest, kralle überhaupt alles zusammen, was ich im Schulterbereich habe, und Fred sagt: Füße halten, die Arme brauchst du gar nicht, und dann hänge ich schon fast über Kopf – nicht zu fassen, er macht das tatsächlich, er lässt mich tatsächlich sofort die ganze Runde drehen, ich schreie. Normalerweise schreie ich nicht gleich los, aber jetzt schreie ich, Fred hält mir oben die Füße fest, und dann geht es auf der anderen Seite wieder hoch, und ich stehe wieder aufrecht. Fred hält das Rad an.

Und ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich habe mich einmal rumgedreht, in diesem Rad, hui, und ich weiß jetzt schon, dass ich den Muskelkater aus der Hölle kriegen werde, aber … ich will noch mal! Fred hält mir die Füße, ich werde noch einmal rumgedreht, mir brechen fast die Arme durch. Und dann wieder zurück, huch, andere Richtung, fühlt sich gleich anders an. Zwei Umdrehungen zurück. Ich schwitze, ich merke jetzt schon, dass ich die erstaunlichsten Muskeln benutzt habe. Und natürlich die Armmuskeln, aua. Aber was für ein Gefühl!

Zwei elfjährige Mädchen sind da, sie toben und schreien und kullern in ihren Rhönrädern herum, als wäre das nichts. Und hinten, auf der anderen Seite der Halle, eine junge Frau, die auch einfach so herumkullert, als wäre das nichts, und zwischendurch irgendwo umgreift und sich anderswo festhält, mitten in der Fahrt, in dem Rad eine Brücke macht, es sieht wunderschön aus. Und so einfach, so spielerisch. Seit gerade eben habe ich aber eine leise Ahnung, was für eine Körperspannung man dazu braucht.

Fred kümmert sich rührend um mich, einerseits. Andererseits sagt er die meiste Zeit kein Wort. Vielleicht, weil es sowieso logisch ist: Wenn man quer im Rad steht und sich an den Haltegriffen festhält, sind die Arme etwas angewinkelt. Wenn man anfängt, sich zu drehen, muss man den Arm, auf den das Gewicht verlagert wird, strecken, um sich abstützen zu können, das tut man schon automatisch. Wenn das Gewicht dann beim Weiterrollen auf den anderen Arm verlagert wird, muss der gestreckt werden – aber gleichzeitig muss man den ersten Arm wieder anwinkeln, denn wenn beide Arme gestreckt sind, drückt man sich aus dem Rhönrad sozusagen hinten raus, und dann kippt es. Vollkommen logisch, aber wenn es einem keiner sagt, denkt man nicht unbedingt dran. Ich jedenfalls nicht. Gut, dass Fred dabei ist, er hält mich fest.

Nach ein paarmal hin und her sagt er, ich solle jetzt die Füße mal anders um die Brettchen krallen, beide nach vorne, sodass ich in Fahrtrichtung gucke und mich mit beiden Armen am selben Griff festhalte. Wieder ein völlig neues Gefühl, aber es kommt mir irgendwie einfacher vor, weil ich mich auf beide Arme gleichzeitig stützen kann. Aber dann komme ich am Ende der Halle an und muss rückwärts zurück – huaaaah! Aber: geht. Wow. Toll.

Und überhaupt bin ich sofort angefixt, was für ein toller Sport! Allerdings tun mir jetzt schon die Arme weh. Ich mache ein bisschen Pause.

Es ist noch eine Turnerin dazugekommen, sie schiebt ihre Füße in die Schlaufen und rollt dann einfach los, ohne sich festzuhalten. Einfach so, sie steckt nur mit den Füßen in den Lederdingern und klemmt da irgendwie fest und hat eine sensationelle Körperspannung, und wieder sieht alles so leicht aus. Ich beschwere mich: das ist total unfair. Ich kralle mich da krampfhaft fest, spanne meinen kompletten Schultergürtel an, habe jetzt schon Bi- und Trizepsschmerzen, und dann kommt diese Frau daher und braucht ihre Arme einfach überhaupt nicht! Naja, sagt sie, sie habe auch zwanzig Jahre Vorsprung. Okay, das will ich gelten lassen. Grummelgrummel. Ich will das auch können!

Maret tänzelt derweil um ihr Rhönrad herum und sagt: was kann ich denn noch, was kann ich denn noch mal machen? Die große Brücke. Das mit dem einen Arm. Wie ging noch mal das mit … ach ja! Es ist alles so schön anzusehen, vor allem ihr strahlendes Gesicht.

Ich soll auch noch was versuchen: die Füße quer zur Fahrtrichtung, die Hände auch quer, aber einmal um meine eigene Längsachse verdreht, die Füße nach vorn, das Gesicht nach hinten – so kann ich kaum stehen, geschweige denn mich abstützen. Ich sage, das wird nicht gehen, die Kraft habe ich nicht, aber Fred hört nicht auf mich und rollt mich einfach los. Mein Gewicht kommt auf den linken, hinteren Arm, und das tut jetzt wirklich richtig scheißweh, so sehr, dass mir fast die Tränen in die Augen schießen, kopfüber im Rhönrad, und dass ich Angst habe, rauszufallen, ich kann mich nicht halten, ich schreie, da wird es zum Glück besser, das Gewicht wird weniger, weil ich rumgerollt bin, aber das. war. nicht. lustig. Aua. Keine gute Idee.

Vielleicht fällt es jemandem, der Turnvater Jahn noch persönlich kannte, schwer zu glauben, dass man auch mit Anfang vierzig schon hoffnungslos untrainiert und armmuskel-los sein kann. Aua.

Aber nach einer Pause will ich natürlich doch wieder. Nur nicht mehr so verdreht, das geht wirklich nicht. Aber normal quer geht es, ich rolle herum und noch mal, Fred geht nur noch neben mir her und hält mich angeblich gar nicht mehr fest. Am anderen Ende grinse ich dümmlich und sage: Das war schon ganz cool, oder? Keine Antwort. Ich rolle zurück, Fred geht nebenher, wieder vorn angekommen versuche ich es noch mal: Das war doch wohl wirklich cool jetzt? Keine Reaktion. Maret grinst. Ich sage: Kann ich vielleicht mal ein bisschen Lob haben? Maret applaudiert, Fred lächelt milde. Immerhin!

Irgendwann mittendrin sagt Fred: Wir lassen jetzt mal los. Ich dreh dich auf den Kopf, und dann lässt du los, damit du merkst, dass du die Hände gar nicht brauchst. Ich glaube, dass er wahrscheinlich spinnt, natürlich brauche ich meine Hände, und ich kann bestimmt nicht loslassen, wenn ich kopfunter hänge. Er dreht mich auf den Kopf. Füße strecken, sagt er, oben festhalten, und jetzt Hände loslassen. Ich glaube, das geht nicht, da ist doch mein Gewicht drauf, aber dann gebe ich mir einen Ruck und lasse los und hänge nur in den Fußschlaufen und hänge da und es hält. Unfassbar.

Und was mich auch überrascht: ich wollte es doch nur mal ausprobieren. So zum Spaß. Aber jetzt überlege ich tatsächlich, ob ich nächste Woche wiederkomme, denn es ist so toll. Ich kann nicht mal sagen, was genau daran so toll ist – ich sehe den anderen zu, bei denen es so leicht und elegant aussieht, und eigentlich verspüre ich noch nicht mal den Hauch einer Ahnung, dass es sich irgendwann auch bei mir so leicht und elegant anfühlen könnte, und trotzdem will ich es wissen, ich würde gern wenigstens so weit kommen, dass ich einigermaßen allein rumkomme, allein den Schwung aufbringe, oder die Traute, genug Schwung zu holen, und genügend Körperspannung aufzubauen, und … ich erwische mich glatt dabei, kurz über Fitnessgeräte nachzudenken, mit denen ich mal fix ein paar Armmuskeln herbeizaubern könnte. Ich wette, wenn man regelmäßig im Rhönrad turnt, ist der komplette Körper trainiert. Bauch- und Rückenmuskeln, Arme, Beine, man braucht sie alle.

Als wir uns hinterher die Schuhe ausziehen, merke ich, dass im Rhönrad nicht nur die Arme belastet sind, sondern auch die Füße. Sie sind rotgescheuert von den Schlaufen. Macht nichts. Mir zittern die Arme, mir brennen die Oberseiten der Füße, ich bin glücklich, und Maret strahlt.

Das alles passiert am Dienstag.

Am Mittwoch habe ich nur normalen Muskelkater. Schon ordentlich, aber nicht so schlimm wie erwartet. Am Donnerstag kann ich meinen linken Arm nicht mehr bewegen. Bis Schulterhöhe geht es so gerade noch, unter Schmerzen, alles darüber und alle Bewegungen nach hinten sind schlechterdings unmöglich. Das war diese eine verdrehte Drehung, die war nicht gut. T-Shirt an- oder ausziehen, Pferdeschwanz machen, sogar den Arm in die Seite stemmen: geht nicht. Ich habe Angst, dass tatsächlich etwas kaputtgegangen ist. Am Freitag ist es ein bisschen besser. Abends noch etwas besser. Am Samstag schreibe ich Maret eine Mail, ob wir am Dienstag wieder hingehen. Dann übe ich einfach das hier:

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.

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