Dr. Fisch
– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal lässt sie sich anknabbern.
Wir sind für ein paar Tage in Manchester, drei volle Tage sind wir schon durch die Stadt gelaufen, von früh bis spät. Heute sind wir in Liverpool, das ist ja nicht weit weg. Wir waren im Beatlesmuseum, haben vorher eine Stunde angestanden, glücklicherweise hat es just in dieser Stunde mal nicht geregnet, dann zwei Stunden Museum, mir tun die Füße weh. So viel Rumlaufen sind sie nicht gewohnt, und meine Füße sind sowieso so eine Sache.
Eben fängt es wieder an zu nieseln, es ist kalt und windig, England gibt sich wirklich alle Mühe, die gängigen Wetterklischees zu erfüllen. Wir wollen etwas essen, laufen durchs Albert Dock Richtung Tate Liverpool, ein bisschen erschöpft und ein bisschen verfroren. Da sehe ich aus dem Augenwinkel in einem Laden zwei Damen auf einer gepolsterten Bank sitzen, die Füße in einem Wasserbecken, und auf dem Fenster steht: Dr. Fish.
Fisch-Pediküre! Nicht in einem superschicken Wellnesstempel, sondern in einem nicht besonders herausgeputzten, aber sauberen und ordentlichen Ladengeschäft mit, Achtung, Brüller: Laufkundschaft. Zehn Pfund für eine Viertelstunde, und klar geht das sofort. Ich fackle nicht lange. Fischpediküre reizt mich schon, seit ich das erste Mal davon las, und im Moment ist die Vorstellung, mich kurz mal hinzusetzen und ein Fußbad zu nehmen, wirklich verlockend.
[Exkurs. Als wir uns einmal in Rom die Füße plattgelaufen haben, schrieb ich dies in mein Blog: Geschäftsidee: Fußbad- und -massagestationen an touristisch relevanten Punkten. Zehn Minuten Fußbad 5,00 Euro, zwanzig Minuten Fußmassage (nur in Kombination mit vorherigem Bad) 15,00 Euro. Braucht nichts besonders Aufwändiges oder Schickes zu sein, eine einfache Waschschüssel und einfaches Duschgel oder Seife, meinetwegen sogar Papierhandtücher zum Abtrocknen. Man braucht auch keine Einzelkabinen, es kann ja sogar unter freiem Himmel stattfinden, Hauptsache, es ist fließend warmes Wasser vorhanden. Vielleicht ein bequemer Liegestuhl, das wäre schön. Einfache Creme oder Öl für die Massage. Daneben ein Verkaufsstand mit frischen Socken. Ich wär sofort dabei, wahrscheinlich hätte ich mir das täglich gegönnt. Am Forum Romanum, am Petersdom, an der Piazza del Popolo, da laufen doch überall Erschöpfte mit wehen Füßen herum, die schon den ganzen Tag herumlaufen. Sowas müsste doch auch lukrativer sein als diese schäbigen Regenschirme, Sonnenbrillen, Fake-Designertaschen und Glibberspielzeuge, die da von Straßenhändlern in großen Mengen verkauft werden. Exkurs Ende]
Bei der Fischpediküre knabbern einem kleine Fische, die Kangal-Fische, die Hornhaut von den Füßen, Hautschuppen, abgestorbene Zellen und so weiter. Beziehungsweise, erklärt mir die zuständige Dame, sie knabbern nicht, sie haben angeblich gar keine Zähne, sie saugen vielmehr. Und es würde ein bisschen kribbeln, nicht wehtun, ich solle keine Angst haben.
Ich habe ja auch gar keine Angst, sondern bin sehr gespannt. Die Fische werden auch zur Behandlung von Hautkrankheiten eingesetzt, Psoriasis, Neurodermitis, Akne, das knabbern sie einem alles weg. Oder so. Dann heißt die Sache natürlich nicht mehr Fischiküre, sondern Ichthyotherapie, das klingt doch gleich noch gesünder. (Und Fischiküre habe ich mir sowieso gerade ausgedacht.)
Ich muss einen Zettel ausfüllen und unterschreiben. Dann werde ich gefragt, ob ich lackierte Zehennägel oder Bodylotion auf den Füßen habe, kremple mir die Hosenbeine hoch und darf mir in einem winzigen Eimer die plattgelaufenen Füße waschen. Die Ladenbesitzerin inspiziert meine Füße, alles in Ordnung, ich darf sie in das Fischbecken tauchen. Nicht auf den Boden stellen (um die Fische nicht zu zertreten, nehme ich an) – die Sitzbank ist auch so hoch, dass man die Füße nur ins Becken hängen kann.
Wo sich sofort ungefähr 40 kleine Fischchen geradezu gierig auf meine Füße stürzen, sich alle gleichzeitig daran festsaugen und mir den Lachanfall des Jahres bescheren. Es kitzelt irrwitzig, aber ich kann ja meine Füße nicht einfach ruckartig wieder rausziehen oder wild herumstrampeln, was jetzt vom Gefühl her die normalste und angemessenste Reaktion wäre, aber das sind ja lebende Fische da drin, da kann man nicht einfach so herumzappeln. Ich bemühe mich, Füße und Beine halbwegs still zu halten, aber meine ganze obere Hälfte lacht und kichert und kann gar nicht mehr aufhören, laut zu lachen. Ich weiß sonst nicht, wohin mit dem Fußgekribbel, irgendwie muss ich das ja abreagieren. Also lache ich und lache und lache.
Die beiden Angestellten lachen nicht mit. Sie sagen, ich würde mich gleich an das Gefühl gewöhnen, und dann würde es nicht mehr so kitzeln. Die beiden Damen, die mir gegenüber gerade ihre Füße ins Wasser tauchen, müssen auch nicht so lachen. Ich lache allein, und ich kann nicht aufhören. Himmel, kribbelt das.
Wenn die Fische sich so festsaugen – ob sie Knutschflecken hinterlassen? Der Gedanke macht nicht gerade, dass ich aufhöre zu kichern. Fischknutschflecken an den Füßen. Gnihihi.
Eine Horde Schulmädchen stürmt den Laden. Sie gucken sich um, kichern, zeigen auf die Fische, quietschen. Endlich kichere ich nicht mehr allein. Immerhin muss ich nicht mehr schallend lachen, gnicker.
Ich wusste gar nicht, dass ich an den Füßen so kitzlig bin. Ich wusste auch nicht, dass gekitzelt werden so lustig sein kann. Normalweise bin ich überall anders kitzlig, aber nicht an den Füßen. Und es macht mich total wütend, wenn ich gekitzelt werde, ich kann das wirklich, wirklich nicht leiden und werde richtig ernsthaft böse. Gnihihi. Und jetzt ist das plötzlich total lustig, wie das kitzelt! So kleinen Fischen kann man ja eh nicht böse sein.
Ich spreize die Zehen ein bisschen, zack, sind Fische dazwischen, Hilfe! Die sollen da wieder weggehen! Ich will sie ja nicht zerquetschen, aber ich kann die Zehen auch nicht die ganze Zeit gespreizt halten. Ich bewege die Füße ein bisschen, die Fische gehen aus den Zwischenräumen weg, Glück gehabt. Keinen Fisch zerquetscht.
Gnihihi. Die Schulmädchen sind verschwunden, die beiden Damen auf der anderen Seite des Raumes unterhalten sich leise, wieso kichern die nicht? „Meine“ Fische sammeln sich gerade zum großen Teil an derselben Stelle an meinem rechten Fuß, ich muss schon wieder fürchterlich kichern, das kitzelt vielleicht! Außerdem fühlt es sich komisch an, die Einzige im Raum zu sein, die die ganze Zeit lachen muss. Hihi.
Ich frage die Angestellte, ob die Fische sich ausschließlich von Füßen ernähren. Sie sagt nein, sie bekommen abends auch noch Algen. Ob das eine ausgewogene Ernährung für so einen Kangal-Fisch ist? Füße und Algen? Gnihihi. Und überhaupt: was für ein Leben führen die da eigentlich? In den Becken ist nichts weiter drin. Wasser, Fische, Füße. Keine Pflanzen oder irgendwas, was Fische sonst so um sich herum haben, kein gar nichts. Die beiden Angestellten sind aber nicht besonders gesprächig, ich frage nicht weiter. Außerdem muss ich kichern, die Fische finden das möglicherweise gar nicht so lustig, ich hingegen finde gerade alles lustig, und außerdem kitzelt es.
Nach einer Viertelstunde klingelt ein Wecker, ich nehme langsam die Füße aus dem Wasser und den Fischen damit das Essen weg. Auch nicht nett. Meine Füße werden abgetrocknet – jetzt hätte ich gern noch, dass sie massiert und mit duftenden Ölen gesalbt werden. Stattdessen muss ich meine ollen Muffsocken und die bequemen Schuhe wieder anziehen, ohne genügend überprüfen zu können, ob sich denn an meinen Füßen irgendetwas verändert hat. Sieht erstmal nicht so aus. Aber angenehm ist so ein viertelstündiges Fußbad natürlich sowieso, wenn man seit Tagen herumläuft. Und für die Laune kann das tollste Lachyoga nicht besser sein als von Fischen durchgekitzelt zu werden.
Die ausführlichere Fußüberprüfung abends im Hotel ergibt ebenfalls keine sichtbare Veränderung. Allerdings: was hätte sich auch groß verändern sollen, so viel tote Haut habe ich nun nicht an den Füßen, dass man den Unterschied gleich merken würde. Aber für den Lachanfall hat es sich auf jeden Fall gelohnt.
Isabel Bogdan
Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan.