Geschrieben am 21. August 2013 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Slavko Bronzic‘

JHJAn den Reporter

Schreib auf, so viel Du kannst,
Mein Freund,
Aber berichte der Welt nicht nur
Die Zahl der Getöteten
Auf den goldenen Feldern Slawoniens.

Weil eine Zahl keinen Namen hat
Und keine geraubte Zukunft
Berichte der Welt,
Es waren Johann und William
Und Victor und Francesco,
Die getötet wurden,
Mitten in Slawonien,
Und dass Gabriel und György
Und vielleicht auch Du
Morgen getötet werden.

Schreib auf, soviel du kannst,
Mein Freund,
Aber berichte der Welt nicht nur
Die Zahl der Getöteten
Auf den blutenden Feldern Slawoniens.

Slavko Bronzic‘ (Übersetzer unbekannt)

Gibt man den Namen Slavko Bronzic‘ in eine Internet-Suchmaschine ein, findet man keinen Eintrag. Ob Bronzic‘ mehr als nur dieses Gedicht geschrieben hat, ist unbekannt. Überhaupt weiß man nur, dass er aus der bosnischen Stadt Osijk stammt. Hinter diesem einen Gedicht jedoch steht eine ganz besondere Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.

Man fand dieses Gedicht in einer Tasche, die der SZ-Journalist Egon Scotland bei sich trug, als er Ende Juli 1991 auf einer Recherchereise erschossen wurde.

Nach einer Statistik von „Reporters sans Frontiers“ sind während der Balkankriege Anfang der neunziger Jahre fünfzig Journalisten während der Ausübung ihres Berufes ermordet worden. Egon Scotland war einer von ihnen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde er von Heckschützen ermordet, die unter serbischem Kommando standen. Tod mit 42 Jahren. Keine Krankheit, kein Suizid, kein Unfall. Ermordet während der Arbeit. Im Dienste der Pressefreiheit und weil er einer Kollegin helfen wollte.

In München und in den deutschen Medien fand dieser tragische Tod des Journalisten Egon Scotland ein großes Echo. Und was ist mit den anderen getöteten, gefolterten, inhaftierten Journalisten? Nur in spektakulären Einzelfällen erfährt die Öffentlichkeit von ihrem Schicksal und der Not ihrer Angehörigen. Freunde und Kollegen von Egon Scotland gründeten deshalb im Gedenken an ihn den Verein „Journalisten helfen Journalisten“.

Man sammelte Gelder, gelegentlich auch alte Computer oder Fotoausrüstungen, die auf direktem Wege an notleidende Einzelpersonen oder Redaktionen weitergeleitet wurden. Unspektakulär, oft mit größter Diskretion, um die Empfänger wie die Übermittler der Hilfen nicht zu gefährden. Dass man auch in den heftigsten Kriegszeiten auf dem Balkan immer Ansprechpartner auf allen Seiten der „Fronten“ besaß, registriert man in dem Münchener Verein nicht ohne Stolz. Und es wurde ein dichtes Netzwerk von Autoren geknüpft, von denen einige auch mit den Jahren zu festen Ansprechpartnern deutschsprachiger Medien gehören.

Inzwischen existiert der in Erinnerung an Egon Scotland gegründete Verein von Journalisten für Journalisten bereits seit zwanzig Jahren und ist weltweit eng mit anderen NGO’s zum Schutz der Menschenrechte verbunden. Und das Gedicht von Slavko Bronzic‘ ist für viele Reporter zu einem Motto für ihre Arbeit geworden. Seine englische Übersetzung kursiert mittlerweile in journalistischen Kreisen rund um den Globus. Es ist so zu einer Weltlyrik geworden, auch wenn man von seinem Autor nur den Namen kennt und weiß, dass er aus Bosnien stammt. Vielleicht hat er nur ein Gedicht geschrieben, das aber wird bleiben. Als Erinnerung und als Mahnung.

Carl Wilhelm Macke

Tags : , ,