Geschrieben am 13. Juni 2012 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Oksana Sabuschko

Die Ballade vom Abseits

Vor den brüllenden Kehlen auf glutheißen Rängen
Rauf und runter, vor und zurück
Springt über den flimmernden Rasen
Der sonnenverblichene Ball.
Dieser Stürmer, sein Schuss, eine göttliche Gnade:
Durchs Trikot ragen schweißglänzende Flügel!
Zwei Gegner am Mann, er zieht vorbei!
Läuft, als ginge er nackt unter Wölfe,
Als zöge er ackernd einen bleibende Furche!
Drei lässt er stehen. Ausgespielt.

Abseits, er merkt es nicht,
dass er schon lange im Abseits steht.

Der nächste Schuss, gezielt ins Eck!
Wie Rosen regnete der tosende Beifall!
Er gab einen bissigen, wilden Takt vor,
Der die Mannschaft zum Wahnsinn trieb.
Er spielte, als wär’s seine letzte Partie!
Schon sah man den Helden lorbeerumkränzt,
Der Schlussmann greift hinter sich –
Und wieder Abseits.

Er keucht. Er flucht – zig Mal
Die Sonnenstachel, die seine Schläfen peinigen,
Die schwarzen Richter, den Geierrat,
Ihre Attacken, die ein Aashauch umweht.
Wo ist sie, die schwebende, schwankende Grenze,
Dieser Schritt ins Nichts, der die Seele zerfetzt?!
Er blickt sich um, erwartet den Pfiff,
den lähmenden Peitschenhieb.
Titel, Rekorde? Fehlanzeige!
Er läuft vors Tor,
Blinzelt, zielt nicht, zieht sofort ab,
Und im Pfeifen reißt der Himmel den Rachen auf!
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Das Gespött kriecht herbei, eine würgende Schlange,
Der Trainer außer sich,
so ein Ball, Gott noch mal,
Der muss doch rein, jetzt war es kein Abseits

Oksana Sabuschko (Übersetzt aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe)

 

Oksana Sabuschko wurde 1960 geboren und lebt in Kiew – sie ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der heutigen Ukraine. Sie hat ein Philosophiestudium abgeschlossen, an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet, war als Fulbright-Stipendiatin in Harvard und Pittsburgh und als writer-in-residence 1992 an der Penn State University. Gegenwärtig ist sie Vizepräsidentin des ukrainischen Pen-Zentrums und schreibt regelmäßig für Zeitschriften und Magazine zu literarischen Themen. Ihr Werk ist in mehrere Sprachen übersetzt und wurde u. a. mit dem Global Commitment Foundation Poetry Prize 1997 ausgezeichnet. 2010 erschien beim Literaturverlag Droschl der Roman „Museum der vergessenen Geheimnisse“ und 2012 der Essayband „Planet Wermut“, worin sie sich insbesondere auch dem Fußball widmet (mehr hier).

Claudia Dathe, geboren 1971, studierte Übersetzungswissenschaft (Russisch, Polnisch) in Leipzig, Pjatigorsk (Russland) und Krakau. Von 1997 bis 2004 arbeitete sie als Lektorin für den Deutschen Akademischen Austauschdienst in Kasachstan und der Ukraine. Seit April 2009 arbeitet Claudia Dathe als Koordinatorin des Projekts „Literarisches Übersetzen“ an der Universität Tübingen. Während ihrer Tätigkeit in Kiew eignete sie sich Ukrainisch an und begann mit eigenen literarischen Übersetzungen. Claudia Dathe hat u. a. die ukrainischen Autoren Serhij Zhadan, Olexandr Irwanez, Tanja Maljartschuk und Sofia Andruchowytsch ins Deutsche übersetzt. Mitglied im Verein translit e.V.

Das Gedicht ist erschienen in: „Wodka für den Torwart. 11 Fußball-Geschichten aus der Ukraine“. Edition.fotoTAPETA 2012. Herausgegeben vom Verein translit e.V. 208 Seiten. 12,80 Euro. Mehr hier.

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