Geschrieben am 4. Februar 2015 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Kommentar: Wolfram Schütte über die Folgen nicht nur der Pariser Terroranschläge

Je_suis_Charlie,_Place_Luxembourg,_Bruxelles,_le_7_Janvier_2015_(2)Voltaire nicht zu vergessen

–Wer argumentiert, dass jene Franzosen noch am Leben wären, wenn sie unterlassen hätten, was ihre Ermordung provoziert haben soll, betreibt eine Viktimisierung, aufgrund deren der Ermordete selbst dazu beigetragen habe, dass er ermordet wurde. Wolfram Schütte mit einigen Verwunderungen nach nicht nur den Pariser Massenmorden.

Voltaire – an den man in diesem Zusammenhang immer wieder erinnern muss – soll bekanntlich gesagt haben: „Ich verachte ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen“. Mehr muss eigentlich nicht gesagt werden: zu dem Mehrfachmord der „Charlie Hebdo“-Redaktion (& eines Polizisten, der sie schützen sollte) & zu der gleichzeitigen Exekution von vier französischen Juden durch drei französische Täter in Paris, die sich auf Allah beriefen, dem sie einen Wohlgefallen zu tun geglaubt haben wollen. Die Diskussion darüber, ob die Karikaturen von „Charlie Hebdo“ künstlerisch wert- oder geschmackvoll & der anstößige Anarchismus der Zeitschrift angemessen, übertrieben, brutal oder „respektabel“ oder was auch immer sei, wird durch den Satz Voltaires beantwortet: selbst wenn ich die Zeitschrift „verachtete“, gäbe es keinen Grund, deren Mitarbeiter deswegen zu ermorden – wie auch keinen, Franzosen, die koscher einkaufen, nur deshalb umzubringen, weil sie Juden sind.

Man kann sich natürlich über die Qualität der Karikaturen von „Charlie Hebdo“ im Schatten des Pathos, der von jenem Voltaire-Satz geworfen wird, unterhalten; Aber wenn das Gespräch über die Qualität dazu führt oder gar zum Ziel hat, die Schutzwürdigkeit der Karikaturisten auch nur um einen Grad zu vermindern oder auch nur um ein Grad „Verständnis“ im Sinn von (psycho-)logischer Kausalität entstehen zu lassen, dafür, dass geschehen konnte, was geschehen ist, hat man sich von Voltaires moralischem Imperativ einer offenen, freien laizistischen Gesellschaft entfernt. Sie ist im Laufe der letzten Jahrhunderte unter großen (mörderischen) Opfern in Europa erkämpft worden & muss ständig gegen ihre „Rücknahme“ (nicht nur durch Killer, sondern auch gegen politische & moralistische Bewegungen, Parteien oder Institutionen) verteidigt, bzw. aufrechterhalten werden.

Wer argumentiert, dass jene Franzosen noch am Leben wären, wenn sie unterlassen hätten, was ihre Ermordung provoziert haben soll, betreibt eine Viktimisierung, aufgrund deren der Ermordete selbst dazu beigetragen habe, dass er ermordet wurde.

(Was hätten die 4 jüdischen Franzosen unterlassen sollen, um ihrer gleichzeitigen Ermordung zu entgehen?)

Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie sich gerne den Kopf über die Frage zerbrechen, was den Mörder zu seiner Tat motiviert & ob das Opfer womöglich durch sein Verhalten dazu beigetragen haben könnte. Die Begründung für eine solche Ursachen-Spekulation wird darin gesehen, dass die gesuchten Erkenntnisse eine Wiederholung der Tat möglicherweise künftig verhindern werden. Ich frage mich aber, ob diese scheinbar „gut gemeinte“ Überlegung, die de facto fast immer auf eine Schuld-Relativierung des tötenden Täters hinausläuft, nicht (zumindest aber auch) der typische psychologische Reflex einer Gesellschaft ist, der immer noch der Makel eines unfassbaren Massenmords anhaftet.

Aber es gibt ja auch die Ansicht, wenn eine bestimmte Art der Ausübung der Meinungsfreiheit (z.B. als Karikatur) – und zwar innerhalb des gesetzlich sowohl erlaubten wie geschützten öffentlichen Raums – bei einer gesellschaftlichen Gruppe als todeswürdiges Verbrechen angesehen & deren Lynchjustiz zur Folge haben könnte, es politisch & ethisch opportun sei, diese sogenannte „Provokation“ zu unterlassen, bzw. zu unterbinden. Eine solche oft gebrauchte Argumentation (im Hinblick auf mit dem Islam gerechtfertigte Mordtaten) skandalisiert nicht die Tatsache der Androhung einer Selbstjustiz, bzw. des Lynchmordes, also des Angriffs auf das Gewaltmonopol des Staates, sondern macht für die potentielle Täterschaft denjenigen verantwortlich, der sein freies Recht der Meinungsäußerung ausgeübt hatte (und dafür ermordet wurde).

Gefordert wird mit einer solchen Argumentation, dass in einer vorauseilenden „Selbstbeschränkung“ das verbriefte Menschenrecht der Meinungsfreiheit ohne Rechtsgrundlage reduziert wird. Aus Angst gibt dann nicht der Klügere, sondern der Dümmere „nach“ – „um des lieben Friedens willen“? Es wäre aber kein Frieden, sondern eine brutale Erpressung zum Stillhalten, selbst wenn man das Schweigegebot an sich selbst vollzieht: als individuelle Unterlassung, die zu einer kollektiven sich weiten soll. Wer aber davon (künftig) abweicht – also weiterhin sein Menschenrecht in vollem Umfang ausübt –, wird dann quasi automatisch zum Sündenbock, der selbst daran schuld ist, wenn ihn Fanatisierte auf ihre feige Art (ad maiorem die gloriam) “abschlachten“. Gegen den „Sündenbock“ stehen dann nicht nur (wie bisher) die barbarischen Täter, sondern künftig auch alle jene „Vernünftigen“, die das Ermorden „mit Bedauern“ dulden oder gar von sich glauben, es „duldend hinnehmen“ zu müssen. Diese kollektive gesellschaftliche Situation ist uns aus der jüngeren deutschen Geschichte nur allzu bekannt. Aber auch: dass man daraus hätte lernen können, sich von keiner mit Mord drohenden Minderheit zu Stillhalten, Schweigen & Wohlverhalten erpressen zu lassen.

Franziskus als Don Camillo vermöbelt Blasphemisten mangels Scheiterhaufen

Das Recht der Meinungsäußerung in Wort, Schrift oder Bild kann sowohl als Kritik geäußert, wie auch als Beleidigung empfunden werden. Die Empfindung einer Beleidigung durch Wort, Schrift oder Bild ermächtigt niemanden, mit Selbstjustiz dagegen tätig zu werden & den angeblichen Beleidiger zu töten. Wenn dieses Recht der Kritik an Religionen, das sich die europäische Aufklärung in einem Jahrhunderte währenden kritischen Prozess gegen die christlichen Kirchen erstritten & erkämpft hat, angesichts eines terroristisch agierenden Islams relativiert & gar eingeschränkt wird, ist das nie beendete Projekt der aufklärerischen Moderne in höchster Gefahr.

Schon hat sich Papst Franziskus, der sich bislang selbst- & kirchen-institutions-kritisch gegeben hatte, ganz unfranziskanisch geäußert, als er „Verständnis“ für ein ad corpore gehendes Verhalten annoncierte, wenn „Blasphemie“ vorliege. Der „Liebe“ predigende katholische Oberhirte hat seine gar nicht einmal klammheimliche Sympathie für die Abstrafung von „Beleidigern“ in derben Metaphern ausgedrückt. Ein prügelnder Papst sieht so harmlos & komisch aus, wie Fernandels Don Camillo, der den kommunistischen Bürgermeister Peppone „vermöbelt“ – weil die Aufklärung es zuwege gebracht hat, dass der Kirche keine Scheiterhaufen mehr zur Verfügung stehen. Umso weniger sollte Leuten, die sich auf ihre „Empörung“ über eine angebliche „Beleidigung“ berufen, erlaubt sein, ihre „Verachtung“ heute in Maschinengewehrsalven auszudrücken.

Es gehört zur Mentalitätsrealität, dass in pluralistischen Demokratien der modus vivendi ihrer Mitglieder von der staatlich geschützten Rechtlichkeit reguliert wird. Es ist nicht unbillig, von allen Mitgliedern – welcher Spezifika ihnen sonst eigen sein mögen – das gleiche zu verlangen, nämlich den Respekt vor der Rechtstaatlichkeit des laizistischen Staates. Das ist bei der überwiegenden Mehrzahl der muslimischen Mitbürger zweifellos der Fall. Aber obwohl sie ihren Glauben oft mit einem selbstverständlicheren Humanismus im Alltag leben als viele Christen oder „Ungläubige“, fällt es auch ihnen schwer, hinzunehmen, wenn jemand „den Propheten beleidigt“ (allein schon dadurch, dass er ein Bild von ihm macht).

Nur: das Bilderverbot, das im heutigen Islam an der Tagesordnung ist, kann nicht für alle gelten, die dem Islam nicht glaubend anhängen. Man kann, muss aber nicht, sich als „Ungläubiger“ danach richten. Da – nachdem der erste mörderische Streitpunkt literarischer Art war, Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ – nun satirische Zeichnungen im Fokus der Debatte stehen, wirkt der mit der Zeichnung identifizierte „Prophet“, der religiöse Urvater aller „Mohammedaner“, eo ipso umso direkter als Zielscheibe der Kritiker; & weil die Kunstform der Karikatur sowohl übertreibt als auch verzerrt, wird ihr Motiv der Kritik, der Widerrede, der kategorischen Ablehnung unter dem Vorwurf der „Beleidigung“ & „Beschimpfung“ vollständig verdrängt. Und das umso mehr, als alle religiöse Orthodoxie (nicht nur die muslimische) in jeder Abweichung oder Widerrede die Teufelei der Häresie lokalisiert (& wenn sie die reale Macht dazu hat, wie in machen islamischen Ländern noch heute, Häresie mit der Todesstrafe verfolgt).

Auch unter den „Gutgläubigen“ des Islam, die ihn als menschenfreundliche Alltagspraxis leben (hier wie dort) gibt es jedoch noch viele, die in den Karikaturen der „Ungläubigen“ – wenn diese auf terroristischen Mord anspielen – nicht nur eine Beleidigung des Propheten sehen, sondern auch eine unwahre, diskriminierende Behauptung über ihr eigenes gesellschaftliches Verhalten. Wenn jene, die nicht nur in Paris, London, Madrid, New York, sondern auch in überwiegend oder teilweise muslimischen Ländern Attentate, Massenmorde etc. verüben, es mit politischen Losungen täten, aber von uns „Ungläubigen“ dafür als „Muslime“ gebrandmarkt würden, könnten die unbescholten Muslime zurecht von einer Diskriminierung durch uns sprechen. Da aber die Täter sich selbst als gläubige Vollstrecker islamischen Denkens, Empfindens & Rechts voller Stolz immer wieder präsentieren, kann davon keine Rede sein. Der Berliner Imam Tahar Sabri – entnehme ich einem Feature der SZ v. 23. 1. 2015 – hat dazu gesagt: „Was die Terroristen (in Paris) getan haben, schadet unserem Propheten viel mehr als jede Zeichnung, mit der man sich über ihn lustig macht. Wir müssen den Islam von diesen Verbrechern befreien – heute mehr denn je“. Dieser „Vater Courage“ (SZ), der wie wenige seinesgleichen das grundlegende Problem im Fall der Pariser Charlie-Hebdo-Attentate erkannt hat, wird jedoch von Mitgläubigen auch bedroht & beleidigt, einmal ist er auf offener Straße bewusstlos geschlagen worden.

Es wird, als Entschuldigung für die Passivität hiesiger muslimischer Gemeinden darauf verwiesen, dass es im Islam keine verbindliche religiöse oder gewählte oberste Autorität gäbe. Keinen Papst, keinen Zentralrat oder Vorsitzenden wie bei den christlichen & jüdischen Gemeinden. Das stimmt. Umso mehr Verantwortung liegt jedoch bei den Imamen & deren Gemeinden. Wenn es so wäre wie Tahar Sabri behauptet, müsste er kein „Vater Courage“ sein, also kein „gefährlich lebender“ (SZ) Prediger in einer Wüste von gleichgültigen deutschen Moslems, die sich zwar über religionskritische Zeichnungen von „Ungläubigen“ ereifern, als habe man sie tätlich angegriffen, es aber ohne ein öffentliches Wimpernzucken hinnehmen, dass ihre Ehre & Güte & ihre Glaubensidentität von Verbrechern, zu denen auch Hassprediger zählen, vor den Augen der ganzen Welt laufend durch Massenmorde (vornehmlich an ihresgleichen Glaubensbrüdern) oder drakonische Strafen, die von der Weltgemeinschaft geächtet sind, auf Schändlichste, Gemeinste & Respektloseste besudelt & in den Dreck der Verachtung gezogen werden.

Dieses Missverhältnis müsste doch langsam sowohl den islamischen Intellektuellen als auch den einfachen Gutgläubigen auffallen, so dass sie auf Mittel & Wege sinnen, zwischen einer humanen islamischen Ethik & dem ehrlosen mörderischen Terror im Namen Allahs einen unüberbrückbaren Graben der Abweisung zu errichten. Vielleicht macht sich dann auch einmal unter den Gläubigen jemand Gedanken darüber, ob die infame Selbstmordtäterschaft wirklich als Tat eines „Märtyrers“ weiterhin religiös im Islam gefeiert werden sollte, statt dass auch Muslime in der Akzeptanz (& deren religiösen Überhöhung) eines Selbstmordattentäters einen Religionsmissbrauch zu erkennen: den frohgemuten, todessüchtigen ethischen Nihilismus in Tateinheit mit einem unentschuldbaren Massenverbrechen. –

Ohne dass die Muslime selbst (& zwar um ihrer eigen Ehre willen) ihre Religionsgemeinschaft von allen & allem befreien, was sie politisch missbraucht & dieser Religion das verzerrte Antlitz terroristischer Gewalt & Unterdrückung aufdrückt, kann der mögliche Humanismus, den so viele Muslime weltweit durch ihre Lebensweise an den Tag legen, nicht aus dem dunklen Schatten heraustreten, der von allen auf den Islam fällt, die sich seiner zur Rechtfertigung ihrer „zum Himmel schreienden“ Schandtaten bedienen. Es sind nicht die kritischen Karikaturen von „Ungläubigen“, die den Islam beleidigen, indem sie die Verbrechen, die in Allahs Namen geschehen, anprangern.

Wolfram Schütte

Foto: Wikimedia Commons, Quelle, Autorin: Valentina Calá

Tags : , , , ,