Geschrieben am 16. Juli 2009 von für Litmag, Porträts / Interviews

Jörg Fauser zum 65. Geburtstag

Eine Art Tourist im eigenen Leben

Am 16. Juli wäre Jörg Fauser 65 Jahre alt geworden. Der Dichter unter den Romanciers, der Schriftsteller unter den Journalisten. Matthias Penzel über einen der wichtigsten Nachkriegsautoren Deutschlands.

Sicher, der Trick ist alt, wir kennen ihn seit Tutanchamun: Stirb jung, so dass du einen schönen Korpus hinterlässt, und man wird sich ewiglich an dich erinnern. Als Jörg Fauser in der Nacht nach seinem 43. Geburtstag starb, war er nicht mehr wirklich jung, so richtig hübsch auch nicht. Dagegen der Korpus, für den er lebte und litt, für den er in Schwabing in den Boxkeller von Ernst Wagner ging, für den er in den Grenzbereichen der menschlichen Existenz fahndete, dieser Korpus dagegen, Fausers literarisches Schaffen: war 1987 noch am Entstehen (Joseph Conrad hatte mit 43 von seinen neunzehn Romanen erst vier veröffentlicht, von Fontane fangen wir gar nicht erst an …).

Der Korpus: Ein paar Bücher, die schnell nach seinem Tod nicht mehr im Buchhandel angeboten wurden, ein paar Songs für Achim Reichel – nicht zuletzt deshalb beachtenswert, weil „Der Spieler“ bis ins Jahr 2004 erheblich mehr Tantiemen einbrachte als die Bücher, die peu à peu ganz verschwanden.

Nicht so richtig überraschend oder gar originell, dass zum Geburtstag vor fünf Jahren ein Redakteur der SZ seinen Artikel so begann: „Wenn er nicht gestorben wäre, dann wäre er heute vergessen.“ Mag sein, dass das stimmt. Mag sein, dass der SZ-Literateur – der über Kino und die Beatles Bücher verfasst hat, auch über Jagger, die RAF und andere Allgemeinplätze – einfach nur auffallen wollte. Jedenfalls höhnte er, Fauser sei „nun zum Helden des jungen Feuilletons avanciert“. Sprach da der Neid? Natürlich nicht: Der fest angestellte Redakteur zollte hier und da Respekt, older but wiser, und erinnerte sich in einigen seltsam vertrackten Winkelzügen an Fausers Auftritt („Verkannt sein ist nur gut für die, die es nicht sind.“) in Klagenfurt. „Sie gehören nicht hierher“, tobte dort donnernd der Papst wie ein Oberlehrer zum höhnischen Gelächter der Jünger. Der Redakteur vergaß – oder hatte es nie bemerkt? –, dass Fauser bei jenem Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit dem aufgefallen war, was seine Prosa schon vorher von gängigen Trends abhob: Normale Menschen, normale Probleme, präzise auf den Punkt gebracht, in einer Ausnahmesituation, etwa auf Urlaub in Zypern („Riechst du nicht die Bomben, die gefallen sind? … Hier haben schwere Kämpfe getobt, bis die Leute den Norden besetzt haben.“). Er erzählte von Mann und Frau, wie sie einander brauchen, aber nicht verstehen, dazu etwas humanistische Bildung aus Zuckertütchen eingestreuselt, doch Mann und Frau, wie sehr sie es auch wollen und wie wenig sie es auch merken: ihnen geht es wie dem Dichter und dem Literaturbetriebler. Selbst wenn sie verstehen, dass sie in fremden Welten leben, fremd wie Venus und Mars („Jetzt erzähl mal genau, was los war, sagte er. / Was ist das? Ein Verhör?“).

„Leben ist nichts, wenn es nicht Rebellion ist.“ (1)

Der Text, den Jörg Fauser 1984 in Klagenfurt las (Gewinner waren: Erica Pedretti, Renate Schostack, Wolfgang Hegewald, Helen Meier und Thomas Strittmatter), war nicht sein bester Text, klar. Er war einfach nur ein Ticket, um mal in die Hölle der Löwen vorzudringen. Wer draußen vor der Tür bleibt, macht es sich ja leicht, wenn er die Scheinheiligen an den Schaltern der Macht anprangert. Reingehen, voll rein, genau hingucken, noch etwas tiefer rein, vielleicht ein paar Jahre darüber nachdenken, alles setzen lassen – und dann darüber berichten: das ist besser.

Das ist Fauser. Hingucken. Überlegen. Dann schreiben.
Überlegen schreiben: nicht zu verwechseln mit mal flott gegen den Strich gebürsteten Notizen aus Alzheim.

Reingehen, und zwar voll rein: Das ist Fauser im Polizeigefängnis von Cagaloglu, Istanbul. In London und Spanien. In Marokko und Indonesien. Genauso wie auf Wahlkampftournee mit dem seinerzeit noch jungen parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Grünen, der Realos gegen Fundis durchzusetzen versucht. Oder auf Tingeltangeltournee mit einem Provinztheater, auf Wahlkampftour im Großen Saal des Gasthofs Wente bei Osnabrück mit dem Spitzenkandidaten der niedersächsischen SPD (sprich: Gerhard Schröder, 1985, die Oggersheimer Wendebirne hatte es sich in Bonn gerade gemütlich gemacht) … Im Goldenen Dreieck in Thailand. Oder im Ortsverein der SPD Berlin-Schöneberg. Oder eben in zypriotischen Tavernen, im Stardust Motel Hollywood oder in Boxkellern, Puffs und Bars und Trinkhallen, im sogenannten Milieu.

Der Text, den Fauser in Klagenfurt vorlas, ist kaum erwähnenswert. „Geh nicht allein durch die Kasbah“ war einfach eine von drei Dutzend Erzählungen, wie er sie ab 1972 für kleine und winzige Mags schrieb, später für den Rundfunk, Playboy, das rororo-Literaturmagazin usw. Ach ja, der Korpus, den er hinterließ: Außer zwei Bänden mit Erzählungen, zwei mit Reportagen und Essays waren da Cut-up-Pamphlets und experimentelle Montagen sowie eine Novelle. Dann waren da Schriftstellerporträts (wieder für Litzines ebenso wie Sounds, Spiegel, stern und den Rundfunk), Kolumnen für lui und Tip, da waren Drehbücher (über Duchamps, Bakunin, später auch organisiertes Verbrechen), Hörspiele, Übersetzungen, eine Biografie, drei Krimis und der Roman Rohstoff.

„Der Wecker rasselte um acht, als Carl in der Spitfire-Bar in Alexandria die Königin von Saba tanzen sah.“ (2)

Einsteiger fahren gut mit dem autobiografischen Roman Rohstoff. Für Jörg Fauser musste Literatur lesbar sein, am besten noch engagiert und spannend. Er selbst machte es nicht wie Fallada oder Vicki Baum, sondern fing an mit schrägen, experimentellen Texten – was in Rohstoff mit Witz, aber nicht mit Spott reflektiert wird, dito Gegenkultur, Kommunen, Häuserkämpfe, Alternativen. Fausers Metamorphose vom experimentellen zum auf Spannung und Unterhaltung setzenden Dichter vollzog sich zu der Zeit, als Rohstoff endet. Wen der Übergang reizt, dem werden bei der Erzählung „Requiem für einen Goldfisch“ die Augäpfel aus dem Kopf fallen: bester Naturalismus, unvergessliche Szenen im Arbeitsamt und dazu die Königin von Saba.

Auch besonders erwähnens-, also beachtenswert und viel persönlicher: die Gedichte (in Die Harry Gelb Story vor allem Storyvignetten, von der „Knallschreibe“ Bukowskis befeuert, von Grass’ Butterstulle angeekelt; in Trotzki, Goethe und das Glück in einer Liga, mit einem Groove, über den man sogar in Übersee staunt. Dito Ich habe eine Mordswut, ein posthum von seiner Mutter und Wolfgang Rüger herausgegebener Briefband.

„Kaum war ich von der Spritze runter / tappte ich in die nächste Falle / die Revolution. / Die Revolution hieß Louise / hatte unglaublich schmale Hüften / blitzende Augen, flatterndes schwarzes Haar.“ (3)

Jörg Christian Fauser hatte einiges geschrieben und immer viel gelesen. Als Kind Shakespeare und Geschichtsbücher, Dickens, Brecht, Grabbe u. a. An ersten Theaterstücken versuchte er sich, als seine Klassenkameraden auf Apfelbäume kletterten. Im Lesen, so scheint es, hat er nach dem Leben gesucht. Im Leben nach dem Stoff, über den zu schreiben sich lohnt. Wenn sein Leben und Überleben, sein Fühlen und Denken in seine Texte eingeflossen sind, war er unschlagbar.

Das zeichnet immer wieder den Journalisten Fauser aus. Ebenso seine Gedichte – und eben Rohstoff. Locker und wie aus dem Ärmel geschüttelt vom routinierten Trickspieler wird da scheinbar konventionell die BRD von 1967 bis 1972 porträtiert, auch Sucht und Suche nach Stoff – des Möchtegerndichters Harry Gelb –, zugleich sind Ortswechsel, Zeitsprünge und Nahaufnahmen – nicht zu vergessen: der Witz – wie aus anderen Genres. Rohstoff kommt auf den ersten Blick daher wie ein salopp erzählter Schelmenroman, doch wer genau hinsieht, entdeckt Zeitgeschichte, wird über Widersprüche in der Konstruktion staunen, eventuell an das Maskenspiel eines Jokers wie Bob Dylan erinnert.

„Wie immer bei Charlie Parker schien jeder noch so leicht, fast flüchtig angespielte Sound ein dunkles, quälendes Echo auszulösen. Wie Leute sich das zum Vergnügen anhören konnten, war ihm ein Rätsel.“ (4)

Noch verblüffender: Der Schneemann. Ein Spannungsroman, atmosphärisch dicht, sehr schnell („Blum sah auf die Uhr. Höchste Zeit.“), gefeiert, verfilmt, übersetzt usw. usf. Aber Der Schneemann von 1981 ist auch durchsetzt mit postmodernen Elementen (5), Medienwahrnehmung auf Metaebenen, ein Krimi, in dem kein Beamter, kein Detektiv ermittelt, in dem nur einmal uniformierte Polizisten auftauchen – um einen Pakistani abzuschieben.

Aber, ja, ja, stimmt schon: Vielleicht hätte man ihn vergessen. 1990, drei Jahre nach seinem Tod, waren von seinen 13 Büchern nur noch zwei erhältlich. Warum hat man ihn nicht vergessen?

Fußnote / ein Absatz zum Überspringen: So richtig angemessen beachtet wurde er zu Lebzeiten nicht, wirkungslosere Autoren wurden vehementer beworben, ausführlicher besprochen. Trotzdem muss man festhalten, dass gleich Fausers erstes Buch Tophane 1972 in der FAZ von Hadayatullah Hübsch gelobt wurde. Lobend oder vorsichtig umkreisten Fauser auch andere, an die man sich heute eher erinnert als an manchen Klagenfurt-Preisträger: Heinz Piontek, Arnfried Astel, Rudolf Herfurtner, Jörg Drews, Harald Hartung, Hans Christian Kosler, Michael Buselmeier, Christa Rotzoll, Volker Hage, Pieke Biermann, Werner Fuld, Eberhard Falcke, Wolfram Knorr, Hollow Skai, Wolfgang Welt, Steffen Radlmaier, -ky, Hellmuth Karasek, Claudius Seidl, Maxim Biller, Dirk Lehnhoff, Michael Althen, Renée Zucker, Thomas Wörtche. Den einen miss- oder gefiel die Alltagsprosa, vielen die Krimis, sie titulierten ihn als „deutschen Bukowski“, verglichen ihn mit Chandler … und manchem fiel auf, dass er sich für die kleinen Leute von Fallada und Graham Greene interessierte, mit den Augen des Humanisten, dass ihn Politik als Instrument der Sprache fesselte wie Orwell oder Burroughs … ja, und als er zum großen Hardcover bei einem neuen Verlag ansetzte, da also das Ende.

In den allermeisten Nachschlagewerken zur deutschen Literatur nach 1945 kommt Fauser nicht vor, in den „Daten deutscher Dichtung“ auch nicht. Ja, vielleicht ist oder war er tatsächlich nicht so wichtig wie Benjamin Lebert oder Sigrid Brunk. Oder es war zu mühselig, ihn einzuschätzen. Kein Label traf, keine Schublade fand sich. Auch politisch schwierig: Jörg Fauser war nicht so richtig links, rechts schon gar nicht, vor allem war er – wie als Autor – eigenständig. Außen vor. Ohne Cliquen. Wider Dogmen und Ismen. Ja, stimmt, so Leute gab es auch schon vorher – Colette („Star-Sklavin der Literatur-Fabrik“), George Orwell, Henry Miller, Nelson Algren … Einzelkämpfer halt. Vergessen – oder verdrängt? – wurden sie von denen, die es sich einfach machten.

„Der Schriftsteller ist kein trotziger Außenseiter, er will teilhaben, denn nur woran er teilhat, darüber kann er mit Fug und Recht schreiben. Das ist die Sache, da wollen sie uns haben – Butterblumen schreiben, Gräschen, Frauenprobleme – aber um Gottes willen keine Teilhabe …“ (6)

Im Gegensatz zu Brinkmann und Wondratschek – die anderen deutschen Beats – musste Fauser einen langen Weg zurücklegen, bis er in einem etablierten Verlag ankam, mit Hardcovern reüssieren konnte. Deshalb wurde und wird er von ein paar Menschen nie vergessen – denn wie viele gibt es schon, die sich aus dem Underground hervorgeackert haben? Wie viele wollen das? Wer es darauf anlegt, vor allem ohne hofiert zu werden, läuft ja immer auch Gefahr, sich zu blamieren.
Frei nach diesem Sprichwort über Kommunisten könnte man sagen: Wer mit 20 keine Experimente macht, dem fehlt etwas am Herzen; wer es mit 40 noch macht, dem fehlt es im Kopf.

Vergessen wurde er nach seinem Tod jedenfalls nicht überall. OK, stimmt schon: Nachrufe in allen Medien, dann trocknete die öffentliche Rezeption aus. Betriebler und Schreibtischtäter sahen sich nicht mehr gezwungen, Fauser zu beachten. Als dann deutsche Literatur zum Verkaufsschlager wurde, mit ganz neuem Erzählen und weniger abgehoben, fiel nur wenigen auf, dass das ganz Neue schon da gewesen war. Als die Popliteratur ihn als Geburtshelfer für sich einnahm, in Kellern auch die kleinen Leute, in etlichen Fanzines und bei der Social-Beat-Bewegung, aus der die bis heute im Halbdunkel florierende Poetry-Slam-Szene wurde, auch da nahm es nicht jeder wahr.
Aber er blieb am Leben. Auch ohne Baumleiter aus dem Feuilleton wurden seine Bücher gelesen. Von Vergessen konnte nicht die Rede sein.

Bei der ganzen hier präsentierten Menge an Informationen ist eine essenziell. Fausers Weiterleben wäre ohne einen nie möglich gewesen: Carl Weissner. Freund und Komplize aus Mannheim. Dem Junkie Fauser vermittelte Weissner den Kontakt zu William S. Burroughs, der Tipps zum Heroinentzug gab, auch den Draht zu Charles Bukowski, der den erfolglosen Poeten in seiner Haltung des immer weiter-und-weiter-und-weiter-machenden Dichters nachhaltig beeindruckte.
Weissner stellte den Kontakt zu dem Langstreckenpiloten und deutschen Cut-up-Experten Jürgen Ploog her, beide ermutigten sie ihn bei den Experimenten der Frühphase. Weissner war in düsteren Stunden da, führte Regie bei Hörspielen, coachte wohl Romane, schrieb Vorworte, über denen noch heute Germanisten rätseln, und posthum gab er die erste Werkausgabe heraus (bei Zweitausendeins). Auch half Carl Weissner mit Rat und Tat bei der von Christian Lyra zusammengestellten Doppel-CD Fauser O-Ton (mit dem nach wie vor vielsagendsten Cover-Artwork zu dem Mann). Oh! Und für die Fauser-Biografie Rebell im Cola-Hinterland (von Ambros Waibel und mir) lieferte er weit mehr als sachdienliche Hinweise.

„Solange der Schriftsteller sich nicht stationär behandeln lassen muß, dürfte er keine Gelegenheit haben, um festzustellen, daß seine Leiden sich von denen der anderen Leute nun doch nicht sonderlich unterscheiden.“ (7)

Jörg Fauser war schon wichtig, und wer ihn mochte, lag richtig. Das – oder so etwas Ähnliches – sagte im April 2003 Ambros Waibel, als er mir gegenüber darlegte, warum die Zeit reif sei, Fauser zum 60. Geburtstag als den wiederzuentdecken, als der er auch im Kanon gelten sollte: als einen der wichtigsten Nachkriegsautoren Deutschlands. Daher machten wir uns daran, eine Fauser-Biografie zu schreiben. Außer dem Werk wussten wir wenig über ihn und seine Motivation, sein Leben und Lieben. Vielleicht würde die Berichterstattung von neuen Erkenntnissen profitieren. Relativ schnell merkten wir, dass es die Biografie nicht nur eines Schreibers sein würde, sondern eines Lesers. Bei einem – 1944 geboren, 1987 gestorben –, der sich so sehr an der BRD rieb, entwickelte sich unser Buch zu einem Biogramm über ein Leben in den Schatten, die von Literaturbetrieb und -wissenschaft kaum beachtet wurden.

Wochen später, als sie uns in Frankfurt empfing, konnte die 88-jährige Maria Fauser über unser Vorhaben nur urgroßmütterlich lächeln: Viele hatten sich für ihn begeistert und sie bereits ausgehorcht, aber ja, Gerechtigkeit … ob es die gibt? Sie hatte schon viel gehört, wahrscheinlich auch oft gehofft.

Wir blieben am Ball, staunten, wie viele Menschen er kannte, wie oft seine Einschätzungen treffsicher waren, einige auch daneben, klar; und so erarbeiteten wir uns das Bild von einem, der zwar oft der Action sehr nahe war, zugleich aber immer mehr als Zeuge denn Agitator. Heftig und voller Energie machte er sich vor allem über die Schreibmaschine her. Das war sein Leben: Lesen und Schreiben. Vielen Zeitzeugen blieb er als Person eher diffus in Erinnerung, in Nadelstreifen, wo andere mit Batik-Shirts aus Indien rumliefen, ein für Udo Breger „hauchdünnes Männchen, ein unsichtbarer Mensch“. Aurel Schmidt von der Basler Zeitung, der Fauser quasi an der Schnittstelle zwischen Szene und Professionalisierung begleitete: „Er war ständig unter Hochdruck, so wie auch Chester Himes und Bukowski. Er hat damals seine ganze Energie in die Tasten gehauen. Vielleicht hat er auch daher seine Kreativität bezogen.“

Rock Session-Herausgeber Klaus Humann: „Er war aber auch, das mein bleibender Eindruck, ein merkwürdiger Typ, aus dessen Texten man überhaupt keine Rückschlüsse auf die Person machen konnte. Auch die ganzen Klamotten und der Habitus waren ja wie von einem mittleren Finanzberater – ganz als wolle er sich schützen … mit dieser wahnsinnigen Spießigkeit um sich herum. Sehr verblüffend.“
Am treffendsten über den Menschen war vermutlich das, was Jörg Fauser 1984 im Bayerischen Fernsehen Rudolf von Bitter sagte: „Man stiehlt vom Leben was und setzt das um, und das ist dann, wenn’s gut wird, etwas Eigenes, etwas Neues, etwas Frisches. Aber der Schriftsteller ist eine Art Tourist im Leben.“

„Die längsten Reisen fangen an, wenn es auf den Straßen dunkel wird.“ (8)

Zur selben Zeit, im Frühjahr 2003, als wir forschten und staunten (auch über die nicht totzukriegenden Zitate, alle leicht zu googeln, zum „Partyservice“, „Agentur für Sprache und Zweifel“, „Keine Stipendien, keine Preise“, „Ich bin Geschäftsmann“, „Bücher in den Supermarkt“…), bemühte sich Gabriele Fauser (die er 1985 geheiratet hatte) um eine Neuauflage seines Werkes. Mancher Verlag wollte nur die Romane, für andere galt er als abgehakt, nicht mehr erhältlich, begraben und … ja: vergessen.

Schließlich machte sich der Alexander Verlag ans Werk, die Resonanz war riesig, es kamen TV-Berichte, Theaterinszenierungen, Audio-Books, in Frankfurt eine Fauser-Woche, auch unveröffentlichte Texte kamen ans Tageslicht, die Rezeption erhielt eine neue Qualität (tatsächlich: die Berichterstatter hatten von unserer Biografie profitiert, hatten sie aufmerksam gelesen) … und fünf Jahre später erscheinen – diesen Sommer – alle neun Bände als Taschenbuch. Bei Diogenes. Fauser im Bahnhofsbuchhandel.

Maria Fauser erfuhr noch mit über neunzig davon, doch sie hatte schon viel gehört, und für Hoffnungen bleibt nicht mehr wirklich viel Energie in dem Alter und wenn einem alle wichtigen Männer zu Lebzeiten weggestorben sind. Als die „Programm-Vorschau Frühjahr/Sommer 2009“ von Diogenes erschien, tatsächlich: auf sechs Seiten zu bestaunen eine Kassette mit allem Pipapo – Fauser!, Rücken an Rücken mit Ambler und Chandler, Orwell und Faulkner! –, haben das Maria Fauser und Gabriele Fauser nicht mehr miterlebt.

Aber ja. Schon klar. Vielleicht war diese ganze Rebellenpose blöd. Zum Vergessen. Überhaupt: Vielleicht sollten Rebellen nicht wissen, was sie tun und im Rausch, rasend oder rätselhaft einfach nur sterben. James Dean machte es vor, Fauser starb im Morgenrot nach seinem 43. Geburtstag auf der A94 vor München. Nicht in einem Porsche, sondern unter einem LKW. Er war auf der Autobahn zu Fuß unterwegs. Der Dichter unter den Romanciers, der Schriftsteller unter den Journalisten.

Also, Mythos und Verklärung und so? Der ewige Rebell? Wäre er nicht gestorben, dann wäre er vergessen – wie es sich für pubertäre Aufsätzige eben so gehört? Marlon Brando, über den Fauser die Biografie Der versilberte Rebell schrieb, starb zur selben Zeit, als vor fünf Jahren das Fauser-Revival begann. Er wurde achtzig. Er hat bewiesen, dass man rebellisch und schwierig bleiben kann, dass man auch Fehler machen und gelegentlich peinlich sein kann – auf der Suche nach dem Schatten. Überzeugende Argumente, warum Fauser etwas in der Art nicht hätte gelingen sollen, habe ich bis heute nicht gehört.

(1)„Der Strand der Städte“, 1978, in Der Strand der Städte, Band 8 der Edition des Alexander Verlags. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. 1600 Seiten. 49,90 Euro.
(2)„Requiem für einen Goldfisch“, 1976, in Alles wird gut, Band 5 der Edition des Alexander Verlags. Gesammelte Erzählungen Band I. 440 Seiten. 24,90 Euro.
(3)„Trotzki, Goethe und das Glück“, 1974, in Trotzki, Goethe und das Glück, Band 4 der Edition des Alexander Verlags. Gesammelte Gedichte und Songtexte. 408 Seiten. 24,90 Euro.
(4)Der Schneemann, 1981, Band 3 der Edition des Alexander Verlags. Roman. 264 Seiten. 19,90 Euro.
(5)Zwischen Fakten und Fiktion: Jörg Fausers Weg von der Beat-Literatur zum Kriminalroman – ein Beispiel postmodernen Schreibens von Nils Aschenbeck, Bremen, 1991, und o­n the trail of the nomad in the work of Jörg Fauser von Jonathan Woolley, Lancaster, 1998.
(6)Fauser im Interview mit Ralf Firle 1985, in Der Strand der Städte, Band 8 der Edition des Alexander Verlags.
(7)„Die Messer der Leiden“, 1982, in Der Strand der Städte, Band 8 der Edition des Alexander Verlags.
(8)Kant“, 1986, in Mann und Maus, Band 6 der Edition des Alexander Verlags. Gesammelte Erzählungen Band II. 520 Seiten. 24,90 Euro.

Matthias Penzel

Fauser, Jörg: Fauser. Werkausgabe in neun Bänden.
Diogenes Verlag August 2009. Taschenbuch. 3216 Seiten. 79,00 Euro.

Fotos: ,,Archiv Gabriele Fauser“ – sehr herzlichen Dank für die Abdruckgenehmigung!

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