Mit luftigen Grüßen
– Porträt und Glückwunsch zum zehnjährigen Jubiläum des Luftschacht Verlags. Von Senta Wagner.
Kein Luftschacht weit und breit im Luftschacht Verlag. Es gebe schon einen, der sei zu Hause, in Oberösterreich, sagt Verleger Stefan Buchberger. Das war die Zeit, als man noch Rockstar werden wollte. „Ein Luftschacht verband Proberaum und Außenwelt. Er versorgte die Künstler mit Sauerstoff, zugleich wurden von ihm die Klänge und Texte, die im Inneren entstanden, nach außen gelassen, veröffentlicht“, heißt es auf der Verlagshomepage – so viel zur Namensgebung. In den Neunzigern gab es erste Text/Musik-Inszenierungen mit Autoren in Bars und Kneipen. Aktuell ist die Idee vom Luftschacht als produktivem Austauscher, auch ebenerdig, heute noch.
Geleitet wird der 2001 von Stefan Buchberger und Gabriel Vollmann gegründete Luftschacht Verlag vom Ersten und dem Schriftsteller Jürgen Lagger, der ebenfalls von Anfang an dabei war, aber erst 2004 Gesellschafter wurde. Seit 2007 ist man wieder zu zweit. Es funktioniert: Gemeinsam werden Programm und Lektorat bestritten, die Herstellungsarbeit macht hauptsächlich Jürgen Lagger. Wer der Utopist und wer der kühle Rechner ist, löst sich im ganzen Miteinander auf, wahrscheinlich in Luft. Nicht immer sei man sich freilich bei einem Titel einig, jeder setze aber sein Projekt durch.
Zehn oder zwölf
Der im 2. Wiener Gemeindebezirk beheimatete Luftschacht Verlag wird in diesem Jahr zehn, tatsächlich schon zwölf Jahre alt, und nach wie vor ist man leidenschaftlich bei der Sache, nur vielleicht nicht mehr mit der Attitüde eines Rockstars. In Verlagsjahren gemessen ein junges Alter. Seit mindestens fünf Jahren ist er rundum professionalisiert. Für einen kleinen, unabhängigen Verlag sei die seriöse, konstante und unkorrumpierbare Verlagsarbeit von größter Wichtigkeit. Manch einer macht nie ein Aufheben um seinen Geburtstag, allenfalls die anderen. Auch Buchberger tut unaufgeregt, findet das Jahrzehnt aber nach einer Weile, während der ich mich auf meinem roten Drehstühlchen hin und her drehe, bemerkenswert.
Viele Verlage würden nicht einmal zehn oder zwölf. Einige Jubiläumsinitiativen sind am Laufen und in Planung, für viel mehr sei nebenher einfach keine Zeit. Verlagsarbeit bedeute ein Frühjahrs- und ein Herbstprogramm auf die Beine zu stellen, und genau das mache man seit zehn Jahren. Eigentlich sei das Umfeld das schönste am Beruf, sagt Buchberger, die Kontakte mit den Autoren, dem Publikum. Aufmerksamkeit bei der Leserschaft (keiner bestimmten), beim Buchhandel und in den Medien habe man längst erreicht, kämpfen müsse man immer darum.
Souverän setzt der Verlag daher auf eine programmatische Mischung, die so in der Branche kaum anzutreffen ist. Die Gestaltung der Bücher ist sorgsam, aber man mache keine große Wissenschaft daraus. Vor etwa fünf Jahren noch seien alle uniform weiß gewesen, seitdem überwiegend nicht mehr, da die Buchhändler fürchteten, sie könnten schmutzig werden.
Belletristik
Im Frühjahr 2003 kamen die ersten drei Frühjahrstitel auf den Markt, daher die zehn Jahre. Wohl oder übel sei man mit denen höchstpersönlich von Buchhandlung zu Buchhandlung getingelt. Heute unvorstellbar, wo die Auslieferung in Deutschland, überhaupt dort der größte Markt ist und es Vertreter gibt. Wer ohne verlegerische Herkunft, aber mit viel Herzblut daherkommt, muss in dem Beruf viel lernen.
In der Belletristik konnte der Verlag Autoren aus Österreich gewinnen, die heute noch zu ihm gehören, wie etwa Johannes Weinberger. Auch die Wiener Schriftsteller Manfred Rumpl, Stephan Alfare und Hanno Millesi zählen inzwischen zu den fixen Autoren. Abwanderungen und Verluste gehören ebenfalls zum Geschäft. Die Sparte umfasst allgemein deutschsprachige Gegenwartsliteratur, keine Genreliteratur, auch Übersetzungen etwa aus dem Norwegischen; Druckauflage glatte tausend Stück pro Titel. In diesem Frühjahr gibt es vier Neuerscheinungen, darunter eine Übersetzung und zwei Debüts. Der Geschmack der beiden Verleger entscheide für ein Buchprojekt, eben was gefalle. Sie würden die Titel entsprechend ihrem „Sendungsbewusstsein“ vertreten. Eine literarische Relevanz für die Gegenwart und ein künstlerischer Anspruch sind zu erkennen. Manuskripteinsendungen gebe es so ca. fünfzig, sechzig jeden Monat. Buchberger ist sich sicher, würden sie die Bücher nicht verlegen, täte dies ein anderer Verlag. Und zum Literaturverlag Droschl oder dem Hanser Verlag passten sie ebenso. Schließlich suchten auch nur die wenigsten Käufer/Leser ihre Bücher nach dem Verlag aus. Das Diktum, dass die Welt eine bessere ist, seit es Luftschacht gibt, ist laut Buchberger daher auch ironisch zu verstehen. Die Verlage lösten einander ab, in einer bestimmten Zeit die richtigen Akzente zu setzen. Dahinter mag Zufall und Glück, weniger Kalkül stecken.
Nur Geld verdiene man mit der Belletristik nicht, bekennt Buchberger, was aber nichts Neues in dem Segment ist, vor allem wenn man nicht mit stromlinienförmigen Titeln den Markt bedient oder Bestseller landet. Dank der hiesigen Verlagsförderung gibt es eine reiche und vielfältige Literaturproduktion vieler nennenswerter Independentverlage.
Graphic Novels
Im Jahr 2007 kam eine weitere Schiene hinzu, es muss überfällig gewesen sein. Graphic Novels waren damals in aller Munde, und in Deutschland gab es bereits seit Jahren Comicverlage wie Schreiber und Leser, Reprodukt und natürlich Carlsen, hierzulande keinen einzigen. Ein Literaturverlag setzt mutig auf Comics – natürlich in ihrer anspruchsvollen grafisch-literarischen Buchform. Der Stoßrichtung ging eine Begegnung mit Sebastian Broskwa und seinem Vertrieb Pictopia voraus. Mit „Perpetuum“ erschien 2008 die erste umfassende Anthologie der gegenwärtigen österreichischen Comicszene. Das ließ aufhorchen. In den Buchhandlungen wurden Ecken für Graphic Novels freigeräumt. Die spaßfreiere und edlere Umbenennung eines Comics für Erwachsene in Graphic Novel leistete seinen Teil zur Rezeption. Luftschacht veröffentlicht seither einen Titel pro Halbjahr, ebenfalls in Tausenderauflage. Soeben ist „Chamäleon“ erschienen, das „furiose, weitgehend autobiografische“ Debüt des in Berlin lebenden Zeichners Gerald Hartwig, in dem es um das Leben der eigenen Träume geht.
Kinderbücher
Wo es Bebilderungen gibt, sind Illustrationen nicht weit. Seit 2009 gehören zum Verlagsprogramm Kinderbücher zum Vorlesen und für das erste Lesealter, genau genommen, kleine Kunstwerke für Klein und Groß. Die fantasievoll gestalteten Werke, die mit jeder Seite Welten voller Zauber, Unfug und Frohsinn entfalten, scheinen sich luftig über einen satten Zeitgeschmack hinwegzusetzen. Dazu gehören etwa die „wortakrobatischen“ und poetischen Geschichten des bekannten Schriftstellers Michael Stavarič. Und auch hier machte sich der Luftschacht Verlag schnell einen Namen, die Titel erscheinen inzwischen in einer Auflage von 1500 Exemplaren. Sie tauchen in Bestenlisten auf, sind regelmäßig bei den Schönsten Büchern Österreichs nominiert und gewinnen Preise.
Eine Klammer um das Thema Text-Bild setzt die kleine Verlagsreihe Architektur & Bild, in der aktuell etwa zwölf Titel zu finden sind und die sich zu einem Teil aus einer Kooperation mit der Technischen Universität Wien nährt.
Der Wagelustmut des kleinen Verlags ist heutzutage, wo ein ganzes Medium wankt, sehr lobenswert. Wo es mit Luftschacht in den nächsten Jahren hingehen wird, E-Books hin oder her, kann Buchberger nicht sagen. Seit zehn Jahren könnten sie nicht von ihrer Arbeit leben, warum also in den nächsten? Da niemand genau weiß, wo es hingeht, liest man Bücher am besten solange weiter, bis was passiert. Auch und besonders die Bücher vom Luftschacht Verlag.
Senta Wagner
Zur Verlagshomepage und den Neuerscheinungen: luftschacht.com. Fotos: Senta Wagner