Zu den wunderbaren Dingen rund ums Thema Fußball gehört auch die Tatsache, dass man so viel dabei lernen kann. Skeptiker, von denen es eine nicht unerhebliche Anzahl gibt – die sich in der Regel allerdings dadurch auszeichnen, noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen zu haben und bezüglich dessen Besuchern grundsätzlich und ausschließlich vom Hörensagen sprechen – denken dabei an Dinge wie: In welchem Winkel muss ich mein Feuerzeug werfen, um den gegnerischen Torwart zu treffen? Wann lasse ich meine Bengalofackel fallen, um mir daran nicht die Finger zu verbrennen? Wie viel Bier kann ich trinken, ohne bei der Rückfahrt in den Bus zu kotzen? Tatsächlich geht es aber um völlig andere Dinge, wie uns Mara Braun in ihrer wöchentlichen Bundesliga-Kolumne zeigt. Der einzige Ort, an dem Sie bereits vor dem Anpfiff erfahren, wie die Spiele ausgegangen sind.
Hinter der Linie, vor dem 18. Spieltag
Eine Kolumne von Mara Braun.
Der Fußballfan an sich ist ein Wesen voller Widersprüche. Bei näherer Betrachtung vermag das auch kaum zu verwundern, immerhin geht es im Stadion um Emotionen – die sind eben selten rational. Zu diesen Widersprüchen gehört, dass Menschen, die noch Mitte Dezember häufig mit dem Satz „Zum Glück ist bald Winterpause“ auf die neuen Ergebnisse der Liga reagierten, bereits am 2. Weihnachtsfeiertag derart von Entzugserscheinungen geplagt sind, dass ihre einzige Chance zur Linderung darin besteht, sich die Spiele der englischen Clubs anzuschauen. Statt einer Winterpause wird auf der Insel im Dezember nämlich beinahe rund um die Uhr gekickt, wobei besagter 26. Dezember unter dem Namen „Boxing Day“ gar alle Teams aufs Feld bringt – Balsam für die sich nach Fußball verzehrende Seele.
Überhaupt kann man als hiesiger Anhänger des Ballsports von Glück sagen, dass zumindest die meisten ausländischen Ligen sich eine deutliche kürzere Weihnachtspause gönnen, denn wer sich für mehr als einen verzweifelten Entzugsabend von der alljährlichen Ligarückschau auf Sport1 berieseln lässt, läuft Gefahr, schwere Langzeitschäden davonzutragen. Neben den Ligen in England, Spanien & Co. gibt es für den rastlosen Fußballfan in der Winterpause ein weiteres Thema, mit dem er die Leere zwischen den Spieltagen füllen kann – immerhin steht nämlich das Transferfenster sperrangelweit offen: Wer rausschaut, hofft, einen Heilsbringer für den eigenen Verein zu sehen, oder zumindest eine gute Verstärkung. Dabei rückt neben dem Werkeln des eigenen Vereins auch das Tagesgeschäft anderer Clubs in den Fokus, da Transfers in Abhängigkeit voneinander stehen. Als Mainzer war man deswegen ungewohnt interessiert am Zustandekommen des De Bruyne-Wechsels nach Wolfsburg, ohne den Ja-Cheol Koo wiederum keine Freigabe für eine Zukunft bei den 05ern erhalten hätte.
Der Schwule, die Kurve und der Rest der Gesellschaft
Und dann war da noch… das Outing von Thomas Hitzlsperger. Kreisch, werden manche bei diesem Thema denken und reflexartig Sachen sagen wie: „Das wurde von den Medien ja viel zu hoch gehängt“ und: „Es ist doch Privatsache, wer mit wem…“ oder: „Es ist ja wohl völlig normal, wenn ein Mann einen Mann liebt.“ Nicht ganz, Unsinn und ja aber, kann ich dazu nur sagen. Ja, es ist natürlich völlig normal, wenn ein Mann einen Mann liebt (oder eine Frau eine Frau), aber leider ist diese Tatsache längst noch nicht in allen Bereichen unserer Gesellschaft angekommen. Deshalb ist es Unsinn zu behaupten, das Ganze sei lediglich Privatsache, denn es geht dabei um viel mehr als die Frage, wer mit wem schläft, es geht darum, wer sein Leben mit wem teilt, und dieses Leben findet unter anderem bei Fußballpromis eben sehr wohl auch in der Öffentlichkeit statt.
Und es ist insofern nicht ganz richtig den Medien vorzuwerfen, sie hätten sich zu sehr auf das Thema gestürzt, denn es ist wichtig, hier weiter für mehr Toleranz zu sorgen, um Normalität tatsächlich zu schaffen – damit es eines Tages wirklich schöne Normalität ist, wenn Fußballer sich outen. Oder aber jeder andere Mensch, denn der Reflex, bei dem Thema so zu tun, als sei es rein das Problem der Kurven – dem homophoben Moloch in einer ansonsten vollkommen toleranten Gesellschaft – war leider auch reichlich lächerlich.
It’s gonna be a very good year
Jetzt aber geht es endlich wieder da weiter mit dem Thema Fußball, wo der hin gehört – auf dem Platz. Das Transferfenster bleibt zwar noch bis zum Monatsende geöffnet und wird so sicher noch den einen oder anderen Herzhüpfer oder -stillstand verursachen, die Winterpause aber ist vorbei, es darf endlich wieder gekickt werden. Wie das am ersten Spieltag der frisch angebrochenen Rückrunde ausgeht, ist völlig klar, ich sage nur: Favoritensterben. So verliert der FC Bayern (natürlich!) den Auftakt in Gladbach mit 0:1, Schuld ist (wie immer) Manuel Neuer. Wer jetzt erwartet, Augsburg werde gegen Dortmund gewinnen, der sieht sich leider enttäuscht: Gemessen an der Form vor der Winterpause geht Dortmund als Underdog in das Duell, das die Borussen mit 3:2 gewinnen.
Der VfB Stuttgart hat sich via Kapitänsinterview kürzlich verbal klar als Mannschaft positioniert, die gefälligst vor einem Team wie Mainz zu stehen habe (bitte jetzt trotzig mit dem Fuß aufstampfen); die Schwaben verlieren ihr Spiel gegen die 05er folgerichtig mit 2:4. Im Niedersachsenderby liegt die Aufmerksamkeit auf zwei Neuzugängen, als da wären der belgische Mittelfeldmann im Wolfsburger Trikot und der türkische Trainer auf der Bank der 96er. Das Spiel indes verdient kaum Aufmerksamkeit und endet 0:0 – ein Ergebnis, das sich der Kick mit der Begegnung zwischen Nürnberg und Hoffenheim teilt; wo keine Favoriten, da kein Sterben, aber auch keine Tore.
Die gibt es dafür reichlich in Freiburg und Frankfurt. Während Leverkusen im Breisgau mit einer imposanten Vizekusen-Choreographie empfangen wird, von der die Spieler sich derart aus dem Konzept bringen lassen, dass sie auf dem Platz mit 2:4 untergehen, zeigt die Hertha erneut, dass sie das Potential hat, auf Jahre Angstgegner der Frankfurter Eintracht zu sein – das Spiel endet 5:0 für das Team aus der Hauptstadt. Bremen verliert in Braunschweig nicht nur mit 0:3 sondern auf dem Nachhauseweg auch Trainer Robin Dutt; der plädiert daraufhin via BILD-Zeitung dafür, beim DFB eine Stelle zur terminlichen Koordination sich outender Fußballprofis zu installieren und bringt sich selbst als Besetzung ins Spiel.
In Hamburg läuft derweil Lewis-der-heimgekommene-Sohn-Holtby für die Schalker auf, ein Überraschungscoup von Horst Heldt, der Holtby bei einer Spontankonferenz im Spielertunnel nur wenige Minuten vor Anpfiff aus dem Hut zaubert. Der glückliche Rückkehrer macht denn auch direkt drei Buden – ebenso oft trifft der wieder genesene Pierre-Michel Lasogga für den HSV; somit wiederholen die Teams ihr Ergebnis der Hinrunde. Ob das allerdings Jens Keller den Job auf Dauer rettet, darf berechtigterweise bezweifelt werden…
Mara Braun
Gladbach – Bayern 1:0
Dortmund – Augsburg 3:2
Stuttgart – Mainz 2:4
Wolfsburg – Hannover 0:0
Nürnberg – Hoffenheim 0:0
Freiburg – Leverkusen 4:2
Frankfurt – Hertha 0:5
Bremen – Braunschweig 0:3
Hamburg – Schalke 3:3
Mara Braun, geboren 1978 in Heidelberg, aufgewachsen im hessischen Odenwald mit einem Abstecher nach Mississippi, seit 1998 in Mainz am Rhein. Studium der Filmwissenschaft & Publizistik. Journalistin, Autorin, Fußballbegeisterte, Bücherwurm, Überzeugungstäterin. Im September 2013 erschien „111 Gründe, Mainz 05 zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf). Mara Braun bei Facebook, bei Twitter, im Blog.