Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Glosse: Wolfram Schütte über Angelina Jolie und Claus Koch

Angelina_Jolie_by_Gage_Skidmore_2Wo ist der „Neue Phosphoros“?

Angelina Jolies „Busen-Opfer“ könnte Start einer öffentlichen Biopolitik-Debatte sein. Ein Zwischenruf von Wolfram Schütte.

„Angelina Jolies vorsorgliche Amputation ihrer Brüste – aus Angst, sie könnte aufgrund eines genetisch festgestellten Risikos einmal Brustkrebs bekommen – ist das Fanal einer radikalen Wendung im öffentlichen Bewusstsein von der menschlichen Intimität. Die amerikanische Schauspielerin, deren ästhetische Erscheinung zu ihrem größten (Berufs-) Kapital gehört, hat mit ihrem Weg in die Öffentlichkeit ebenso wie mit der radikalen Prophylaxe, der ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zum Opfer fielen, chocartig die Diskussion über die jüngste Dialektik der Aufklärung eröffnet.

Diese Möglichkeit zeichnete sich schon am Horizont der Gegenwart ab, als die wissenschaftlichen Erfolge der Genforschung und die breite Palette von Erkenntnismöglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik bekannt wurden. Aber in die öffentliche Diskussion über deren Folgen für das Individuum & die Gesellschaft, für die Biotechnik am menschlichen Körper & die Herausforderungen an Moral & Ethik drang diese unabweisbare Dialektik fortschreitender & folgenreicher biologischer (Selbst-)Aufklärung nicht vor. (Wohl aus Angst vor deren moralischen Folgen?)

Einzig der 2010 in Berlin gestorbene Essayist Claus Koch, der bereits mit seiner 1994 erschienenen „Streitschrift zur Biotechnik und Biomoral“ unter dem Titel „Ende der Natürlichkeit“ sich kritisch zu Wort gemeldet hatte, hat seither die Konsequenzen oder (je nachdem) „Kollateralschäden“ der biowissenschaftlichen Entwicklungen verfolgt.

Nachdem er seine wöchentliche Kolumne in der SZ zur Jahrtausendwende verloren hatte, äußerte er sich nur noch im Internet. Seit 2003 hatte er dort einen eigenen Blog eingerichtet. Sein „Neuer Phosphoros“ war eine Art „Fackel“ – nur dass Koch sich darin glossierend nicht nur zu Politik & Kultur kritisch äußerte, sondern sich vornehmlich in den monatlichen Lieferungen vor allem zu ethischen Fragen äußerte, die mit Biopolitik, -wissenschaft & -medizin sich einstellten.

Ihn beschäftigten ethisch-moralische Fragen wie: Welche Folgen für unser Selbstverständnis hat unser erweitertes Wissen über unsere biologische Verfasstheit? Was ergeben sich für moralische Fragen aus der Möglichkeit, Kinder nach eigenem Design in die Welt zu setzen: sowohl für deren Eltern als auch für deren „programmierte“ Kinder?

In zahlreichen Glossen, Überlegungen, Spekulationen & Fallbeispielen schritt der offenbar linkskatholische Philosoph das durch die Genforschung etc. neu eröffnete persönliche & öffentliche, individuelle & kollektive, private & gesellschaftliche Lebensgelände ab, auf dem jetzt die öffentliche Bekanntmachung ihrer Busenabstraktion Angelina Jolie die öffentliche Diskussion über diese & andere Folgen der biopolitischen Entwicklungen eröffnet hat.

Vergeblich habe ich mehrfach versucht, Kollegen der Printpresse auf den einsamen Vorausdenker Claus Koch hinzuweisen, damit das Licht des „Neuen Phosphoros“ nicht in den unendlichen Weiten des Internet verglimmt & nur von einer winzigen happy few wahrgenommen werde, statt in einer der großen deutschen Tages- oder Wochenzeitungen hell & vor allem voraus zu leuchten. Aber so oft ich die Angel mit dem inständigen Hinweis auf den einzigartigen Koch & seine „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ (wie der Untertitel von TWAs „Minima Moralia“ lautete) auch auswarf: keiner hat je angebissen.

Und der brillante Essayist Claus Koch, den ich persönlich nicht kannte, fand im Laufe der Jahre, die er als solitärer Rufer in der Wüste des Alltags verbrachte, immer weniger Kraft oder Lust, gegen die phantasielose intellektuelle Gegenwart anzuschreiben. Am Ende führte er seinem Internet-Leuchtfeuer nur noch tröpfchenweise seinen geistigen Phosphor zu. Mit seinem Tod ist der herausragende Platz, den er einnahm und das geistig-moralische Feld verwaist, das er so lange & unermüdlich allein beackert hatte. Jetzt ist „Der neue Phosphoros“ vollständig zum Erlöschen gekommen & sogar aus dem Internet verschwunden, als habe es ihn nie gegeben – wie ich eben auf der Suche nach ihm mit Schrecken festgestellt habe.

Kochs resignatives Verlöschen war noch begleitet von seiner Ankündigung & der Aussicht, der Autor feuere deshalb nicht nach, weil er ein Buch vorbereite, das seine ganze Arbeitskraft verlange. Aber ein Buch von Claus Koch ist nicht mehr erschienen, auch posthum nicht. Nun, wo wir seine Intelligenz, prognostische Phantasie & Moralität brauchten, weil ihm die Realität nachgewachsen ist, die er doch schon gedanklich & essayistisch vorweg beschrieben & durchdacht hatte, fehlt er wie niemand sonst. Seine Abwesenheit fiel mir als Erstes ein, als ich von dem Angstopfer Angelina Jolies hörte.

Weiß jemand, wo das Internet-Œu­v­re Claus Kochs ist, so dass man seinen „Neuen Phosphoros“ aufs Neue entzünden könnte?

Wolfram Schütte

Foto: Gage Skidmore, Creative Commons, Quelle.

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