Von Penis- und Vaginalsekreten
–Ich liebe Charlotte Roche. Ich zehre mich nach Charlotte Roche.
Ich will Charlotte Roches Vaginalschleim in meinen Kaffee rühren, ich will Charlotte Roches Schamlippen mit Glitzerstift anmalen und deren Abdruck in meinem Poesiealbum festhalten, ich will Charlotte Roches After in Granit meißeln und auf meinem Schreibtisch als Kugelschreiberhalterung benutzen. So sehr liebe ich Charlotte Roche.
Andererseits liebe ich auch Nicholson Baker.
Ich will Nicholson Bakers Penis in Blei gießen und als Türstopper verwenden. Ich will Nicholson Bakers Schamhaare rasieren und mein Kopfkissen damit ausstopfen und Nicholson Bakers Pobacken als Heißluftballon nachbilden, damit um die Welt fliegen und jeden Puff unterwegs einen Besuch abstatten.
Sie sehen mein Problem?
Gestehe ich ihnen beiden meine Liebe, erlaubt ihnen ihr Autorenstolz niemals, dass ich neben ihr Nicholson Baker erobere bzw. neben ihm Charlotte Roche besitze, und am Ende lässt mich keiner von ihnen ran. Ich muss mich entscheiden. Doch wie?
Sicher, alle beide haben in der letzten Woche mit viel Tamtam auf ihrer jeweiligen Seite des Atlantiks einen großen Pornoroman herausgebracht – vielleicht der größte Pornowurf ihrer jeweiligen Sprache schlechthin.
Obwohl Nicholson Baker, ganz der Amerikaner, witziger ist und Charlotte Roche, ganz der traditionelle deutsche Feingeist, mehr Bauchnabelschau betreibt, sind beide Werke sprachlich vergleichbar: Voller Sex, voller sexueller Details, voller Bilder, Gerüche und Geräusche, die einem erprobten Rammler die langen Ohren rot werden lassen würden.
Nicholson Baker benutzt nicht nur alle möglichen bekannten Worte für bekannte Geschlechtsmerkmale, er erfindet welche dazu: allein für „Penis“ hat er in einem Buch „Donnerrohr“, „Samenrute“ und sogar „Malcolm Gladwell“ (der Name eines bekannten Bestsellerautors) eingeführt. Charlotte Roche ist vielleicht weniger erfinderisch, aber auch sie liebt die Sprache – seitdem sie Pornos schreibt, sind verbotene Fetischbegriffe wie „Loch“, „Rasur“ und „Hygiene“ auch in den respektierten Feuilletons nicht mehr tabu.
Charlotte Roche schreibt, wie sie moderiert: Mit einem verschmitzten Lächeln. Nicholson Baker schreibt, wie er aussieht: behäbig, aber gemütlich.
Und beide haben der Gesellschaft eine großen Dienst vollbracht: Sie haben Pornos salonfähig gemacht: Nicholson Baker mit Leichtigkeit, Charlotte Roche mit Ach und Krach.
Es wurde Zeit. Wir leben ja in dem Zeitalter des Pornos. Irgendwann hätte der Porno eh seinen Weg in die hohe Literatur gefunden. Es ist besser, dass die heutige Schreibergeneration ihm den Weg bahnt, als dass es die nächste Generation macht, die gerade heute mit Pornos zugeschüttet aufwächst. Auf welche Art und Weise diese Kids in 10 oder 20 Jahren Pornos in die Hochkultur transportieren werden, will ich gar nicht wissen.
Doch Roche und Baker scheinen nur ähnlich zu sein. In Wahrheit sind sie so verschieden wie Penis- und Vaginalsekrete. Denn es ist keine Frage, welcher der beiden den besseren Porno geschrieben hat, sondern: An wessen Seite stehe ich grundsätzlich – auf der Seite der Sieger oder auf der Seite der Loser? Denn obwohl Charlotte Roche mehr Geld als Nicholson Baker verdienen wird, gehört sie dennoch zu den Verlierern des Literaturbetriebs.
Nicholson Baker ist längst von der hohen Literaturkritik anerkannt. Er ist Minimalist, hat mal ein Roman über das Verbrennen einer Streichholzschachtel geschrieben, und was er schreibt, ist Literatur. Deswegen hatte The New York Times keine Bedenken, seinen neuen Pornoroman „The House of Holes“, auf die Vorderseite ihrer Book Review zu bringen. Von der New York Times ernstgenommen zu werden, bedeutet für einen Pornoautor viel, aber für Nicholson Baker war es nie eine Frage, ob er ernstgenommen werden würde oder nicht, auch wenn vor seinem „House of Holes“ ein Pornoroman noch nie auf der ersten Seite der New York Times Book Review erschienen ist. Er ist so respektiert, dass er für The New Yorker sogar
Videospiele zu Kunstwerken erheben durfte. Wenn man unbedingt Pornoautor sein will, dann in Amerika.
Charlotte Roche schreibt aber nun mal auf Deutsch und muss sich mit dem deutschen Literaturbetrieb abgeben. Das war ihr erster Fehler. Ihr zweiter Fehler war: TV-Star. Ihr dritter: hübsch ist sie auch noch. Ihr vierter: Ihr erstes Buch „Feuchtgebiete“ war eines der erfolgreichsten deutschen Bücher aller Zeiten.
Da stand das biedere deutsche Feuilletonwesen geradezu in der Pflicht, sie beim ersten Buch so klein zu machen wie möglich. Literaturkritiker können den ganzen Tag lang von ihrer sexuellen Offenheit und Aufgeklärtheit und dem Überwinden von Tabus reden, wenn sie so was sehen wie das Wort „Loch“ in einem Roman, bibern sie geradezu vor Angst.
Nun ist es ein Jahr später und meine Charlotte hat einen zweiten Megabestsellerporno auf dem Markt, „Schoßgebete“, und man kann in den Feuilletons den Angstschweiß förmlich riechen. Diesmal ist es nicht nur Angst vor dem Tabu in einer tabulosen Gesellschaft, sondern davor, sich als Literaturkritiker öffentlich als biederer, repressiver Zwangscharakter zu outen. Also kommt Roche diesmal auf alle Titelseiten, als Beweis, dass diese und keine Zeitung niemals ein Buch nur deswegen niedermacht, weil die Autorin populär ist. Dennoch kann man ruhig von hinten durch die Brust ins Auge den Leser wissen lassen, dass diese und jene Zeitung auf jeden Fall über sowas Schmuddeligem steht.
Ja, sie ist ein Underdog. Und ich mag Underdogs.
Und es gibt noch einen Grund, warum ich doch nun zu Charlotte Roche neigen muss, als zu Nicholson Baker. Sie ist hübscher. Nicht nur hübscher als Nicholson Baker – das übersehe ich gern, denn er hat Humor. Nein, sie ist hübscher als die ganzen Feuilletonisten, die sich nur widerwillig mit ihr die Hände schmutzig machen. Ohne Charlotte Roche müsste ich Matthias Matusseks Penis in Blei gießen und als Türstopper benutzen, Frank Schirrmachers Schamhaare rasieren und meine Kopfkissen damit stopfen, mich abends in Kissen in die genaue Form von Iris Raddischs Pobacken betten und Alice Schwarzers Vaginalschleim in meinen Kaffee rühren. Davor soll mich Charlotte Roche bitte, bitte bewahren.
Eric T. Hansen
Der Amerikaner, Hawaiianer und Wahlberliner Eric T. Hansen lebt seit 25 Jahren in Deutschland und schreibt Bücher über die seltsamen Menschen, die er dort vorfindet, zuletzt „Nörgeln! Des Deutschen größte Lust”. Mehr Info auf der Homepage von Eric T. Hansen. (Foto: Ralf Ilgenfritz)