Geschrieben am 6. November 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Einwurf: Häuserruinen in unseren Klein- & Provinzstädten

culturmag_logo_quadratLücken-Büßer

– Spekulationen über ein drängendes architektonisches Problem in unseren Klein- & Provinzstädten. Von Wolfram Schütte.

Zuerst war es uns eher zufällig vor ein paar Jahren in der französischen Provinz aufgefallen. Beim abendlichen Spaziergang in einem Städtchen des Burgunds, sahen wir in manchen Gassen & Straßen immer wieder leer stehende Geschäftsräume, wo früher ein Schuster, ein Friseur oder ein Fotogeschäft situiert war (wie man an den teilweise noch erhaltenen Geschäftsnamen sehen konnte). Später, aufmerksamer geworden, sahen wir das gleiche Phänomen in deutschen Ortschaften der Provinz.

Auch kamen in letzter Zeit sowohl in der französischen als auch in der deutschen Provinz Privat-Wohnhäuser dazu, deren Eingänge & Fenster hässlich mit Holz oder Plastik-Paneelen oder z.T. mit Backsteinen zugemauert, also unbewohnbar gemacht worden waren. Mittlerweile ist das Phänomen der leer stehenden Häuser, für die sich kein Käufer & Nutzer mehr findet, in allen dörflichen & (klein-) städtischen Gemeinden an der Tagesordnung.

Zum einen sterben die Alten aus, deren Wohnhäuser stehen leer, weil ihre Kinder aus der Gegend wegziehen & die alten Hausbesitzer keine Mieter oder Käufer mehr finden. Die zur „Flexibilität“ Gezwungenen richten sich, um ihren Lebensunterhalt zu finden, nach der Arbeit, wo sie ihnen angeboten wird.

Auch die Generation, die in den Siebziger bis Neunziger Jahren „aufs Land“ gezogen war, kehrt im Alter wieder in die Großstadt zurück; oder ihr „Zweitwohnsitz“ wird für sie physisch zu beschwerlich & die heute junge Generation hat an derartigen Fixierungen & Verpflichtungen kein Interesse mehr, seit die Alten sich nicht mehr darum kümmern wollen. Das Verschwinden des Einzelhandels in allen innerstädtischen Bereichen ist eine bekannte Tatsache, ganze Berufszweige sterben aus.

Es gibt heute viele Gründe für leerstehende, verfallende, unverkäufliche Wohn- & Geschäftsräume & Häuser in vor allem Innenstadtstraßen oder in Häuserzeilen von ländlichen Kleinstädten. Der Anblick solcher maroden Häuser in Straßenzeilen erinnert einen an kranke, hässliche Zähne in einem Gebiss. Liegt der Schadensfall bei einem Gebiss im hinteren Zahnbereich, wo er nicht sofort oder überhaupt nicht auffällt, kann der Fall durch Extraktion gelöst werden. Im vorderen Zahnbereich würde jedoch die Zahnlücke so aufdringlich sichtbar sein wie eine Hauslücke in einer ansonsten geschlossenen Straßenzeile.

D.h.: die Städte, resp. die Besitzer noch „intakter“, sprich wohn- oder geschäftlich genutzter Häuser müssten im Eigeninteresse darauf dringen, dass es gar nicht gibt (oder nur vorübergehend), was aber immer häufiger der Fall sein wird: verfallende Bausubstanz inmitten lebendig genutzter. Oft sind die Besitzer dieser Grundstücke zu einer Sanierung so wenig in der Lage wie dazu, potente Kaufinteressenten dafür zu finden.

Solche Häuser sind sichtbare Symbole toten, gestorbenen Kapitals. Dessen Existenz ist aber nicht nur für ihren Eigentümer ein Problem, sondern für alle anderen rundherum, bzw. die ganze Stadt. Sie verschandeln den Anblick der Straße, abgesehen davon, dass nicht genutzter Wohn- oder Geschäftsraum auf Dauer eine bauliche & hygienische Gefahr für die umliegenden Gebäude ist.

Was ist also zu tun? Vor allem, da absehbar ist, dass sich die augenblickliche Situation nicht verbessern sondern langfristig verschlechtern wird, also noch mehr leer stehende Häuser die Bausubstanz von Straßenzügen, bzw. Landstädten beschädigen werden.

Zum einen müssen die Kommunen darauf dringen, dass möglichst schnell in diesen Fällen Abhilfe geschaffen wird. Wenn das nicht privatwirtschaftlich innerhalb eines fixierten Zeitplans gelingt, müsste das betreffende Grundstück enteignet, bzw. in eine öffentliche Verwaltung überführt werden. Vielleicht könnten die Ureigner zu einem bestimmten Prozentsatz noch Eigentumsanteile an dieser kommunalen Verwaltung bekommen – für den Fall, dass die kommunale Verwaltung mit jenen oder anderen Grundstücken künftig etwas anfangen kann, was Gewinn erwirtschaftet, der aber zuerst zur Tilgung der Verwaltungseinrichtung verwendet werden müssten. Es könnten auch die Vertretung der Haus- & Grundeigentümer Teil dieser Verwaltung sein. Es müsste aber juristisch sicher gestellt sein, dass die zwangsweise Übernahme dieser maroden Häuser weder kurz- noch langfristig unter der Hand zu einem Geschäft der Enteigneten werden könnte. Denn diese Enteignung ist ja eine öffentliche Notwehrhandlung, um Schaden von allen davon indirekt Betroffenen abzuwenden, die durch die mögliche Verwahrlosung des nicht mehr genutzten Gebäudes entsteht.

Wie aber könnte diese Verwaltung mit dem betreffenden Gebäude umgehen, wenn kein Investor/Nutzer dafür gefunden wird? Möglicherweise würde eine kommerzielle bauliche Veränderung erst ökonomisch interessant, wenn mehrere solcher Fälle sich zu einem größeren Bauvorhaben (z.B. bei aneinander grenzender Häuser oder einer ganzen Straßenzeile) zusammenfassen ließen. Das kann aber Jahre, bzw. Jahrzehnte dauern oder nie eintreten.

Was ist bis dahin zu tun?

Mein Vorschlag: Die Entwicklung einer variabel verwendbaren Fassadenarchitektur, die entweder das vorhandene Gebäude verschalt oder im Falle, dass es abgerissen wurde, den Leerraum so stabilisiert, dass die umliegenden Gebäude durch die Hauslücke nicht in Gefahr geraten, durch die Fassaden – Architektur aber die de-facto- Baulücke bei der äußeren Erscheinung des gesamten Straßenzugs nicht prekär auffällt. Bzw. nur als bewusst camouflierte Lücke wahrnehmbar ist.

Denn es soll ja kein perfektes Potemkinsches Dorf simuliert werden; aber durchaus erkennbar bleiben, dass hier eine straßenbauliche Geschlossenheit nur simuliert wird .

Da solche Straßenlücken über kurz oder lang massenhaft auftreten werden, es sich also um ein allgemeines städtebauliches Problem handelt, das gelöst werden muss – aus den erwähnten Gründen -, stellt es Stadtverwaltungen & Architekten nicht nur an einem Ort, sondern an vielen, vor das immer gleiche Problem: eine kostengünstige ästhetisch akzeptable, nachhaltig stabile Lösung zu finden.

Da es sich um „Lückenbüßereien“ handelt, die in den meisten Fällen ein- bis zweistöckige Haustypen betreffen, wäre mit hinreichender architektonischer & technischer Phantasie ein Modul zu entwickeln, das mit geringen, eingearbeiteten, lokal bedingten Anpassungen überall verwendbar wäre. Also ein Serienmodell der Lückenbüßerei, das durch seinen seriellen Charakter kostengünstig für die Kommunen anbietbar wäre.

Wo ist der Unternehmer, der hier ein Entwicklungsfeld erkennt, das ähnlich notwendig & entwicklungsfähig ist wie die technischen Möglichkeiten für die nachhaltige Energiewirtschaft?

Es ist verwunderlich, dass bisher weder in den Kommunen noch bei den Architekten jemand auf das längst absehbare städtebauliche Problem aufmerksam geworden ist, das jedem , der sich mit offenen Augen durch unsere Provinzstädte bewegt, doch schmerzhaft als langfristige & folgenreiche städtische Verfallserscheinung ins Auge sticht.

Dabei weiß man doch längst, dass die Zukunft der städtebaulichen Entwicklung in der Provinz (nicht nur Ostdeutschlands) im geordneten „Rückbau“ liegt & alle architektonische & städtebauliche Phantasie sich darauf konzentrieren müsste, um finanzierbare & ästhetisch akzeptable Lösungen für unsere Städte & Straßenzüge zu (er)finden, damit wir nicht alle, unterschiedlich davon betroffen, weiterhin taten- & gedankenlos vor den architektonischen Kollateralschäden unserer Lebensveränderungen stehen oder unsere öffentliche Verwahrlosung weiterhin wehrlos hinnehmen.

Wolfram Schütte