Geschrieben am 18. Juni 2014 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Die „Lücke“ Schirrmacher

Frank_SchirrmacherWat nu?

Von Wolfram Schütte

Der überraschende Tod des 54jährigen Frank Schirrmacher hat vielerlei Schocks ausgelöst. Nicht nur seine Familie & seine engsten persönlichen Freunde werden ihn äußerst schmerzvoll vermissen. Verwaist ist aber auch die FAZ, deren prominentester, um nicht zu sagen herausfordernster Herausgeber er war, und die sonntägliche FAS, der seine besondere Zuneigung galt.

Mögen manche dort unter seinem autoritären Führungsstil (u.ä.!) gelitten & ihn zu seinen Lebzeiten mehrfach (natürlich nur insgeheim) verflucht haben – ab nun gilt dort: de mortuis nil nisi bene. Beide Blätter heben ihn in den Himmel wie der Osservatore Romano den überraschenden Exitus eines besonders von der Kurie geliebten „Papa“ würdigen würde.

Erstaunlich (?), wer alles dazu drängt, sein Nachrufsschärflein bei FAZ & FAS abzugeben. Während die Feuilletons „seiner“ beiden Hausblätter ihren zuständigen Herausgeber mit eigenen & fremden Trauerreden wie auch mit Heiligen Texten & Zitaten des Verstorbenen noch einmal als überwältigend Anwesenden beschwören, haben seine überlebenden Mitherausgeber nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seinen sie alle überstrahlenden Namen aus dem Impressum zu tilgen. Aus presserechtlichen Gründen? Wohl eher aus persönlichen.

Das bedeutet nichts Gutes – wie ja auch aus der journalistischen Trauerfeier insgesamt & nicht nur aus dem einen oder anderen Nachruf, der es andeutet, die Befürchtung spricht, dass Schirrmachers überraschender Tod genau zu diesem Zeitpunkt eine historisch folgenreiche Katastrophe sein könnte, bzw. von symbolischer Bedeutung für den Print-Journalismus in Deutschland insgesamt.

Alle, die sich jetzt um sein Andenken in FAZ & FAS scharen, wissen, dass sie mit der unübersehbar-mächtigen Galionsfigur auch ihr verlagsinternes Schutzschild verloren haben. Denn Schirrmacher, der mit seiner Universalisierung des Feuilletons dieses zum Zentrum des kultur-politischen & -historischen Moments gemacht hatte, konnte seine unverkennbare „Richtlinienkompetenz“ in der Zeitung nur durchsetzen, weil er Mitherausgeber war. Und mehr noch: als Buch-Bestseller-Autor unter seinen Kollegen nicht nur unübersehbar primus inter pares sondern auch gewissermaßen unangreifbar geworden war – was immer man in diesem Kreis von dem „Feuilletonisten“ (& seinem Machtbewusstsein) sonst auch naserümpfend halten mochte.

Mit seinem Hinscheiden hat das von ihm favorisierte, personell geförderte Feuilleton im Haus den zuständigen Herausgeber verloren – in einem historischen Augenblick, in dem der Verlag mit der FAZ laufend rote Zahlen einfährt & betriebsbedingte Kündigungen auf der Agenda des Kommenden stehen. Das schon seit geraumer Zeit exekutierte Notprogramm, den erst kürzlich wieder reduzierten Platz fast nur noch mit Beiträgen von Festangestellten oder Pauschalisten zu füllen (wie auch bei der SZ), wird langfristig jedoch nicht ausreichen, mit dem Blatt in die ökonomische Gewinnzone zu gelangen.

Der innovationsfreudige Schirrmacher hatte ja schon einmal ein von ihm initiiertes Lieblingsprojekt aus ökonomischen Gründen aufgeben müssen: die neufeuilletonistischen „Berliner Seiten“ mitsamt seinem Wunsch, das gesamte FAZ-Feuilleton in die deutsche Hauptstadt zu transferieren. Einen kleinen Teil seiner jungen Berliner Mannschaft konnte er dann wenigstens in der FAS unterbringen.

Auch das öffentliche Renommee, das er als Sachbuch-Bestseller-Autor wie als fulminanter Beiträger & Debatten-Organisator den beiden Frankfurter Printprodukten immer wieder verschafft hat, konnte den Fall der „Allgemeinen“ in den roten Bereich nicht verhindern. Es ist ein allgemein grassierendes ökonomisches Schicksal, dessen Totenglöckchen für die täglich erscheinende Printpresse auch schon Schirrmacher immer gellender in den Ohren geklungen hatte.

Die absehbar prekäre ökonomische Zukunft von Printpresse & unabhängig-kritischem Journalismus allgemein entspricht einem unübersehbaren Mentalitätswechsel & einer Zeitökonomieverschiebung in den Peergroups unserer Gesellschaft. In welchem Zusammenhang diese alltagsrelevanten kollektiven Veränderungen mit „dem Netz“ (& seiner immer umgreifenderen Rolle in unserem täglichen Leben) stehen, das hat den wissenden Apokalyptiker Schirrmacher wie keinen sonst unter seinen Kollegen beschäftigt.

Mehrfach wird in Nachrufen sowohl seine insgeheime Verzweiflung („Wir sind verloren“) als auch sein Mutmacherisches „Kopf hoch!“ zitiert, das er Verzweifelten zugerufen haben soll. Herbert Achternbuschs paradoxe Losung für seinen „Atlantikschwimmer“ („Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie“) müsste dem, wie einer berichtet, Camus-Verehrer aus Wiesbaden zuletzt sehr nahe gewesen sein.

Die Rastlosigkeit seiner findigen journalistischen Aktivitäten – die einen an Fassbinders verzehrende Lebens-& Arbeitskurve denken lassen – rührte aus seiner sich selbst & andere immer wieder & weiter mitreißenden Lebensenergie. Sie war die Kehrseite der Angst, dass das autonom gedachte Ich, das bürgerliche Individuum technologisch, algorithmisch ans Ende gekommen, bzw. gebracht worden sein könnte. Dagegen war Schirrmachers journalistische „Generalmobilmachung“ gerichtet

Man muss dabei sogar an Gramscis Worte denken, die Luchino Visconti gerne zitierte: “Wir brauchen einen Pessimismus des Intellekts & einen Optimismus des Willens“ – um zu ermessen, was Schirrmacher als Analytiker & Agitator auszeichnete & was nun im deutschen Journalismus fehlt, wenn man den juristisch-moralischen Feuerkopf Heribert Prantl mal beiseitelässt, der in der SZ mit Argusaugen unverdrossen-kritisch „die Sachen mit ihrem Begriff konfrontiert“ (Hegel).

Es kann einem schon Angst & Bange werden, wenn man als Journalist (nicht nur bei den Frankfurter Blättern) an seine eigene Zukunft & an die des gesamten anspruchsvollen Printjournalismus denkt. Frank Schirrmachers machtvoll eingreifende & womöglich auch gelegentlich wirkungsvolle Verbindung von Debatten- & Kampagnenjournalismus erscheint nun, da der spiritus rector gestorben ist, in der hohl hallenden Stille des trostlosen Augenblicks, wie ein einsames, dafür aber besonders lautes „Pfeifen im (dunklen) Walde“. Der steht – um mit Mathias Claudius´ “Abendlied“ die Metapher fortzuspinnen – nun „schwarz und schweiget / und aus den Wiesen steiget / der weiße Nebel“ nein: nicht „wunderbar“, sondern bedrohlich die Aussicht nehmend.

Der nun verwaiste Platz, die gähnende Lücke, die Schirrmachers Tod im deutschen Journalismus, der um seine materielle Existenz kämpfen wie um seine Geistesgegenwärtigkeit fürchten muss, wahrlich hinterlassen hat, müsste so schnell wie möglich neu besetzt & personell geschlossen werden. Fatalerweise ist aber niemand in Sicht – für das erforderliche Format.

Wolfram Schütte

Foto: Wikimedia Commons. Quelle, Autor Magnus Manske

Tags : ,