Geschrieben am 26. September 2012 von für Comic, Litmag

Comicfestival Hamburg: Satelliten-Spaziergang mit Birgit Haustedt

Am 27. September beginnt das Hamburger Comicfestival. Bis zum 30. September gibt es in der Hansestadt Ausstellungen und Vorträge, Partys, die Börse und eine Menge einheimischer und internationaler Künstler zu erleben – und CULTurMAG ist live dabei. In unserem Tagebuch wird ab Festivalbeginn Charlotte von Bausznern berichten, den Auftakt macht jetzt schon Birgit Haustedt, die sich in einem Exklusiv-Spaziergang mit den Festivalmachern die ersten Exponate der Satelliten-Ausstellungen angeschaut hat. Hamburg bildverändert: Comic meets the Kiez.

„Unsere Freunde müssen das mal sehen“

„Dünne Tranche von Husumer Rinderfilet mit Gänsestopfleber, Trüffel und Zuckerschoten“ als Gericht in einem Restaurant für 34 Euro – da sind die rosa Bermudas bei „Herrn von Eden (jetzt noch 19 Euro im Sommerschlussverkauf) direkt günstig. Billig und alternativ ist das Karolinenviertel in Hamburg längst nicht mehr. Im Gegenteil – erst letzte Woche wurde es vom Zeitmagazin zum „Hipsterviertel“ gekürt und ist damit eigentlich passé.

Ausgerechnet hier soll also der Spaziergang zu den „Satelliten-Ausstellungen“ des diesjährigen Comicfestivals in Hamburg beginnen. Die Idee: Comicoriginale nicht in Heften, sondern in ungewohnter Umgebung wie Cafés, Geschäften oder Ateliers zu zeigen – alles  im weiteren Umkreis vom Hein-Köllisch-Platz, dem Zentrum des Festivals. Noch sind nicht überall die Arbeiten positioniert, die fünfzehn Stationen jedoch stehen fest. Zeit für einen Probespaziergang mit den beiden Organisatorinnen: Kathrin Klingner, ganz in Schwarz, und Martina Lenzin, dezentes Nasenpiercing. Jul Gordon, eine der beteiligten Künstlerinnen, kommt mit ihrem Rennrad angeschoben, Sascha Hommer, Mitorganisator des Festivals, nutzt den Spaziergang, um das Programm zu verteilen und immer mal wieder was Kluges zu bemerken. Alle zeichnen selbst Comics, haben in der Szene viel beachtete Bücher veröffentlicht, geben Magazine heraus, deren Namen ich noch nie gehört habe, und machen noch so einiges andere nebenbei.

Wie sie die Comics ausgesucht haben? „Wir haben uns gedacht: Unsere Freunde müssen das mal sehen“, so Martina Lenzin. „Das“ sind ganz unterschiedliche Arbeiten von Kommilitonen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, an der beide selbst studieren, aber auch von bekannten Zeichnern aus Leipzig und London. Als Ausstellungsorte haben sie nur solche Lokale gewählt, die sie selbst mögen. Jedenfalls ist kein Designerklamottengeschäft dabei, gar nicht so leicht in der Marktstraße und Umgebung.

Absagen haben sie kaum kassiert, nur die „Queen of Hair“ aus St. Pauli, („spezialisiert auf Problemhaare“) wollte nicht, weil ihre Schaufensterdeko „perfekt“ sei. Bei anderen hingegen haben sie offene Türen eingerannt. Wie im Café Panter. Als sie dort anfragten, war die Bedienung Meike Schlemmer sofort begeistert, sie arbeitet selbst an der Zeitschrift mit dem schönen Namen „Beautox-Magazin“ mit. Jetzt hängt hier nicht nur die Western-Comic-Persiflage „Calamity Jane“ von „Eva zeichnet“ an der Wand, sondern es gibt sogar eine ganze Nummer „Beautox“ zum Festival. Leider kann Meike nicht mit uns sprechen – in der kleinen Küche des verwinkelten Cafés geht es grad sehr hektisch zu.

Ein paar Schritte weiter auf der Marktstraße liegt das „Lockengeloet“, auf den ersten Blick ein Sammelsurium-Laden. Beim genaueren Hinsehen bemerkt man, dass alle Sachen umfunktioniert sind. „Hanni und Nanni“ als Schlüsselbrett. „Zweckentfremdung von Alltagsgegenständen in Handarbeit“ nennen die Betreiber das. Eine passende Umgebung für die Comics von James Turek, der seine Werke hier selbst gehängt hat. Der Ex-New Yorker, der heute in Leipzig lebt, ist einer der Bekannteren der Szene. Mehrere Einzelblätter, pastellfarbig mit kräftigen schwarzen Akzenten. Im Mittelpunkt: eine Tierfigur in Menschengröße mit zwei spitzen Ohren, Brustfell und Tatzen, aber bekleidet. Mal liegt sie auf einer Wiese und nascht Kekse, mal liest sie unter einem Pilz Zeitung, dann fährt sie Fahrrad oder trottet einfach aus dem Bild. Eine Zweckentfremdung eigener Art: Was wie eine simple Bilderbuchillustration wirkt, strahlt eine rätselhafte Melancholie aus. Schön.

Gleich nebenan im Plattenladen „Groove-City“ (Motto: „Wenn du nicht weißt, was Plattenspieler sind und wie diese bedient werden, solltest Du Deine Finger davon lassen.“) fallen die Comics erst gar nicht auf. So gut integriert sind die Cartoons von Richard Short in Schaufenster und Innendeko. Seine schwarz-weiß gezeichneten Plattencover für die Größen des Jazz wirken so stimmig, dass schon Kunden nach ihnen gegriffen haben. Short, im Hauptberuf Anwalt in London, ist einer der Fixsterne von Martina Lenzin, vielleicht weil sie selbst Musik macht bei den „Honeyheads“.

Nach diversen Zwischenplauderstopps  geht’s raus aus dem Szene-gemütlichen Karoviertel durch die sehr stille, picobello restaurierte Schlachthofpassage zum Schulterblatt. Autos dröhnen über Kopfsteinpflaster, Fahrradkuriere umkurven auf dem Fußgängerweg die vielen Passanten. Lärmig, quirlig, durcheinander, von allem zu viel. Passend dazu hat die „Buchhandlung Schanzenviertel“ ein ganzes Schaufenster mit Benedikt Rugars schwarz-weißen Zeichnungen „Nostradamus 2012“ zugepflastert. Thema: der bevorstehende Weltuntergang. Davor ein Postkartenständer mit beliebten Spaßmotiven, wie sie Touristen gern kaufen.

An der Ampel am Neuen Pferdemarkt müssen wir lange warten. Dort durchschneidet die vierspurige, viel befahrene Stresemannstraße die Stadt, trennt das Schanzenviertel von St. Pauli. Die ungemütliche Straßenkreuzung ist einer der Orte, an denen man mehr über Hamburg erfährt als bei den sogenannten Sehenswürdigkeiten. So jedenfalls die Theorie von Sascha, der in fremden Städten lieber Verkehrswege, die U-Bahnen und Verbindungen erkundet, als Reiseführer zu benutzen. Wenn man dann durch die Wohlwillstraße spaziert, laut Zeitmagazin auch eine der Hamburger Hipsteradressen, kommen einem Zweifel an solchen Reisetipps auf. Sie ist eigentlich eine ziemlich langweilige Straße, nur die riesige Haspa-Fassade fällt auf.

Aber jetzt nähern wir uns einem Zentrum des Comics in Hamburg und dem absoluten Lieblingsladen meiner Begleiterinnen: „Strips & Stories“, wo es alles zum Thema gibt – aber als ein Hauptort des Festivals keine Satellitenstation. Trotzdem ein kurzer Abstecher hierher und die Kettencomichefte abgeholt, die in der „Schankwirtschaft Seepferdchen“ gezeigt werden sollen. Passenderweise geht’s um die Meeresverschmutzung, gezeichnet haben Studenten der HAW. Mit Kettencomics  fängt man – wie Kathrin Klingner erklärt – in den ersten Semestern an. Einer beginnt mit einem Bild, der nächste malt das zweite usw. Dabei erfahre ich nebenbei auch, dass das Department Design der Hochschule einer der Hauptorte für angehende Comiczeichner in Deutschland ist.

Jenseits der Reeperbahn geht’s zur Schlussetappe – an der Kneipe „Doppelschicht“ vorbei, auch eine Station. Gerade läuft das Spiel St. Pauli gegen Frankfurt im Fernsehen (Pauli verliert), vor vollem Lokal, keine Chance auf ein Durchkommen, um Comics anzuschauen.

Der Blick ins Schaufenster des „Atelier Balduienstraße 22“ irritiert: Zuerst erkennt man in einem alten Fernsehmonitor nur sich selbst. Auch das Comicfenster (Station 10) daneben ist irgendwie schräg mit seinen vier ziemlich kompliziert wirkende Roboterfiguren aus Lego. Damit habe er die Internationale Deutsche Legomeisterschaft gewonnen, meint Künstler Daniel van Eendenburg. Ein typisches Große-Jungs-Ding, denk ich erstmal, aber gut gemacht. Lustig auch die Namen und „Aufträge“ der Roboter. Der „L-over“ schenkt einem – symbolisch – den Rosenstrauß, den der eigene Ehemann seit Jahren vergisst. Während der Künstler uns das erklärt, stehen drei Jungs vor dem Schaufenster und fachsimpeln darüber, welchen sie haben wollen. Keiner dabei. „Hast Du auch einen Hausaufgabenroboter?“ Die Idee funktioniert doch – wie durch das Fernsehbild wird man durch die Legowunschmaschinen auf sich und seine Wünsche zurückgeworfen.

Als wir in der Trommelstraße bei „Niklas Schechinger Fine Art“ stehen, dämmert es bereits. Das passt zu den skurrilen, etwas unheimlichen Comics von Matti Wustmann, 21 Jahre alt. Schwarzer feiner Strich, merkwürdige amorphe Figuren, einige haben statt Augen und Mund eine Vagina Dentata, andere Gestalten tragen mehrere Köpfe oder viele Arme. Dazwischen eine rotbraune, schuppige, etwas eklige Figur aus Knetgummi, die wie eine Geisterhand aus einem Splatterfilm nach einem zu greifen scheint. Solche Filme inspirierten den Zeichner ebenso wie E. A. Poe, Mangas oder das Videospiel „Dead Space“, wie Martina weiß. Noch diverse andere Referenzen kann sie aufzählen, ein Netz von Querverweisen in Film, Literatur und Musik, eine andere, vielfältige und gar nicht einfältige Welt, die sich auf diesem Spaziergang öffnet.

Kogge, letzte Station des Spaziergangs, lassen wir aus. Es ist dunkel, Jul Gordon muss nach Hause, zwei Kinder ins Bett bringen. Sie wird in dem Rock-Hotel einen Trickfilm zeigen, der allerdings noch nicht fertig ist. Aber so viel kann sie schon sagen: Er handelt von einem Rodeoreiter und einem Rollstuhlfahrer, alles zur Musik von Christmas Time. „Und in der Kogge gibt es Bier“, lacht sie, schwingt sich auf ihr Rennrad und düst davon.

Birgit Haustedt

Infos: Der Comicspaziergang beginnt am Donnerstag, den 27. September 2012, pünktlich (!) um 17 Uhr. Treffpunkt: Die Gesellschaft, Karolinenstraße 16. Er dauert ca. zwei Stunden.

Einige Ausstellungen werden vorher schon eröffnet, zum Beispiel:
James Turek
, am Mittwoch, 26.9. um 17 Uhr im Lockengeloet bei Livemusik von „Riff-Raff“. Der Künstler ist anwesend.
Alice Socal und Lilli Gärtner
ebenfalls am Mittwoch, 26.9. um 17 Uhr im Slim Jim’s. Livemusik von Alice Socal.

 

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