Zum Comic-Salon Erlangen ist Marko Turunens „Der Tod klebt an den Fersen“ auf Deutsch erschienen. Jetzt widmet ihm das Comicfestival Hamburg eine Ausstellung. Turunen selbst wird anwesend sein. Eine Einführung in die Fremdling-Welt des finnischen Künstlers von Brigitte Helbling.
„He had no money for any other kind of artistic behavior“
Der wichtigste finnische Comicpreis heißt Puupäähattu, was klingt wie etwas, das man Kindern untersagt – „Hörst du endlich auf mit deinem Puupäähattu!“ – tatsächlich aber Hut des „Puupää“ meint, nämlich der Comicfigur des Zeichners „Fogeli“ (eigentlich waren es zwei Zeichner, erst der Schöpfer Ola Fogelberg und nach dessen Tod 1952 seine Tochter), dessen Strip-Abenteuer über den erstaunlichen Zeitraum von 1925 bis 1975 wöchentlich in finnischen Zeitungen erschienen. Der Preis wurde 1972 das erste Mal verliehen, ein Jahr, bevor Marko Turunen in Kotka zur Welt kam. Wer ihn erhält, setzt den Puupää Hut auf und lässt sich damit fotografieren. Puupää heißt auf Finnisch Holzkopf.
Oben sieht man Marko Turunen mit Hut. Ihm wurde der Puupäähaattu-Preis 2007 in ausdrücklicher Würdigung der surrealen Qualitäten seines Werkes verliehen.
Italien, Frankreich, Schweiz. Und Deutschland.
Nachdem Turunen in der italienischen (Canicola), französischen (Fremok) und Schweizer (Fumetto/Strapazin) Comicszene seit einem Jahrzehnt gefeiert wird, bringt ihn nun der verdienstvolle Mami Verlag mit „Der Tod klebt an den Fersen“ auch zu den deutschen Lesern, zumindest zu denjenigen, die wenig Gelegenheit haben, sich über Messen oder Szene-Gänger auf dem Alternativ-Laufenden zu halten. Der Band ist dick, rot und schön. Er versammelt Turunens Geschichten vom „Fremdling“ (Strapazin übersetzte den Namen der Hauptfigur damals mit „Alien“) und seiner Gefährtin „E-Eisenfrau“ aus sieben Jahren.
Nomen ist hier Omen: „Fremdling“ ist ein kleines Männchen mit riesigem Kopf, in dem ein Loch klafft. Wie kann es damit überleben? Die Frage stellt sich nie. E-Eisenfrau, doppelt so groß wie es, trägt eine schwarze Ganzkopf-Maske. Die beiden sind ein Paar, ein ungleiches zwar, aber das tut ihrem recht behaglichen Zusammensein keinen Abbruch. Ihr Aussehen ist ungewöhnlich, ihr Leben banal. Sorgen um die Miete, Fragen nach dem Lebensunterhalt, Ausflüge mit den Eltern. Die sind, in E-Eisenfraus Fall, zwei mollige Vögel. Mit Ansichten, zum Beispiel zu Russland (nach Meinung von Vögeln ein höchst gefährlicher Ort), und nebenbei auch mit durchaus menschlichen Gelüsten: Im Imbiss während eines Ausflugs essen „E-Eisenfraus Eltern Chickenburger, E-Eisenfrau einen Fischburger und Fremdling einen Baconburger“.
Menschen = getarnte Anderswesen
Eine hübsche Komik entsteht aus dem Gegeneinander von lakonischen (auch im Lettering, sachliches Courier) Alltagsberichten und einer gewaltigen, zuweilen auch gewalttätigen Bildfantasie: Diese Interaktion von Text mit Bild dient sich dem Leser nie an. Macht was ihr wollt aus diesen Geschichten, scheint der Comic zu sagen, das ist unser Leben. In Finnland. Wer würde da nicht an Tove Jansson denken? Finnische Kinder wissen, dass Menschen eigentlich nur getarnte Anderswesen sind, nilpferdartige Snorkfräuleins, die sich in menschähnliche Schnupferichs verlieben, der Snork-Troll selbst, der mit der kleinen, eckigen My in einem langen Winter Schlittschuh fährt. Die Morra, mächtig und melancholisch. Die bärtige Filifjonka, nervös um den Haushalt bemüht. Die Welt der Mumins ist mit Tier-Kindergeschichten wie etwa „Pu der Bär“ nicht zu vergleichen. Da wurde der Stofftierfundus von Christopher Robin geplündert, hier zeigen sich Menschen in ihrer wahren Gestalt, hervorgegangen aus Charakter und Neigung.
In einem Interview mit dem italienischen Fernsehen nennt Turunen auf die Frage nach seinen Comiceinflüssen Tove Jansson sofort und an allererster Stelle. Das taugt, um einen Verdacht zu bestätigen, vielleicht auch, um einen Denkansatz zu verstehen. Aber Turunens Geschichten um den Fremdling und seine Freundin wollen, was Jansson nie beabsichtigt hat: Sie bilden den stattgefundenen Alltag ab, hin und wieder fantastisch, immer verkürzt, aber eindeutig derjenige des Künstlers selbst.
„Ich bin der Fremdling“ – den Satz habe ich bei Turunen so nie gelesen. Warum auch, es braucht ihn nicht. Welcher Künstler sieht sich nicht als Fremdling, als „Alien“ (in der Übersetzung von Strapazin)? Dass E-Eisenfrau seine Freundin Annemarie Heitanen abbilde, erzählt Turunen dagegen unter anderem im Interview mit Fremok von 2007. Und was ist mit der Gesichtsmaske? Ganz einfach. Sie sei so schön, dass er ihr nicht gerecht werden könne …
Und die anderen Figuren?
Einfluss Nummer eins: Die amerikanischen Superhelden – dies die Aussage Turunens in vielen Gesprächen. Wie viele europäische Comickünstler haben wohl zu einer eigenen Bildsprache nur deswegen gefunden, weil eine Karriere bei Marvel oder DC so ganz außer Reichweite schien? Im Fall Turunen taucht Hawkman bei Fremdling auf, um eine verliehene Kate-Bush-CD zurückzufordern. Fremdling sieht nur einen Ausweg: Platz tauschen mit dem Teufel. „Du siehst genauso aus wie ich. Keiner wird etwas merken.“ Während der kleine Mann in der Hölle riesige, gepanzerte Gegner köpft, stellt sich Satan den Unwägbarkeiten eines menschlichen Haushalts. Was immer Turunen an Superhelden weiter fasziniert, eins ist es nicht: der cinematografisch vermarktbare Endloskampf von Gut gegen Böse.
Mitte der 1990er, beim Kunststudium in Turku, erfuhr Turunen zu seiner möglicherweise leicht naiven Verwunderung, dass Comics keineswegs, und die Superhelden schon gar nicht, als Kunst gelten, und lernte daraufhin Bildhauer. Nach seinem Abschluss zog er nach Lahti, das in seinen Verlagstexten gerne als „Wintersportort“ beschrieben wird und damit den Eindruck erweckt, der Künstler stehe hauptsächlich auf Skiern. (Tatsächlich nennt Turunen „Fernsehen“ als einen seiner liebsten Zeitvertriebe.) In Lahti wandte er sich erneut den Comics zu, nicht weil er die Bildhauerei nicht mochte, sondern weil ihre Ausübung zu teuer war, oder, wie es an einer Stelle heißt: „He had no money for any other kind of artistic behavior.“
Etliche renommierte Preise später erscheint die Liste der Comickünstler, denen Turunen sich laut eigener Aussage in einem Interview mit Fremok zugehörig fühlt, beinah als Kompendium von zwei Jahrzehnten Eigensinn im Comic – Mark Beyer, Matti Hagelberg, Matt Brinkman, Brian Chippendale, Vincent Fortemps, Yvan Alagbé, Hideshi Hino, Gary Panter, Jack Kirby, Anke Feuchtenberger, Max Andersson, Chris Ware, Joan Sfar, Christophe Blain, Martin tom Dieck, Tove Jansson, Caroline Sury, Tom Gauld, David Heatley, Aapo Rapi, Joakim Pirinen, Craig Thompson, Asa Grennwall, Junko Mizuno, Kalervo Palsa, Hergé … Was für eine Aufzählung. Hier kommt zusammen, was nur scheinbar in tausend verschiedene Richtungen geht, ein Bataillon aus Comicschaffenden, die sich das Medium als abenteuerlicher Freiraum auf die Fahne schreiben. Keine Revolution. Eher ein Plädoyer für den Eigensinn, der nicht wüsste, wie das anders zu handhaben wäre, das mit den Comics … und die Ausnahmen, die damit richtig Geld machen, gibt es darin ja auch.
Viel Text, wenig Action
„Viel Text, wenig Action“ verspricht Fremdling auf dem Cover des Wälzers „Der Tod klebt an den Fersen“, der in Anke Feuchtenberger und Stefano Riccis Mami Verlag erschienen ist, diesem pulsierenden Herzen einer alternativen Comicwelt, das sich mit schöner Renitenz, handwerklichem Perfektionismus (und einer gewissen Nonchalance, wenn es um die Dokumentierung etwa von Erscheinungsdaten geht) – und, den Buchpreisen nach zu urteilen, minimalen Gewinnchancen für sein Programm einsetzt … Grenzsprengung. Als könnte es nie um etwas anderes gehen.
Der Turunen-Band ist zweigeteilt: Das erste, längere Buch heißt wie der Gesamttitel „Der Tod klebt an den Fersen“ und ist von einer grandiosen und befremdlich-normalen Düsterkeit (der Text, ganz entgegen der Ankündigung, knapp und beiläufig zugleich – Notizen aus einer Agenda vielleicht, oder aus einem nicht immer ganz nüchternen Tagebuch). Die Bühne gehört vor allem hier den Bildern, E-Eisenfraus „wunderschönem Knöchel“, Fremdlings Medikamenten auf einem Esstisch, einem Batman-Baby, das in der Nacht E-Eisenfrau zufliegt und Dreck aus den Fugen der Fließen im Klo isst …
„Spannung im Alltag entsteht durch einfache Mittel und kleines Budget“ steht dann auch. Wem einfache Haushaltsgegenstände schon so viel Aufregung bescheren, braucht keine „Action“.
Das zweite Buch im Band, „Ufos in Lahti“,besteht aus einer Ansammlung kürzerer Geschichten, die sich die Freiheit nehmen, den strengen Stilpfaden von „Der Tod klebt an den Fersen“ auch mal nicht zu folgen. Das macht sie nicht weniger anziehend. Marko Turunen ist Illustrator, Kinderbuchmacher, Gebrauchsgrafiker – Seiten-Künste, die ihn mit vielen internationalen Comickollegen verbindet – und die Ufo-Geschichten, vermutet man, sind der Ort, wo Künstler und Auftrag für einmal zusammenfallen sollen. Eigensinn eben! Das Wort fiel schon mehrfach. In einer zunehmend auf Vermarktung ausgerichteten Kunstwelt ist dieser stille, subversive Zug der Comics nicht zu unterschätzen.
Der lustvoll gelebte Freiraum, diese eigensinnigen Dokumentationen aus dem Alltag eines ganz normalen Liebespaars finden in Turunens Erzählungen, die ein Leben mit seiner E-Eisenfrau quasi-dokumentarisch über 13 Jahre begleitet haben, ein unerwartetes und schockierendes Ende. „Beim Arzt“ heißt die vorletzte Erzählung, in der bei E-Eisenfrau ein bösartiger Tumor diagnostiziert wird. Die kurze Schlusssequenz, „Nasenarsch“, lässt keinen Zweifel am tödlichen Ausgang der Krankheit. „Ich will nur bei dir sein“, sagt E-Eisenfrau zu Fremdling. Die beiden liegen im Bett unter der Decke. Wir sind die Betrachter, wir schweben über ihnen, schauen ihnen zu – und weinen.
Brigitte Helbling
Marko Turunen. Der Tod klebt an den Fersen. Übersetzung: Alexandra Stang. Lettering: Andrea Bruno. Mami Verlag, Quilow 2012. 317 Seiten, 17 Euro.
Wer Finnisch kann, schaut sich Turunens Homepage SUPERTURUNEN an.
Marko Turunens Ausstellung beim Comicfestival Hamburg ist im Vorwerkstift und öffnet am Freitag, 28. September um 20 Uhr.