Gabrielle Bell ist am Comicfestival Hamburg! Mit einer Ausstellung, einem Vortrag, und einer Signierstunde. Kira Kötter hat sich für CULTurMAG ihre Comics angeschaut.
Vom ganz normalen Alltag, Bärenattacken und der Pflicht, jeden Tag einen Comic zu zeichnen
Sie hätte sich zunächst gar nicht entscheiden können, ob sie lieber Künstlerin oder Autorin geworden wäre, sagt Gabrielle Bell in einem Interview. Dann sei sie mit der Independent Comic Szene in Berührung gekommen und sofort fasziniert gewesen von der Verbindung ihrer zwei Lieblingsbeschäftigungen: dem Schreiben und dem Zeichnen.
Seitdem geht die 1976 in London geborene und heute in Brooklyn lebende Künstlerin nie ohne ihr Sketchbook aus dem Haus. Beinah täglich füllt sie ihren Blog „Lucky“ mit neuen Comics. Richtig gelernt habe sie das Comic-Zeichnen allerdings nie, lediglich einige Zeichen-Kurse habe sie besucht. Bell sieht sich selbst als langsame Zeichnerin und ihre Arbeit als sehr zeitaufwändig an – doch das, was dabei herauskommt, ist originell und wenig beeinflusst von anderen Künstlern.
Ihre Originalität basiert nicht auf außergewöhnlichen, durchweg fiktionalen Storys oder reißerischen Zeichnungen. Gerade das Alltägliche in ihren Plots und die Einfachheit ihrer schwarz-weißen Comics machen ihre Arbeit so interessant.
In ihrem Blog, mit dem sie 2003 den Ignatz Award gewann, zeichnet sie das, was sie erlebt. Sie berichtet mit viel Situationskomik von ihrer Freundin Sadie, die gerade ein Baby bekommen hat. Sie erzählt von seltsamen Yoga-Kursteilnehmerinnen, deren Männergeschmack und von ihren eigenen Frauenarzt-Besuchen.
Ach ja, und dann wären da noch die Zombie-Apokalypsen und Menschenfresser-Bären.
In der neuesten Juli-Ausgabe ihres Tagebuchs, in der sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen ganzen Monat lang, jeden Tag einen Comic zu veröffentlichen, erzählt Gabrielle Bell von einem Zoo-Bären, der ein Baby verspeist. An einer anderen Stelle zeichnet sie sich und Sadies Baby Chub-Chub auf einem Bären reitend…
„That’s not exactly how it happened“
Diese unerwarteten fiktionalen Ereignisse in ihren Plots werden bewusst als solche dargestellt. Bell bezieht in ihren Comics auch die Metaebene des Zeichenprozesses mit ein. Sei es, indem sie die Handlung kommentiert oder die Handlung selbst sich um das Zeichnen dreht. Am Ende einer Wanderung mit ihrem Freund Steve begegnen die beiden beispielsweise einem Bären, der Eis mit Blaubeer-Ameisen-Geschmack verkauft. Dieses Ereignis wird kurz darauf als erdacht geoutet und das ‚reale‘ oder ‚plausiblere‘ Ende angegeben.
Nicht selten findet man in „Lucky“ Bell auch selbst, die verzweifelt durch die Gassen New Yorks rennt und nach neuen Themen für ihren Comic sucht, verärgert am Tisch sitzt oder neue Füller- und Tintensorten testet, aber mit keiner so richtig zufrieden ist.
Beeinflusst sei sie, meint Bell, wenn überhaupt, von Julie Doucet und ein wenig von Robert Crumb. Bells Stil ist einfach, aber aussagekräftig. Ihre Ink-Zeichnungen schattiert sie oft scheinbar willkürlich, sie setzt schwarze Akzente da, wo sie es für richtig hält. Der Leser soll, so die Absicht der Autorin, zum Beobachter der Welt werden: Deshalb nennt Gabrielle Bell ihren in diesem Monat beim kleinen Verlag Uncivilized Books erschienenen Band auch „The Voyeurs“. Auf dem Cover ist ein Fenster zu sehen, der Blick des Lesers wird auf die dahinter sitzende Person gelenkt: Gabrielle Bell, die am Laptop sitzt und vielleicht über neuen Ideen brütet. Ungewollt wird der Betrachter in die Perspektive eines Spanners, eines Voyeurs, katapultiert. In „The Voyeurs“ begleitet er die Zeichnerin dann auf ihren Promotion-Reisen zur San Diego Comic-Con, nach Frankreich und nach Japan, bekommt also Einblicke in ihr Leben als erfolgreiche Comic-Autorin, erfährt ihre persönlichen Gedanken und Erlebnisse…
Was davon wahr ist und was erfunden, weiß nur Gabrielle Bell selbst.
Kira Kötter
Mehr Gabrielle Bell findet sich auf ihrer Homepage. July Diary finden Sie hier, The Voyeurs hier.
Das Comicfestival Hamburg widmet Gabrielle Bell eine Ausstellung. Die Künstlerin ist anwesend. Sie signiert am Sonntag, 30. September, im Strips & Stories, im Anschluss an einen Vortrag mit Tom Gauld.