Geschrieben am 3. Juli 2013 von für Comic, Litmag

Brecht Evens: Die Amateure

Brecht Evens_Die AmateureFesselnde Bilderrätsel und Kunstzitate

– „Die Amateure“ ist ein Comic für Dechiffriermeister von Bilderrätseln und Bildwitzen. Dazu braucht es Zeit. Das Werk ist eine der Entdeckungen dieses Jahres und Evens sicher einer der Zeichenkünstler, die in Zukunft im Auge zu behalten sind. Von Hanspeter Ludwig

Es ist schon ein Kreuz mit der Kunst: Ein Leben lang beschäftigt sich der Künstler mit dem Objekt seiner Begierde, lernt, übt, analysiert, übt weiter und wird doch, berechtigterweise oder nicht, zu den 95 Prozent gehören, die von ihrer Kunst nur mäßig oder gar nicht leben können.

Pieterjan, der Held aus „Die Amateure“, ist so jemand. Ein Künstler durch und durch, wie es überall in der westlichen Welt Tausende und Abertausende gibt. Tatsächlich gehört er sogar zu dem Kreis derer, die es in einem gewissen Rahmen zu Ruhm und Anerkennung gebracht haben. Er verkauft gelegentlich eines seiner Werke und unterrichtet, kann also von der Kunst leben und gar nicht so schlecht, wie es aussieht.

Dennoch läuft es nicht rund. Die Beziehung zu Amélie – die zu allem Überfluss auch noch seine Galeristin ist – knirscht gewaltig. Der Erfolg anderer macht ihn mürrisch und zynisch, wie das nur die eigene Erfolglosigkeit schafft, sodass er schließlich die Einladung in ein Kaff auf dem platten flämischen Land annimmt, um dort das Gefühl von Wichtigkeit zu erleben, das ihm in seinem Großstadtleben fehlt.

Er kommt als einziger Profi zur Biennale nach Beerpeole und rutscht schnell in die Rolle des Lehrers und Antreibers. Nur ihm wird zugetraut, etwas Großes zu schaffen, und alle Amateure des Städtchens wollen dabei sein, wenn sein Werk ersteht.

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Observation und Interpretation

In mancherlei Hinsicht erinnert „Die Amateure“ an Werke von David Mazzuccelli, insbesondere an „Discovering America“, wo die Ähnlichkeit vor allem atmosphärischer Natur ist. Während bei Mazzuccelli allerdings gern das Gravitätische, Schwere und Pessimistische überwiegt, zeichnet sich Brecht Evens Werk durch eine durchscheinende Leichtigkeit aus. Beiden Comiczeichnern gemein sind das karikaturhaft Überzeichnete und der bewusste Einsatz von unterschiedlichen Kolorationstechniken.

„Observation und Interpretation“, Pieterjans Credo trifft in „Die Amateure“ gleich auf mehreren Ebenen zu. Einerseits ist das megalomanische Projekt, das in den wenigen Tagen bis zur Eröffnung der Beerpoeler Biennale fertiggestellt werden muss, ein riesiger Gartenzwerg; frei nach dem Motto: „Was will uns der Künstler damit sagen“ wird hier im Buch – aber eben auch augenzwinkernd von Brecht Evens – andererseits die tatsächliche Bedeutung von Kunst in Frage gestellt. Freilich ist das nur die offensichtliche Ebene.

Viel spannender ist, was Evens mit dem Leser macht: Er fordert ihn zum andauernden Mitschauen und, was noch viel wichtiger ist, Mitdenken auf. Dazu ist ihm jedes Mittel recht, sei es die Darstellung einer Person, Ornamente in den Zeichnungen, sein Zeichenduktus oder auch Zitate aus den vergangenen Jahrhunderten der Kunstgeschichte. Überhaupt strotzt dieses Werk von kunstgeschichtlichen Anspielungen. Evans Hang zu den Expressionisten und deren direkten Nachfolgern ist dabei angesichts seiner Aquarelltechnik erstaunlich. Nicht dass die Altväter nicht auch aquarelliert hätten, aber Dix und Grosz beispielsweise waren schon eher grob in ihrer Technik (zumindest was ihre frühe Druckkunst anbelangt), während Evens seine technische Meisterschaft bewusst zu verdunkeln scheint. Er beherrscht von aufgelöst, luftig und gerade einmal angedeutet bis zum plakativen, dunklen alle Ausdrucksmittel meisterhaft, ohne aber mit seinem Stil zu brechen. Und so fragt man sich, warum Valentin, einer von Pieterjans wichtigsten Helfern, einen Kopf hat, der stilistisch gar nicht zu passen scheint, bis dann im Verlauf der Story dieses Mysterium aufgelöst wird.

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Alles opak

Auflösung ist ein weiteres Stichwort in diesem Band. Es gibt außer einer blutjungen Reporterin, die es Pieterjan angetan hat, eigentlich keine Figur, die nicht gebrochen wirkt. Alle kämpfen. Seltener untereinander, meistens gegen ihre eigene Auflösung in Bedeutungslosigkeit oder Schwermut. Den Comic nun als düster oder depressiv darzustellen, würde ihm jedoch nicht gerecht. Tatsächlich schafft es Pieterjan – obwohl es zunächst gar nicht danach aussieht –, den großen Plan gemeinsam mit allen umzusetzen und mit Feuereifer und teilweise bis zur völligen Verausgabung an dem großen Gartenzwerg zu arbeiten. Faszinierend ist auch hier einmal mehr das Spiel, das der Zeichner Brecht Evens mit dem Leser spielt. Oft sind die Figuren, die Umgebung durchscheinend gezeichnet, alles ist gewissermaßen in Auflösung begriffen, wo doch eigentlich die Figur den Rest überdecken müsste. Der Leser vermutet zunächst einen stilistischen Trick oder schlicht einen technischer Fehler, bis er irgendwann merkt, dass dieser Duktus einem Zweck dient. Spätestens dann, wenn einem zum ersten Mal auffällt, dass Gegenstände, Umgebungen und Figuren durchaus opak sein können – selbst der Farbauftrag in „Die Amateure“ dient also der Geschichte.

„Die Amateure“ ist kein Comic, den man einfach so weglesen sollte. Für dieses wunderbare Werk muss man sich Zeit nehmen, um wenigstens einige der Bilderrätsel und Bildwitze zu dechiffrieren, die Evens eingebaut hat. Ganz davon abgesehen, dass gerade die eingestreuten Kunstzitate in ihrer Detailverliebtheit den Leser geradezu am Buch festtackern. Für mich ist „Die Amateure“ eine der Entdeckungen dieses Jahres und Evens sicher einer der Künstler, die ich in Zukunft im Auge behalten werde.

Hanspeter Ludwig

Brecht Evens: Die Amateure. Aus dem flämischen Niederländisch von Andrea Kluitmann. Handlettering von Olav Korth. Farbig, 21 x 26 cm. Flexcover. 224 Seiten. 34,00 Euro.

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