Geschrieben am 14. Dezember 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Audio: Peter Kurzeck im Gespräch mit Wend Kässens

Das Schreiben ist das Leben!

– Vor Kurzem ist im Hamburger Corso Verlag der Band „Das Große geschieht so schlicht – Unterwegs im Leben und Schreiben“ erschienen, der zehn Unterhaltungen des Literaturkritikers Wend Kässens mit deutschen Autorinnen und Autoren versammelt (siehe CM-Rezension). Wir freuen uns, Ihnen Ausschnitte des Gesprächs mit dem Schriftsteller Peter Kurzeck präsentieren zu können – und zwar zum Lesen UND zum Hören:

Wend Kässens: Deine Bücher sind meistens im Herbst angesiedelt. Es dominiert ein unfreundlich nasses Wetter. Das hat natürlich etwas mit der Atmosphäre zu tun, die Du haben willst. Auf der anderen Seite sagst Du, „ich wusste seit meiner Kindheit, dass ich der Schönheit nicht widerstehen kann“. Was ist das für eine Schönheit, die hier angesprochen wird?

Peter Kurzeck: Ich glaube, dass es ein Begriff ist, den man eigentlich weiter fassen muss, als man es üblicherweise tut. Eine solche Schönheit finde ich sogar, wenn ich an einen nasskalten Winternachmittag bei Buderus in Lollar denke, als der ganze Ort in einer riesigen Ruß- und Rauchwolke steckte. Die wunderbaren alten Fabrikhallen aus dem 19. Jahrhundert sind heute alle abgerissen, leider, ich hätte gerne Fotos davon. Es gibt ein paar neue Hallen, aber das sind einfach weiße Klötze. Es kommen einzelne Kapitel in meinem neuen Buch vor, wie es war als Kind mit 8 Jahren in der Nachkriegszeit am Güterbahnhof in Lollar zu stehen und den Bauern mit ihren Fuhrwerken zuzuschauen und die bringen alles, was heute in der Gegend keinen Menschen mehr interessiert, Kartoffeln, Weizen, Mehl, alles wird abgewogen, noch mitten im Pferdefuhrwerkzeitalter!

Das geht einem nachträglich erst auf. Und man steht dabei, will eigentlich längst heimgehen, ist 8 Jahre alt und schon müde vom Hinweg, hat den Heimweg noch vor sich. Man kann aber nicht weg! Man hört die Stimmen um sich herum – im Grunde ist es ein magischer Moment, der nicht aufhört! Am Nachmittag fliegen dann die Dohlen über das Werksgelände von Buderus, weil Dohlen sich immer nach dem Licht richten und einfach bestimmte Orte haben, die sie zu bestimmten Tageszeiten aufsuchen. Auf die Art eignest du dir ein Stück Welt an! Du stehst da,  zwei oder drei Tage vorher hat ein größerer Schüler mir erzählt, dass die Erde eine Kugel ist. Du weiß, dass das stimmt, weil du es irgendwann schon mal gehört hast. Aber jetzt stehst du da zwischen all den Pferdefuhrwerken und versuchst dir vorzustellen, dass du auf dieser Kugel stehst. Das geht auch noch. Aber du musst natürlich nach oben stehen und nicht nach unten. Und dann ist eine riesige Pfütze neben dieser Güterbahnhofswaage, auf die die kompletten Fuhrwerke drauffahren konnten. Die Pfütze irritiert dich, weil da der Himmel drin ist. Also das hat für mich sehr viel mit Schönheit zu tun!

Wend Kässens: Erinnerung – ist das der Versuch, die gelebte Zeit zu konservieren, oder geht es darum, etwas nicht nur neu zu beleben, sondern in die permanente Gegenwart zu überzuführen?

Peter Kurzeck: Beides, denke ich. Das ist ja ein Phänomen, dass die Dinge übermächtig werden, wenn sie weg sind, wenn sie versunken sind. Da wird ein Haus abgerissen. Vorher ist man zehn Jahre lang daran vorbeigegangen und wusste, das steht da. Dann ist es weg. Und dann quält einen die Erinnerung daran. So geht es mir mit jedem einzelnen Augenblick. Und ich glaube, die Augenblicke und auch die Menschen sind nicht ganz verloren, wenn man sie im Gedächtnis behält und als Schriftsteller natürlich versucht, sie so lebendig wie möglich zu gestalten. Ich muss mir immer wieder selbst die Welt erzählen! Auch den gestrigen Tag, damit die nicht ganz und gar vergeht.

Wend Kässens: Wie ist das Verhältnis von Leben und Schreiben, treibt das Leben das Schreiben hervor, oder das Schreiben das Leben? Oder ist das Schreiben das Leben?

Peter Kurzeck: Das Schreiben ist das Leben! Ich kann mir ein Leben ohne Schreiben nicht vorstellen. Selbst mit 5 Jahren, als ich gerade anfing, mühsam schreiben zu lernen, musste ich mir Geschichten, also den jeweils heutigen oder gestrigen Tag erzählen. Insofern ist das Leben das Schreiben. Aber sie treiben sich auch gegenseitig an. Ich arbeite immer morgens und abends. Da muss man sehen, dass es abends nicht zu lang wird, damit der nächste Morgen funktioniert. Ich gehe also nachts ins Bett schon mit der Vorstellung: Sobald du morgen aufwachst, kannst du so weitermachen. So ähnlich wie ein Kind, das Weihnachtsgeschenke bekommen hat und damit spielt, aber dann irgendwann ins Bett muss. Es stellt die Weihnachtsgeschenke um sein Bett herum auf. Vielleicht schlafe ich auch deshalb schlecht, weil ich natürlich im Schlaf weiter daran arbeite.

Wend Kässens: Hast Du manchmal Angst, dass das Schreiben irgendwann erschöpft ist?

Peter Kurzeck: Nein, das seltsamerweise nicht. Eher die Gesundheit oder die Kraft, die man braucht, um es zu schaffen. Das Buch, das jetzt erschienen ist, „Vorabend“, ist das fünfte von voraussichtlich zwölf Büchern. Ich habe sie alle im Kopf und halte sie auch im Kopf am Leben. Und schon das ist ein Ballanceakt, wenn du irgendwo gehst und musst die Straße überqueren und befindest dich in Band 10, der voraussichtlich erst in vierzig Jahren an der Reihe ist… Ich habe darüber hinaus Berge von Notizbüchern mit Stichworten und Ideen für weitere Buchprojekte, zu denen ich wahrscheinlich nie mehr kommen werde. So wie der Rudi Deuble (Roter Stern Verlag, Presse) manchmal lacht, wenn ich sage, es kommt noch das und das. Er sagt dann, wenn du für jedes Buch drei Jahre brauchst, dann wäre das also im Jahr 2098. Dann sage ich: Aber ich könnte ja gar nicht vorher aufhören, mir alles zu notieren, weil mich die Erinnerungen so quälen würden, dass ich überhaupt nichts mehr anderes tun könnte.

Wend Kässens: Und ein interessantes Phänomen – so, wie Flüchtlinge ihr Leben lang Esswaren sammeln mit dem Gefühl, es könnte wieder eine Zeit der Not kommen, wo all das gebraucht würde und nicht vorhanden wäre, so sammelst Du Papier mit dem Gefühl, es könnte irgendwann für Dein Schreiben kein Papier mehr geben…

Peter Kurzeck: Papier ist etwas sehr kostbares! Im Grunde ist das idiotisch, aber ich muß das machen! Ich habe meinen Küchenschrank fast zur Hälfte mit Notizbüchern gefüllt. Und habe immer auch einen großen Stapel von Schreibmaschinenpapier. Das ist schon deshalb quälend, weil ich keine große Wohnung habe. Ich muss das Papier überall stapeln, es wird eigentlich immer schlimmer. Aber ich kann auch nicht gut widerstehen.

Die Redaktion

Aus: Wend Kässens: Das Große geschieht so schlicht, Unterwegs im Leben und Schreiben. Hamburg: Corso Verlag 2011. 176 Seiten. 26,90 Euro. Mehr hier.

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