Geschrieben am 6. Juli 2011 von für LitMag-WM-Special

Klaus Cäsar Zehrer: Sieben Fußball-Sonette

Der Torwart:

Wenn zwanzig Männer durch die Gegend hasten,
beschaut er das Geschehen müden Blicks:
»Ein Tor? Nein, tut mir leid, das wird heut nix.
Ein Tor? Hört auf zu träumen, ihr Phantasten.

Hier stehe ich. Mit Armen, stark wie Masten.
Hier fällt kein Tor. Dafür bin ich zu fix.
Hier fällt kein Tor. Ich kenne alle Tricks.
Hier fällt kein Tor. Hier stehe ich im Kasten.«

Da naht in hohem Bogen etwas Rundes,
dem er erst reichlich spät Beachtung schenkt.
Er kratzt sich unentschlossen hinterm Ohr,

verfolgt die Lederkugel offnen Mundes,
bestaunt sie, holt sie aus dem Netz und denkt:
»Neun-Null, es reicht. Ab jetzt fällt hier kein Tor.«

Der Verteidiger

Er war bereits als Kind kaum zu ertragen.
Er stellte andern Kindern oft ein Bein,
trat feixend ihre Klötzchentürme ein,
und wenn sie weinten, gab’s eins in den Magen.

Die Zeit floss hin seit jenen Kindertagen,
doch er blieb link, gefühllos und gemein.
Er lernte nichts dazu, er kann allein
zerstören und gewaltsam um sich schlagen.

Ein großer Fußballclub hat ihn verpflichtet.
Als Chef der Viererkette ist er jetzt
so gut wie unverzichtbar für sein Team.

Doch wenn er einen Angriffszug vernichtet,
den Mittelstürmer umgrätscht und verletzt,
dann jauchzt vor Glück das kleine Kind in ihm.

Der Star

Zehn Wasserträger gibt’s, die schwitzend fighten,
und es gibt ihn. Er schenkt dem Spiel den Glanz.
Der Ball und er – man glaubt, es sei ein Tanz,
so innig einsgeworden sind die beiden.

Wie leicht das wirkt! Es scheint sogar zuzeiten,
als schwebe er, als sei sein Körper ganz
gewichtlos, aufgelöst in Eleganz.
Doch muss er sorgsam jeden Zweikampf meiden.

Berührt ihn wer, so sinkt er weh darnieder.
Sofort setzt sich ein Rettungsteam in Trab,
dieweil das Stadionrund die Luft anhält.

Ein Notarzt, Mund zu Mund, belebt ihn wieder,
ein Visagist erneuert sein Make-up,
und schon geht’s, frisch gefönt, zurück aufs Feld.

Der Mittelfeldspieler

Ein weiter Ball zurück, er läuft nach hinten.
Ein Ball nach vorn, er läuft ihm hinterher.
Er läuft geradeaus. Der Ball läuft quer.
Er läuft nach rechts. Der Ball ist links zu finden.

Der Ball läuft gut. Er muss nach vorne sprinten,
der Ball ist nämlich schon – nein, jetzt nicht mehr.
Ein steiler Ball, der Konter läuft, und er
läuft rasch zurück, um ihn zu unterbinden.

Ins Toraus läuft der Ball. Nun steht er still
und fragt sich leis: »Was ist der Sinn des Lebens?
Ich laufe – doch wofür? Zu welchem Zwecke?

Ist das das Leben, das ich wirklich will?
Ist alles Laufen nicht zumeist vergebens?
Doch halt – das Spiel läuft weiter. Achtung, Ecke!«

Der Torjäger

Er steht im Abseits, fordert schreiend Bälle,
bekommt sie und schießt lasch den Torwart an,
brüllt: »Ey, die Flanken sind doch scheiße, Mann!«,
tritt wütend in die Bande eine Delle

und stellt sich wieder hin an seine Stelle,
hat allerbeste Chancen, die er dann
leider, leider nicht verwandeln kann,
und wartet auf die nächste Angriffswelle,

stößt seinen Gegenspieler um von hinten,
macht wenig später noch einmal dasselbe,
beschwert sich, dass man ihm am Trikot hält,

fällt um, um einen Elfer rauszuschinden,
beschimpft den Schiri und kassiert die Gelbe,
staubt ab zum eins zu null und ist der Held.

Der Ersatzspieler

Dass wüste Stürme übers Spielfeld fegen,
auf dass sich ein Gewitter wild erbricht,
was macht’s? Die Thermojacke hält schön dicht,
die Bank ist überdacht, der Tee ein Segen.

Die Stammelf kämpft im Matsch, es peitscht der Regen.
Jetzt eingewechselt werden? Lieber nicht.
Er gähnt und reibt sich schläfrig das Gesicht.
Sehr angenehm, die Beine hochzulegen.

Den Sechser trägt man schwer verletzt hinaus.
Ach je, acht Wochen Reha für die Katz.
Ob der wohl wieder wird? Na ja, egal.

So, endlich ist’s geschafft, das Spiel ist aus.
Welch ein Triumph! Stolz stürmt er auf den Platz
und küsst, live vor Millionen, den Pokal.

Der Trainer

Ihm ist sein Ärger deutlich anzusehen,
denn seine Mannschaft hat ihn bös blamiert.
Ganz logisch, dass man so ein Spiel verliert,
wenn man so wenig tut, um es zu drehen.

Man muss halt rennen, statt nur rumzustehen.
Man muss halt reingehn, hart und couragiert.
Man muss halt jederzeit voll motiviert,
mit Leidenschaft und Biss zur Sache gehen.

So eine Leistung schreit nach Konsequenz.
Das war kein Sport, das war ein schlechter Witz.
Wer so was nochmal bringt, fliegt hochkant raus.

Er schließt erzürnt die Pressekonferenz,
stemmt sich schwer keuchend hoch aus seinem Sitz
und ächzt, drei Zentner schwer, zur Tür hinaus.

Klaus Cäsar Zehrer

Klaus Cäsar Zehrer: Sieben Fußball-Sonette. Aus: Albert Ostermaier, Norbert Kron, Klaus Cäsar Zehrer: Fußball ist unser Lieben – neue Geschichten der deutschen Autorennationalmannschaft. Berlin: Suhrkamp Verlag 2011. 301 Seiten. 8,95 Euro. Mehr zu Klaus Cäsar Zehrer finden Sie hier und hier. Foto: privat, Quelle: Mare Homepage.