Geschrieben am 6. Juli 2011 von für LitMag-WM-Special

Hymnen auf unsere (gefallenen) Heldinnen

ode an natze:

natze ging immer quer
auf den platz durchs leben
die torlinie war nie ihr aus
ihre pupillen scharfmacher
suchmaschinen sie zoomt
den ball auf augenhöhe
jeder blickwechsel ein
reflex sie sieht was kommt
was kommen muss bevor
es kommt ein fuss der schuss
ihr gegenschuss die sprung
gelenke photomotoren bild
für bild belichtet sie die
mauern traumpässe rücken
die im abseits stehen den
regen die stadien in der kälte
der städte das herzschlagfinale
sie lässt kein tor zu und öffnet
es in die welt für die weite
zwischen den pfosten wenn
sie dort steht als stünde sie
still

Albert Ostermaier: Nadine Angerer

Liebesbrief an Lira

Liebe Lira, Du hast viele Fans, so viele wie der Rasen im Turbine-Stadion Grashalme zählt, aber ich versichere Dir: Ich bin Dein größter. Ich bin es schon lange. Schon ehe ich Deine unwiderstehlichen Sololäufe verfolgen durfte, schon ehe Du mit diesem artistischen Chip unter die Latte Deinen Elfmeter zum 5:4 im Champions-League-Finale gegen Lyon verwandelt hast, schon ehe ich Deine Biographie »Mein Tor ins Leben« las – schon vor alledem war ich Dein. Meine Bewunderung oder besser: Verschossenheit geht weiter zurück. Ins Jahr 2007, auf den 6. Oktober 2007, um genau zu sein. Du warst zu Gast im ZDF-Sportstudio, standest – very ladylike – im anthrazitfarbenen Zweiteiler neben Wolf-Dieter Poschmann und hast auf die Torwand geschossen. Zwei von dreien unten rechts ganz nebenbei, danach erst hat die Kamera auf Deine Füße geschwenkt. Auf diese alcantaraschwarzen Pumps mit ihren nadelspitz zulaufenden 7-Zentimeter-Absätzen, auf denen ich keine drei Schritte weit laufen könnte, ohne mir die Knöchel zu brechen. Spätestens da war es um mich geschehen. Eleganz und Präzision, Anmut und Entschlossenheit – ich kenne keine Fußballerin, ach was, keine Frau, die das in dieser Perfektion vereint. Mit genau dieser Mischung machst Du Dich und uns alle am 17. Juli zu Weltmeistern. Darauf gehe ich jede Wette ein.
Dein größter Fan, Thomas

Thomas Klupp: Ode an Fatmire »Lira« Bajramaj

Noch nie, liebe Kim,

habe ich eine Dame mit einer solchen Fackel gesehen wie Dich. Fackel, das sagt man wo ich herkomme gerne, ich weiß nicht, wie das in Schwaben ist? Das müsstest Du mir mal erzählen. Rums, Granate, Klebe? Oder a Schüssle? Entschuldigt, liebe Schwaben, aber eins ist sicher: für die Art, wie Kim die Dinger aufs Tor jagt, müsstet ihr ein neues Wort erfinden!

Das ist Dynamik, von der nachts träumt, wer sich jahrelang durch den deutschen Amateurfußball geschleppt hat. Niemand denkt doch mehr an Klinsi oder Buchwald, nee, die Kim ist der neue Schlagerexport aus dem Ländle. Vielleicht, liebe Kim, liegt es an der guten Milch, dem vorzüglichen Klima und den gepflegten Rasenplätzen bei euch im warmen Süden – ich aber glaube, eine wie Du wäre auch an jedem anderen Ort, Castrop-Rauxel oder Bremerhaven, zu dem geworden, was sie ist.

Jahrgang 1990: Als ich es zum ersten Mal las, wurde mir schwindelig. So alt bin ich ja nun auch wieder nicht. Aber in Deinem Geburtsjahr saß ich immerhin als 8-jähriger Steppke vorm TV-Gerät und bestaunte den Kaiser mit offenem Mund. Liebe Kim, jemand wie Du zeigt mir auch eines: dass unsere Zeit gnadenlos tickt, und darum so kostbar ist. Das erkenne ich daran, wie Du jeden einzelnen Steilpass wie ein Geschenk behandelst. Lass uns unsere Zeit nutzen, ich schön weiter auf den Äckern dieser großen Fußballnation, und Du in den Herzen unserer Stadien. Ich freue mich riesig darauf, Dir zuzuschauen. Und bin mir milliardenprozentig sicher: Du lässt in den nächsten Wochen die Keeperinnen dieser Welt erzittern!

Marius Hulpe: Ode an Kim Kulig

Die Weltfußballerin

O Birgit, wenn du je mit voller Wucht
statt gegens Leder in den Ball aus
Magma, Eisen, Stein und Asche
bedeckt von Rasen, vulgo: in die Erde trätest
(was nie geschehn soll! doch gesetzt, so wärs)
dann würdest du dir nicht das Sprungbein brechen
auch Bänder, Sehnen, Knorpel blieben unverletzt
stattdessen würd die Erde ihre Bahn verlassen
hinaus ins Spielfeld der Gestirne ziehn
um irgendwann im Lattenkreuz des Südens
in ein finales Tor zu fliegen und dann weiter
immer weiter
in die Tiefe des Raumes

Florian Werner: Ode an Birgit Prinz

Die Stille

Coach Lingor verstand etwas vom Spiel. »Gibt es Fußballer, die schlagen lange Pass und denken, Arbeit ist gemacht«, schüttelte er den Kopf. Und: »Ist nicht wichtig, wer den Ball hat. Wichtig ist, wo der Ball ist. Verstehst?« Hunderte Fahrten müssen es gewesen sein. Wir hinten. Zu dritt. Lingors Sohn Wolfgang, Sanchez und ich. Vorne Renate.
Russlanddeutsche, hatte mein Vater den Akzent erklärt: Sind in Ordnung. Haben es schwer gehabt. Nach dem Aufstieg würde der Sportlehrer der Hauptschule übernehmen. Jeder in Blankenloch wusste es. Nur Lingor nicht.
Sanchez wechselte heimlich zum KSC. Wolfgang kam nicht mehr. Jahre später hieß es, er habe mit American Football angefangen.
Ich erinnere keine Plüschtiere. Nur ein kleines Mädchen auf dem Beifahrersitz, das still sein konnte, ohne traurig zu wirken.

Wolfram Eilenberger: Ode an Renate Lingor

Alle Oden stammen aus: Albert Ostermaier, Norbert Kron, Klaus Cäsar Zehrer: Fußball ist unser Lieben – neue Geschichten der deutschen Autorennationalmannschaft. Berlin: Suhrkamp Verlag 2011. 301 Seiten. 8,95 Euro.
Mehr zu Albert Ostermaier finden Sie hier, zu Thomas Klupp hier, zu Wolfram Eilenberger hier, zu Marius Hulpe hier und zu Florian Werner hier (eine CULTurMAG-Rezension von Werners „Dunkle Materie“ lesen sie hier).