Geschrieben am 6. Juli 2011 von für LitMag-WM-Special

Christoph Nußbaumeder: Die Einsamkeit der Fußballfelder

culturmag_logo_quadratEin Mann mittleren Alters

– (Bochumer Fassung)

Linkes Schwein haben sie mich genannt, war ja auch so.
Über Außen keine Schnitte, eher landet der im Jenseits als im Strafraum. Na, wat denkst du denn …
Dann hat er Pech gehabt, dann is er abgeflogen, Bänderriss.
Hat geknallt wie die Peitsche von der Roswitha aufm »Eierberg«.
Na, wat denkst du denn … Ball gespielt, klar.
Mit Picke ans Leder und mitm Schraubstollen ans Sprunggelenk.
Dann is er gehüpft und hat gejodelt und phasenweise nachm Schiri und der Mutter geplärrt.

Ich hab ma son Ali abspringen lassen, wie heißt der noch … Hakan, super Stürmer, auf alle Fälle hat er dann gesagt: Ich ficke deine Mutter – auf Türkisch, klar –, aber so viel Türkisch kann ich auch noch.
Hab ich gesagt: Hör ma, Meister, das überlegste dir besser zweimal,
das überlegste dir besser zweimal …
Doppeldeutig – der hat ja meine Mutter nicht gekannt.
Danach hat er immer abgegeben, wenn er mich gesehen hat.

Der hat von mir geträumt, aber auf Deutsch. Kannst einen drauf lassen.
Heute is er Spielertrainer in Erkenschwick.

Nee, ich hab nix gegen die. Wir hatten ja selber immer zwei, drei dabei. Aber wenn sie nich abgegeben haben, hat sie der Trainer im Training zu mir gestellt. Dann war klar: Eigensinn macht selten Sinn.

Nee, auf mich war immer Verlass. Ich hab keinen hängenlassen. Was hab ich Geld verliehen. Für mich hats kein anderes gegeben: Fußball, Feiern, Freundin, in der Reihenfolge.

Wat haben wir gesoffen, wenn wir gewonnen haben. Und dann alle Mann ins »Roxy«. Wenn de jung bist und Geld hast.

Mittlerweile kenn ich ja die Einsamkeit wie kein anderer, die Einsamkeit der Fußballfelder. Wenn das Flutlicht abgedreht wird und dich der Platzwart anmacht, weil er nach Hause will, weil er so Typen wie mich nicht aushält, weil er in mir seine eigene schäbige Zukunft sieht. Ich kann ihn ja verstehen, aber ich flüster ihm zu:
Schau ins Licht, und du weißt, wiesos die Nacht gibt, Kumpel.

Hinten dicht machen, is die halbe Miete. Steht hinten die Null, kannste nicht verlieren. Und unhaltbare Tore gibts nicht, kannste vergessen …
Geht immer ein Fehler voran … Darfst eben keinen machen, keinen Fehler.

Ich war eher der ungehaltene Typ.
Na, wat denkst du denn …
Im Leben immer offensiv, deshalb kannt ich mich bei den Stürmern so gut aus. Ich musste denen nicht auf Schritt und Tritt nachlaufen.
Früher in der A-Jugend, klar, aber später … Stellungsspiel, nix Flankengott. Und das waren noch richtige Stürmer, bissig, mit versteckte Fouls, nicht so Pfeifen wie heute. Heute, die müssen so viel rennen, weil sie zu wenig laufen.
Damals, die Stürmer, kein Stich gegen mich. Ich hatte so ne Konstitition. Na, wat denkst du denn …

Vier Wochen vorher hab ich die Brigitte kennengelernt.
Super Frau, Spitzenfigur, nicht blöd. Das war mein Verhängnis.
Ich war ja … Zu der Zeit hab ich mir nen neuen 5er bestellt, und die Biggi war die neue Bedienung im »Roxy«. Da kam eins zum anderen. Sicher hab ich da zugeschlagen. Mit links, sicher.
Doppeldeutig.

Klar, ich wusste, dass ich auch im Fokus steh – Henry Gülle war der beste Stürmer in der Liga. Alle Spielerbeobachter da.
Wenn ich den, dann hätten sie mich … Ich war ja bei Assauer in seiner Datei. Na, wat denkst du denn …

Arschlecken. Am Tag vorher sagt die Biggi zu mir, sie is schwanger.
Fiel mir der Draht aus der Mütze. Ich war ja selber noch Blag, und auf einmal Vater werden …
Abtreiben wollt sie nich. Nix zu machen. Wenn ne Frau sich wat in die Birne setzt … Ganze Nacht vorm Spiel hab ich kein einziges Auge zugemacht, weil ich mit der Sau gestritten hab!
Quittung nächster Tach. Der Gülle hat mich aufm Bierdeckel ausgetanzt. Und nach ner halben Stunde bleib ich im Rasen hängen. Kreuzband – Feierabend.

Natürlich war ich ein Wadenbeißer, aber einer mit Stil, kein Terrier, eher Panther, so stiekum.
Immer über links, Ball vor und nach. – 11,5 auf 100.
Na, wat denkst du denn …
Konstitution wie Tiger Gerland!

Dann war ich verletzt, halbes Jahr kein Spiel, Stammplatz futsch, mit Trainer angelegt und die Alte immer dicker.
Den 5er hab ich zu Schrott gefahren, wie ich verletzt war.
Und weil ich mit meinem Knie nicht hätte fahren dürfen, hat die Versicherung fast null gelöhnt.
Halbes Jahr war fix um, Abstieg, und statt mit 21 in der Bundesliga war ich mit 22 in der Landesliga und statt Schalke oder VfL zweieinhalb Zimmer mit Biggi in Baukau. Ich kann sie doch nich in die Wüste schicken! Wenn ich im Leben nur halb so unerbittlich gewesen wäre wie aufm Platz …
Kehr, Kehr, Kehr …

Dann Nachtschicht, eisern, jede zweite Woche Nachtschicht Opel. Augenringe wien Drogi. Ham sie mich auf Schicht immer mit aufgezogen. Na, wat denkst du denn …
Bin gelernter Verteidiger.
Und wer andere ins Jenseits schickt, der kennt Gott persönlich …

Biggi war ganz in Ordnung. Also, vielleicht hab ich ja so ne resolute Frau gebraucht. Der Tommy war ja von ganz Anfang an nich ganz … Frühchen, zwölf Stunden und dann … Ein guter Stürmer wär der …
Ich mein, is ja nich mehr so heute, als Verteidiger musste flexibel sein. Was geht dich das eigentlich an …

Aber wo alle Phantasien und Freiheiten im Jenseits angesiedelt sind – nicht im christlichen Jenseits, sondern in der geistigen … Parallelwelt, die jeden Tach, stündlich quasi, neben dir tickert, da hausen auch die Geister und Dämonen und erklären dein Leben zur Niederlage.
Grelle Stimmen haben die, hartnäckiger als wie der schlimmste Rechtsaußen … Na, wat glaubst du denn.

Christoph Nußbaumeder

Christoph Nußbaumeder: Die Einsamkeit der Fußballfelder. Aus: Albert Ostermaier, Norbert Kron, Klaus Cäsar Zehrer: Fußball ist unser Lieben – neue Geschichten der deutschen Autorennationalmannschaft. Berlin: Suhrkamp Verlag 2011. 301 Seiten. 8,95 Euro. Mehr zu Christoph Nußbaumeder finden Sie hier. Foto © Isolde Ohlbaum.