Geschrieben am 20. Oktober 2012 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck zur Buchmesse

La foire, c’est moi!

Die Buchmesse 2012 in Frankfurt – wie jedes Jahr ist die Messe auch nur das, was man selbst draus macht. Ich beschließe, es in diesem Jahr sehr ruhig angehen zu lassen, um mehr Zeit zu haben, mich überall umzusehen. Es reicht schließlich, wenn die gesamte Branche sich stresst, da muss ich es nicht auch noch. Tatsächlich wird vor, während und nach der Messe fast überall nur über eBooks gesprochen. Und den Untergang des Mittelfelds. Und das Ende des Taschenbuchs. Damit wäre im Grunde schon alles über die allgemeine Messestimmung gesagt, aber …

Von vorne. Ich schaffe es eigentlich gar nicht wirklich zur Messe. Jedenfalls nicht in dem von mir vorgesehenen Zeitrahmen, und wenn man einmal so eine Verspätung in einen Messetag reinbringt – die zieht sich noch Tage später durch, unaufholbar. Natürlich kann ich nichts dafür, die Autobahn ist gesperrt, die geniale Abkürzung ein Reinfall, ich erreiche das Parkhaus unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln erst weit nach Mittag und sitze im Shuttlebus neben einer fülligen Nonne, die mich milde anlächelt.

Ich brauche eine halbe Stunde, um herauszufinden, wo ich demnächst verabredet bin, weil niemand den Ort kennt, der mir genannt wurde, und gerade so schaffe ich es, dort eher zufällig, aber doch zehn Minuten zu spät aufzutauchen. Der Plan, mir vorher noch sozusagen privat und in Ruhe ein paar Stände anzusehen und etwas zu essen – nun. Arnold Schwarzeneggers Security, die mich aufgehalten hat, muss als Ausrede herhalten, ich will nicht darüber reden, dass ich mich trotz Navi heillos verfahren habe. Mein Termin und ich lästern über alle möglichen branchenüblichen Verhaltensauffälligkeiten – keine Messe ohne Geläster –, und nach keiner halben Stunde geht es weiter. Mal rede ich als eine, die Bücher schreibt, dann als eine, die über Bücher schreibt, schließlich als eine, die übersetzt, und zu guter Letzt als eine, die Vorträge hält, weil sie was mit Büchern macht. Ich renne aufs Stichwort Leander Wattig in die Arme.

Spätestens gegen siebzehn Uhr verschwimmt alles, die Halbstundentermine sind nicht mehr unterscheidbar, und am Ende des Tages weiß ich nur noch: #irgendwasmiteichborn, #irgendwasmitübersetzung, #irgendwasmitbüchern. Und dass ich dauernd Leute angegrinst habe, von denen ich nicht weiß, ob ich sie wirklich kenne, oder nur von Facebook, oder einfach aus dem Fernsehen. Und dass es denen genau wie mir ging. Gegessen hab ich immer noch nichts, aber ich muss mich wieder in den Stau werfen, zum Hotel fahren, mich in etwas Abendrobentaugliches kleiden und zum Autorenabend von Bastei Lübbe im Frankfurter Hof gondeln. Taxi, weil, es wird Alkohol fließen.

Jeff Kinney

Im Frankfurter Hof dann mal wieder Arnold Schwarzenegger und seine Security, er wird für mich fast zum Thema des Tages, weil auch alle über ihn reden wollen. Wenigstens grinst er mich nicht an, aber Verleger Stefan Lübbe wartet andächtig, bis der Ex-Terminator mit seiner Entourage vorbeigezogen ist und der Weg ins Cigarrum frei wird. Lübbe wirkt ein bisschen traurig darüber, dass Schwarzenegger nicht wenigstens ihn angegrinst hat, aber nun, es ist nicht zu ändern. Zum Empfang trudeln geschätzte Autorenkollegen wie Sky du Mont, Rolf Eden und Lothar Matthäus ein, ich sitze weiter hinten bei den Jungendbuchmenschen am Tisch, was gut ist, denn da hat man den meisten Spaß. Jeff Kinney, das ist der mit Gregs Tagebuch, malt meinen Neffen ein Autogramm, ich weiß, dass ich es jetzt zur Lieblingstante geschafft habe, endlich bekomme ich Essen, der Wein hebt die Stimmung, Felix Rudloff freut sich über seine Beförderung. Ich stoße mit Kerstin Gier und Rotwein an, zwinge Mario Giordano dazu, mir beim Rauchen zuzusehen, und weil ich am nächsten Morgen früh raus muss, gehe ich auch früh. Zum ersten Mal habe ich tatsächlich was von dem riesigen Zimmer und dem großartigen Blick über den Main, weil ich länger als drei Stunden im Hotel bin.

Fazit: ruhiger Messetag. Kaum jemand in den Hallen. Keine Blasen gelaufen. So darf es weitergehen.

Am nächsten Morgen beschwert sich dann gleich die Taxifahrerin, wie wenig in diesem Jahr auf der Messe los ist. Sie hat die überzogenen Hotelpreise in Verdacht. Meine Gedanken sind eher beim noch nicht getätigten Frühstück. Ich bezahle Unsummen für ein Messeschokocroissant, beschmiere mich auf dem Weg zum ARD Buchmessenchat erfolgreich mit Schokolade und stürze einen der Redakteure in tiefe Depressionen, weil ich über Elizabeth Georges neuestes Buch herziehe, das er gerade mit viel Freude liest, oder vielmehr las. Aus Rache macht er ein grauenhaftes Foto von mir, auf dem ich aussehe, als wäre ich direkt vom Frankfurter Hof zur Messe gekommen und stellt es online. Während wir chatten, kommen am Fließband Menschen vorbei, die uns für den Informationsschalter halten. Sie fragen nach Klo, Halle 3 und dem Blauen Sofa.

Da ich die Messe ja in diesem Jahr ruhig angehen lassen will, wir erinnern uns, treffe ich an diesem zweiten Messetag die Leute nicht mehr im Halbstundentakt, es kristallisiert sich eine Viertelstundentaktung heraus, via Smartphone stauen sich die „Wo bist du, treffen wir uns da“-Anfragen. Mein ehemaliger Chef vom Südwest-Verlag (einst in den 90ern) schmeißt eine Runde Sekt, und natürlich wird weiterhin der Untergang der Branche beweint. Nicht von uns, nur an den Nebentischen, man könnte meinen, ein Massenselbstmord ist in Vorbereitung, während draußen ein allgegenwärtiger Sascha Lobo mit ein paar Anzugsmenschen vorbeigeht.

Der Donnerstag ist sehr viel voller als der Mittwoch. Ich quetsche mich zu Heyne, wo alle wegen Paul Cleave aufgeregt sind, aber ich sehe ihn nicht. Ich gehe weiter herum, weiß, dass ich Termine verpasse, traue mich nicht mehr, aufs Handy zu schauen, dann hab ich keine Lust mehr, weil ich nur noch geschubst und gestoßen werde. Wenn Halle 3 schon als voll gilt, in Halle 4 treten sie sich tot. Allerdings nur auf der Ebene 4.1, sie stoppen irgendwann die Rolltreppen, weil sie die Menge nicht mehr unter Kontrolle haben. 4.0 ist ruhig, das ist schön, ich besuche die Leute von bilandia.de. Wir suchen Kartoffelsalat und finden keinen, dafür ungenießbares Sushi für elf Euro. Die pakistanischen Büchermenschen neben uns stört das nicht. Sie kippen ein paar Liter Kaffee nach, als wäre es Wasser. Ich sorge mich um den kulinarischen Ruf Deutschlands.

Ganz besonders ruhig ist es in Halle 6 bei den Literaturagenten. Ich treffe mich mit einem Herrn aus Indien, der unbedingt an die frische Luft muss, um zu rauchen. Ich merke, dass ich Füße habe und werde bei jedem Schritt erinnert, wo sie sich genau befinden. Er schenkt mir einen Schal (Made in India) und kauft sich eine Pizza, die er nicht isst, außerdem Rotwein, den er trinkt, als wäre es Kaffee. Wir schauen eingeölten Maori etwas skeptisch beim Tanzen zu, bis uns wieder einfällt, wer Gastland ist, dann suchen wir ein neues Feuerzeug und Kopfschmerztabletten für den Herrn Agenten. Für mich folgt ein Ach-Hallo-Ja-Ich-Muss-Weiter-Stakkato, das nächste ruhigere Treffen ist am Stand des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbandes, wo ich vorsätzlich betrunken gemacht werde. Schweizer Wein, heißt es, da kann man schlecht Nein sagen, wer bin ich, eine ganze Nation zu beleidigen? Neben dem sbvv hat ausgerechnet der August von Goethe-„Verlag“ seinen Stand, und ich kann nicht anders, ich erkundige mich danach, wie viel es wohl kosten möge, meine exquisite Lyriksammlung zu drucken. Leider fliege ich auf, weil jemand vorbeikommt und mich lautstark erkennt, und ich bin schon zu betrunken, um die Situation wieder herumzureißen. Ich mache mich hochkonzentriert auf die Suche nach meinem Anschlusstermin mit Ricarda Ohligschläger, einer der unermüdlichen Buchblogqueens, und verpasse das Champagnergelage des Weidle-Verlags (sie stoßen auf das großartige Buch „Rocking Horse Road“ des Neuseeländers Carl Nixon an, ich kann es nur ebenfalls empfehlen). Unterwegs beweinen wieder alle um mich herum den Niedergang der Branche, und je näher man Halle 3 kommt, desto blutiger die vergoss’nen Tränen.

Natürlich verquatsche ich mich in größerer, viertelstündlich anwachsender Runde, so verpasse ich dann auch das Messeende und irre auf Umwegen zum Ausgang. Gerade so schaffe ich es zum Messebembel in Seckbach, und wir reden dort über die legendären Messepartys der Verlage, zu denen wir nicht eingeladen sind, von denen wir uns aber am nächsten Tag erzählen lassen wollen.

Die Messe sieht mich am nächsten Tag nicht wieder. Die Messedepression hat mich eisern im Griff, ich schwänze und gehe, um mich aufzuheitern, in die Schwarze Romantik-Ausstellung im Städel. Hier definieren sich Himmel und Hölle, Schmerz, Leid und Liebe in wohltuender Klarheit, und niemand stöhnt über immer kleiner werdende Verkaufsflächen und die Missachtung des Kulturgutes Buch. Abends nach einer Lesung im vermutlich schönen, aber schon dunklen Limburg erfahre ich, dass ich den Virenschleuderpreis nicht gewonnen habe, dafür aber der Hanser-Verlag, und das, obwohl dieser gerade erst mal wieder einen Nobelpreisträger in seinem Programm entdeckt hat.

In den Tagen danach werde ich gefragt, ob ich eine erfolgreiche Messe hatte. Ich erkläre dann jedem, dass für mich Messen nie erfolgreich oder erfolglos sein können, sondern entweder nett oder stressig oder lustig oder doof oder alles zusammen, und vor allem ist das Essen immer richtig schlecht. Ich tätige keine Abschlüsse, biete keine Manuskripte an. Ich renne nur rum und rede. Sehe aus dem Augenwinkel, dass Kochbücher schwer beliebt sind (vielleicht, weil das Essen überall so schlecht ist). Und dass Jugendbuchverlage immer größere Stände haben. Und dass die kleinen Verlage gar nicht so viel weinen wie die großen. Und dass man offenbar besser erst mit irgendwas anderem berühmt wird und dann ein Buch schreiben lässt. Aber das ist auch wieder nur mein Eindruck. Die Messe ist ja immer nur das, was man selbst draus macht.

Zoë Beck

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