Geschrieben am 10. September 2011 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoe Beck über den Tagesablauf von Schriftstellern

Was machen Kriminalschriftstellerinnen eigentlich so den ganzen Tag? Eine beliebte und immer und immer und immer wieder gestellte Frage, FAQ genannt, manchmal auch so ausgesprochen. Zoë Beck gibt ein für allemal erschöpfend Auskunft.

„Und was machen Sie so den ganzen Tag?“

Zwei Fragen, die immer wieder auf Lesungen oder per Mail gestellt werden: Erstens, „Wie sieht denn Ihr Tagesablauf aus?“, und zweitens, „Wie sieht denn Ihr Schreibtisch aus?“ Und auf keinen Fall darf man antworten: „Äh, ich denke mal, ganz ähnlich wie bei Ihnen …?“ Egal, ob es stimmt oder nicht.

Mein Nachbar, Herr Dr. Müller-Böhne zum Beispiel, von Beruf Richter und im Herzen verhinderter Poet, will solche Sachen ja auch gerne wissen, traut sich aber nicht so richtig zu fragen. Wahrscheinlich hat es ihm seine Frau verboten. Am Wochenende aber muss er den Paketboten abgepasst haben, um eine Lieferung für mich entgegenzunehmen, damit er einen Grund hat, bei mir zu klingeln.

Dr. Müller-Böhne klingelt also, und ich mache auf. Die üblichen „Oh, danke, das ist aber nett, ich hätte es doch auch abholen können, lassen Sie’s einfach hier stehen“-Sätze ziehen nicht. Er hat nämlich was vor.

„Nein, nein, das ist sehr schwer, da sind bestimmt lauter Bücher drin, ich trag’s Ihnen – wohin? Haben Sie ein Arbeitszimmer?“ Schon hat er sich an mir vorbeigeschultert und dreht neugierig den Kopf in alle Richtungen. „Rechts? Links? Welche Tür?“

Ich weiß schon, warum seine Frau immer mit den Augen rollt, wenn sie ihn sieht, ich rolle nämlich auch gerade mit den Augen. Dann zeige ich ihm das Arbeitszimmer, und er lässt mit einem erleichterten Seufzer das Buchpaket fallen. Natürlich ist es lange nicht so schwer, wie er tut, aber das merke ich erst hinterher.

„So sieht das also aus“, sagt er und nickt. Er klingt nicht sehr begeistert.

Also, mal ganz funktional gesprochen: Schreibtisch, Aktenschrank, Sofa und Sessel, Druckertischchen. Und ein Teewagen, auf dem noch zu lesende Bücher, Recherchebücher und überhaupt irgendwelche Bücher gestapelt sind, so dass von dem Teewagen nichts mehr zu sehen ist. Ach ja, und Bücherregale. Und ein Klavier. Bis auf das Klavier wird es vom Prinzip her in seinem Büro auch nicht sehr viel anders aussehen, vermute ich mal. Vielleicht hat er ein paar Bücher weniger, dafür dann mehr Aktenordner.

„Was haben Sie erwartet?“, frage ich, aber er ist mit den Gedanken ganz woanders.

„Wo schreiben Sie denn?“, fragt er.

Ich zeige auf den Schreibtisch, wo mein Laptop steht. Er ist eingeschaltet, und ein Word-Dokument ist offen. Es sieht nach Arbeit aus.

„Oh“, sagt er enttäuscht und setzt sich aufs Sofa.

„Wollen Sie was trinken?“, frage ich höflich. Ich meine, wenn er nun schon sitzt. Er ist immer noch mit den Gedanken woanders.

„Das heißt, Sie stehen ganz normal morgens auf und setzen sich an den Schreibtisch?“

„Ich stehe vielleicht nicht so früh auf wie Sie, aber dafür sitz ich gerne noch nachts um drei und arbeite.“

Er nickt wieder vor sich hin. Die Enttäuschung vertieft sich. „Und Sie schreiben auch mit dem Ding? Nicht mit der Hand?“, fragt er. „Und Papierkram machen Sie auch? Und hier sind ja lauter Bücher übers Schreiben? Kann man das denn lernen?“

Ganz klar, Herr Dr. Müller-Böhne, der ja selbst eines Tages mal ein Buch schreiben will, hat sich das anders vorgestellt. So in etwa: auf dem Sofa liegen, ab und zu was in ein Notizbuch kritzeln, viel spazierengehen, dabei kommt dann wünschenswerterweise die große Eingebung, die man über die nächsten drei bis fünf Jahre verteilt zu Papier bringt, und anschließend ist man reich und berühmt und hat wieder drei bis fünf Jahre für das nächste Buch. Oder, alternativ: Statt reich und berühmt lebt man wie Spitzwegs armer Poet im zugigen Dachkämmerchen und dichtet. In jedem Fall aber kommt die Eingebung vom Himmel gefallen, und der gesamte Tagesablauf hat etwas unglaublich romantisiertes, ganz ohne Papierkram und Telefon und Computer und Aktenordner.

Herr Dr. Müller-Böhne verlässt das Sofa und schleppt sich vornübergebeugt zur Tür. „Sie arbeiten ja ganz normal“, stellt er zum Abschied beleidigt fest, und ich denke mir: Normal, das wäre eine Vierzig-Stunden-Woche mit Feierabend und Wochenende und Urlaubsanspruch und Krankenversicherung und allem. Vergleichsweise also ein lockerer Job. Aber wenn ich ihm das jetzt auch noch so erkläre, wirft er sich gleich aus dem nächsten Fenster.

Zoë Beck

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