Mobster-Romance
Die Begegnung mit „4 Blocks“ und Stephen Taltys Sachbuch „The Black Hand“ gibt Ute Cohen Anlass, über unsere Liebe zum Gangster und dessen Inszenierungsstrategien nachzudenken.
Den Anspruch auf Alleinherrschaft haben schon viele erhoben. Den wenigsten ist es jedoch geglückt, und wenn, endete das nicht selten in Kugelhagel und Witwengeheul. Meist beginnt das Drama mit einem Omen. Wir kennen das von „Scarface“. Wenn er, den Blick gen Himmel gerichtet, mit großen, kindlich naiven Augen den Werbezeppelin mit der Aufschrift „The World Is Yours“ bestaunt, spürt man die Erleuchtung. Mach dir die Welt untertan, lautet die göttliche Eingebung.
Das ist in Berlin nicht anders als in Amerika, mit dem Unterschied jedoch, dass Berliner Mobster eine griffigere Handlungsanweisung brauchen als die transatlantisch Erleuchteten. Der Rapper Kollegah kommt da gerade recht. Mit seinen „10-Boss-Geboten“ verfasste er ein simples Handout, das sich auch der einfältigste Troll in den Schädel hämmern kann. Sicher, Kollegah distanziert sich offiziell von fiesen Deals und Crime. Sein Boss-Programm ähnelt eher der Firmen-Policy einer amerikanischen Unternehmensberatung, aufgepeppt mit einer Prise Gangster-Romantik. Ziele erreichen, Körper und Geist trainieren, ein Alphatier sein und nicht ne miese kleine Follower-Ratte – das sind die Key Factors für die kleenen Kollegah-Epigonen, die sich todesmutig in den Aufbau des Alpha-Empires stürzen. Selbstverständlich baut er sein Manifestchen so auf, dass ihm keiner an den Kragen kann.
Keine Eigentumswohnung für einen Blowjob
Geübt hat er seine Argumentationsstrategie bereits in der Echo-Skandal-Phase. Ein paar advokatische Einflüsterungen, ein paar Kontext-Interpretations-Verwirrspielchen, und die Antisemitismus-Vorwürfe waren ruckzuck vom Tisch gefegt. Auf das Verständnis der Boss-Rezipienten darf Kollegah sicher auch dieses Mal hoffen. Nach einem ersten Aufschrei der feministischen Szene werden ihm die ersten Journalistinnen beispringen und den maskulinen Turn loben, der nach der ganzen Metrosexuell-Genderfluid-Phase doch begrüßenswert sei. Immerhin beteuert der Gute doch, dass ein Blowjob nicht mit einer Eigentumswohnung belohnt werden sollte. Er ist doch ganz klar, blabla, auf der Seite der Prostitutionsgegner. Als nächstes wird dann noch ein historisch eindrückliches Narrativ gesucht.
Fündig wird man vielleicht bei Marinetti und seinem „Futuristischen Manifest“: „Der geliebkoste Tod überholte mich an jeder Kurve, um mir artig seine Pfote zu geben und um sich dann wieder mit einem Geräusch knackender Kinnbacken der Erdoberfläche anzuschmiegen, indem er mir aus den Wasserlachen sammetweiche Blicke zuwarf.“ Passt doch hervorragend zu Profilierungsrennen auf dem Kudamm – irgendwie.
Manifeste sind en vogue. Gewaltiges verheißt das Wort, Großes dräut am Horizont: Kampf und Revolution.
Et voilà, schon hat man Kollegahs Boss-Bullshit zum „Manifest der Männlichkeit“ geadelt und steckt mittendrin im edlen Feuchtgebiet der Gangster-Romantik.
Mobster-Romance hat eine lange Tradition. Al Pacino schaffte es zum Sexsymbol mit seiner Rolle als „Scarface“, die von dem narbengesichtigen, hässlichen Fettwanst Al Capone inspiriert war. Marlon Brandos „Der Pate“-Raunen ging mit seinem unwiderstehlichen Angebot bestimmt in zahllose Schlafzimmer-Rollenspielchen ein. Der Mob-Effekt rangiert auf der Bad-Romance-Skala auf der gleichen Höhe wie Easy Rider oder Sons of Anarchy. Der Fanclub der Biker-Bräute wächst mit jeder Staffel, die Erregungskurve beim Binge-Watching des „Paten“ ist so verlässlich vorhersagbar wie die Gauß-Kurve oder die Einschaltquoten bei der zweiten „4-Blocks“-Staffel. Die Neuköllner Clan-Saga wird zweifelsohne einschlagen wie eine Combat Shotgun.
„Black Hand“: Die Schickeria eignet sich die Symbole von Tod und Schrecken an
Am 11. Oktober war es soweit und die Mob-Anbetung rollte auf dem Roten Teppich wieder ihrem Höhepunkt entgegen. Vielleicht gibt es dieses Mal auch passende Merchandising-Produkte, damit wir uns entweder am neuesten AMG oder an einer Rolex-Special Edition erfreuen dürfen. Vielleicht gibt’s aber auch für kleinere Börsen ein Hamady-Kochbuch, einen Toni-Haircut oder einen Abbas-Tiger Slip. Einen zugkräftigen Soundtrack gibt’s garantiert, zumal auch ein paar einschlägige Rapper mit von der Partie sind.
Gangsta-Merchandising ist älter, als man denkt. Als sich die „Black Hand“, die erste Mafia-Organisation in Übersee, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gründete, folgte dem Anfangsschrecken der Hype. Kindesentführungen en masse, Morde, Verstümmelungen gerieten in Vergessenheit oder wurden als märchenhaft abgetan. Stattdessen kaufte man schwarze Händchen aus Metall als Souvenir oder Briefköpfe mit dem Insignum einer brutalen Verbrecherorganisation. Aus Black-Hand-Erpresserbriefen wurden Liebes-Episteln für Schwarzromantiker. In Stephan Taltys „Black Hand – Jagd auf die erste Mafia New Yorks“ heißt es: „Die Schickeria hatte sich die Symbole von Tod und Schrecken angeeignet.“
Das ist eine psychologisch nachvollziehbare Reaktion. Die Black Hand wurde zu einem Memento Mori, das die Bedrohung durch den Tod erträglich werden ließ. Gleichzeitig wurde sie zu einem Talisman, der dem Träger Schutz versprechen sollte. Cool war man ohnehin, wenn man sich mit dem Symbol der Mächtigen schmückte.
Bannen konnte man die Macht der Black Hand mit einem Anhänger jedoch nicht. Sie schreckte vor nichts zurück, infiltrierte alle Gesellschaftsbereiche und bestach durch unfassbare Professionalität. Der Nachrichtendienst der Black Hand war berüchtigt. In Finanzinstituten positionierte sie Spione, die über die Geldflüsse der wichtigsten Geschäftsleute New Yorks bestens informiert waren.
Die Bekämpfungsstrategien der einzelnen Bundesstaaten fruchteten alle nicht. Trotz Einreiseverweigerung für Italiener und Erhöhung der Strafmaße für Erpressung florierte das Business der Black Hand bestens. So gut, dass die Existenzgrundlagen seriöser italienischer Geschäftsleute gefährdet waren und der durch Verharmlosung und Angst entstandene Mobster-Hype rapide abebbte. Rechtschaffene Handwerker und Geschäftsinhaber hatten die Nase voll von einem untätigen Staat und schlossen sich zur sogenannten „White Hand“ zusammen, einer Art Miliz, die in Kooperation mit Teilen der Polizei radikal den schwarzen Gegner auszurotten beabsichtigte. Das war ein brenzliges Unterfangen, zumal permanent Nachschub an Verbrechern kam, die erstaunlich einfach auf dem Atlantikdampfer ihre Flucht von Sizilien nach Manhattan bewerkstelligten. Die flüchtigen Mobster importierten nicht nur kriminelle Energie, sondern auch eine Haltung, die auf Respekt beruhte. Selbstverständlich erwarteten die „uomini di rispetto“, „dass man ihnen gehorcht, sie bewundert, respektiert, fürchtet und beneidet“. Im Gepäck hatten sie, so Talty, auch eine „starke, anarchische Abneigung gegenüber staatlichen Gesetzen und Zwang“.
„Berlin gehört jetzt uns“
Das wiederum eint sie mit den romantisch verklärten Clans, die sich inzwischen fast zu Helden des Schwarzen Blocks emporschwingen und zeitgleich Möchtegern-Hamadys einen wohligen Schauer über den Rücken jagen.
Das aber ist die fatale Kombination, die den Aufschwung der Black Hand ermöglichte. Ihren Niedergang besiegelte erst ein italienischer Cop namens Petrosino, der wusste, was es bedeutet, ein Italiener zu sein, dem es aber wichtiger war, eine freiheitlich demokratische Grundordnung zu vertreten. Petrosino wurde erschossen, die Black Hand aber war erledigt, nachdem er die Italian Squad aufgebaut hatte.
„The World Is Yours“ und „Berlin gehört jetzt uns“ sind Blutsbrüder im Geiste. Warten wir ab, ob in der dritten, spätestens in der vierten Staffel die Hamady-Immobilien konfisziert bleiben, ein libanesisches Sonderdezernat bei der Berliner Polizei aufgebaut wird und ein libanesischer Petrosino die Dinge in die Hand nimmt. Das könnte dem Alleinherrschaftsanspruch so mancher Imperatoren einen Dämpfer verpassen.
Was Kollegah und Co. betrifft: Nehmt euch ein Beispiel an Enrico Caruso. Als die Black Hand ihm einen Erpresserbrief nach dem anderen schickte, marschierte er stracks ins Polizeipräsidium. Wie wär’s damit, Kollegah? „Ti voglio bene assai! Tanto, tanto bene“.
Ute Cohen
Stephen Talty: Black Hand: Jagd auf die erste Mafia New Yorks (The Black Hand: The Epic War Between a Brilliant Detective and the Deadliest Secret Society in American History, 2017 ). Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. Klappenbroschur, 318 Seiten, 14,95 Euro. Verlagsinformationen hier.
4 Blocks: Deutsche Dramaserie, vielfach ausgezeichnet, deren erste Staffel von Mai bis Juni 2017 von TNT Serie ausgestrahlt wurde. Eine zweite Staffel läuft seit dem 11. Oktober 2018.
Scarface – Toni, das Narbengesicht lautete tatsächlich der alternative deutsche Verleihtitel für Brian De Palmas Spielfilm von 1983, epische 170 Minuten lang, in dem Al Pacino einen Gangster spielt, dessen Aufstieg von ferne an Al Capone angelegt ist. Es ist eine sehr frei frei interpretierte Neuverfilmung des Originals von Howard Hawks, mit dem 1932 das Genre des Gangsterfilms begründet wurde.
Aktuell gehypt werden GANGSTAS 4 LIFE, „das frech-anarchische Werk“ der beiden belgischen Regie-Newcomer Adil El Arbi und Bilall Fallah, ab dem 23. Oktober 2018 als DVD, Blu-ray sowie digital erhältlich. Kurzinhalt: Adamao (Matteo Simoni) und seine Freunde wachsen in einem Randbezirk Antwerpens inmitten von Kriminalität und Diskriminierung auf und träumen von einem größeren Leben voller Luxus und Spaß. Als der Drogenboss Orlando ihnen einen Job anbietet, zögern sie nicht lange. Von da an ist das Leben eine einzige riesige Party. Doch als ihnen korrupte Cops in den Weg kommen und ein Deal schiefläuft, wächst den selbsternannten Gangstas die Sache über den Kopf und sie stecken bald mitten in einem Drogenkrieg…
Stimmen dazu: „Das ist definitiv ein bisschen Guy Ritchie Flair.“ (Screenanarchy) „Die Optik haut rein wie eine Line Koks und ist umwerfend.“ (HitchcockismyHomeboy.com) „Eine Drogendeal-Eskapade in Guy Ritchie Manier.“ (Variety)